Ein passabler Lügner
vom Krimiblogger
Craig Clevenger: Der geniale Mister Fletcher
Wenn ein neuer Autor auf der Bildfläche des Literaturbetriebs erscheint, dann sind Verlage und leider oft auch Kritiker schnell dabei, ihm das Etikett „Kult“ anzuheften. Ein gut geschriebenes Buch reicht heute nicht mehr, nein es muss gleich „Kult“ oder doch zumindest „kultverdächtig“ sein. Man muss halt möglichst laut schreien, um im schnelllebigen und kreischenden Lit-Biz gehört und wahrgenommen zu werden. Letztlich hilft es aber weder Verlegern noch den Lesern, einen Autor und seinen ersten Roman durch solche Etiketten in ein richtiges Licht zu stellen. Der direkte Blick auf Stärken und Schwächen eines Erstlings wird lieber vernebelt, anstatt sich ernsthaft damit auseinander zu setzten. Eines der vielen Beispiele, die mir da einfallen, ist der Debütroman „Der geniale Mister Fletcher“ des Texaners Craig Clevenger. Erschienen ist die deutsche Übersetzung im Frühjahr 2005 und ein Beleg dafür, das Erstlingsromane eben durchaus Stärken und Schwächen aufweisen können und diese bitte auch haben dürfen.
In diesem Fall trägt zur Vernebelung schon der deutsche Titel bei. „The Contortionist’s Handbook“ heißt der Roman im Original, was man als „Das Handbuch des Schlangenmenschen“ übersetzen könnte. Das allerdings ist kein verkaufsfördernder Titel, zu träge, zu wissenschaftlich (Handbuch), vielleicht auch zu abstoßend (Schlangenmensch). Also nennt man den Roman „Der geniale Mister Fletcher“, womit gleich Erinnerungen an den „talentierten Mister Ripley“ wach gerufen werden sollen. Ähnlichkeiten sind aber kaum vorhanden, bis auf die Tatsache, dass Patricia Highsmiths Tom Ripley ein genialer Fälscher und Verwandlungskünstler ist. Gleiches gilt für Daniel Fletcher, Ich-Erzähler und Hauptfigur in Clevengers Roman. Daniel, der eigentlich als John Dolan Vincent jr. geboren wurde, blickt als junger Mann auf eine leidliche Karriere als Urkundenfälscher zurück. Doch während Ripley stilvoll und gediegen seine Verwandlungen durchführt, flüchtet Daniel, alias John, hektisch von einer elenden Existenz in die nächste. Innerhalb von drei Jahren hat er sechsmal den Namen gewechselt.
Ähnlich wie Ripley nimmt Daniel Reißaus vor seiner kriminellen Vergangenheit, wenn gleich diese nicht aus Mord und Totschlag besteht. Im Besprechungszimmer eines Psychologen lernt der Leser Daniel kennen. Er leidet in unregelmäßigen Abständen an schweren Migräneanfällen, wirft dann verbotene Drogen und illegal beschaffte Medikamente ein, um sein Leiden zu mildern. Jedesmal katapultiert er sich in eine Ohnmacht, wird bewusstlos ins Krankenhaus eingewiesen und muss sich psychologischen Tests unterziehen, die nachweisen sollen, dass er den Drogen- und Medikamentencocktail nicht aus Selbstmordabsichten genommen hat. Während eines solchen Testgesprächs blickt Daniel zurück auf seine traurige Verbrecherbiografie: Zerrüttete Familienverhältnisse, der Vater Alkoholiker und vermutlich straffällig, die Mutter an Krebs erkrankt. Dazu eine körperliche Abnormität, die dem jungen Daniel viel Spott einbringt: An seiner linken Hand hat er sechs Finger.
Gescheiterter Balanceakt
Es folgen erster Diebstahl von Platten und Musikkassetten in einem Laden, erste Fälschungen von Rezepten für Medikamente, erste Bekanntschaft mit dem Gesetz und schließlich zwei Jahre Gefängnis. Daniel gerät, wie es so schön heißt, auf die schiefe Bahn. Als er nach zwei Jahren Haft entlassen wird, rufen ihm die Gefängniswärter zu „Auf baldiges Wiedersehen!“ – doch er weiß, dass er diese Hölle nicht mehr erleben will. Er wechselt seine Identitäten und geht dabei klug und analytisch vor. Die Wahl eines neuen Namens will gut überlegt sein: Daniel durchsucht alte Telefonbücher, alte Fotos und Todesanzeigen. Mit neuem Namen ausgestattet, nimmt er schmutzige Jobs von einer Firma an, die gefälschte Dokumente für ihre illegal eingeschleusten Mitarbeiter braucht. Schließlich verliebt er sich in Keara. Doch aus sie ist auf der Flucht.
In einer stakkatoartigen Prosa lässt Craig Clevenger Daniel seine Geschichte erzählen. Rückblenden und das Gespräch mit dem Psychologen bilden dabei zwei Erzählebenen. Das ist klug gedacht, doch leider schafft es Clevenger nicht, die Spannung zu halten. Während sich Daniels Gespräch mit dem Psychologen schnell zu einem aufregenden Wortwechsel entwickelt, bei dem Clevenger ganz nebenbei psychologische Tricks ausplaudert, fällt die Lesespannung deutlich ab, sobald sich Daniel wieder an seine verkorkste Jugend und seine Verbrecherkarriere erinnert. Der Autor balanciert zwischen fesselndem „How to catch him“, einem eher tristen Wechselspiel der Maskerade und tragischem Entwicklungsroman, streift dabei aber zu oft sentimentale und kitschige Töne. Sowohl das Motiv der ständig wechselnden Identitäten wie auch der Blick auf eine amerikanische Familie wirken unausgewogen und künstlich. Dieses Manko können die wunderbaren und raffiniert getexteten Wortgefechte, die sich Daniel, alias John, mit seinem Psychologen liefert, leider nicht wett machen.
Mit Kultstatus hat dies wenig zu tun, noch weniger ist Mister Fletcher ein moderner Mister Ripley. Dennoch hat Craig Clevenger echtes Potential, wie es im Kritikerdeutsch heißt. Ja, der Autor kann sich entwickeln, auf sein neues Buch „Dermaphoria“, das im Oktober in den USA erscheinen soll, bin ich gespannt. Vielleicht hilft es dem Autor auch wegzukommen vom Image des Migräneexperten. Denn – Kuriosum am Rande – in den USA wurde Clevenger von migränegeplagten Menschen schon als Koryphäe für diese Krankheit gefeiert. Dabei leidet Mister Clevenger glücklicherweise nicht an Migräne. Das einzige, was dem scheuen Autor Kopfschmerzen bereiten dürfte, sind die Auswirkungen des Lit-Biz und Leser, die den Unterschied zwischen Dichtung und Wahrheit nicht begreifen können. Ein Autor darf – im Gegensatz zu Verlagen und Kritikern – schließlich lügen. Craig Clevenger ist auf dem Weg, ein ganz passabler Lügner zu werden.
Craig Clevenger: Der geniale Mister Fletscher / Aus dem Amerikanischen von Susanne Mecklenburg. – Berlin : Aufbau-Verlag, 2005
ISBN 3-351-03034-7Originalausgabe: Craig Clevenger: The Contortionist’s Handbook. – San Francisco : MacAdam/Cage Publishing, 2002
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