Der Troll unter den Ermittlern
vom Krimiblogger
Jo Nesbø: Das fünfte Zeichen
Ein Serienkiller im sommerlich heißen Oslo, ein alkoholkranker Kommissar und dessen korrupter Kollege sind die Hauptelemente von Jo Nesbøs fünften Kriminalroman, der – zufällig oder nicht – in der deutschen Übersetzung „Das fünfte Zeichen“ heißt. Was auf den ersten Blick wie die üblichen Zutaten für einen durchschnittlichen Serienkiller-Thriller erscheint, entpuppt sich im Laufe des Romans als ein geschickt aufgebautes Schauspiel und ein virtuoses Verwirrspiel mit den Erwartungen des Lesers.
Zentrale Figur bei Nesbø ist sein Held Harry Hole, ein betrunkener Ermittler, der durch seine beruflichen Ausfälle und sein desolates Privatleben nicht mehr am Abgrund steht, er fällt schon in eine scheinbar bodenlose Tiefe. Harrys Absturz wird durch die bevorstehende Kündigung beschleunigt. Für seinen Chef Bjarne Møller keine leichte Entscheidung, doch Harrys Eskapaden haben längst die roten Linien überschritten. Um so ärgerlicher, dass gerade Urlaubszeit ist und im aufgeheizten Oslo ein Serienmörder sein Unwesen treibt. Der Unbekannte hat bereits zwei Frauen auf dem Gewissen, eine dritte ist verschwunden. Allen Opfern hat der Täter einen Finger abgeschnitten.
Tom Waaler, Harrys Intimfeind bei der Polizei, leitet die Ermittlungen und holt ausgerechnet Harry in sein Team. Schließlich hat Harry schon einmal, in seinem ersten Fall „Der Fledermausmann“, einen Serienmörder zur Strecke gebracht. Jetzt also soll er in seinem vermutlich letzten Fall ausgerechnet Tom dabei helfen, den Mörder zu schnappen. Harrys Feindschaft zu Tom hat Gründe: Harrys Kollegin Ellen wurde bei einem Einsatz gegen Waffenschieber ermordet. Harry glaubt, dass Tom der eigentliche Kopf dieser Waffenschieberbande ist und auch die Schuld an Ellens Tod trägt. Nur beweisen kann Harry dies nicht.
Trotz seines Hasses auf Tom kniet er sich in die Ermittlungsarbeit und vernachlässigt seine Freundin Rakel und deren Sohn Oleg, mit denen er eigentlich in Urlaub fahren wollte. Schließlich entschlüsselt er das Muster, nach dem der Serienmörder vorgeht. Der Täter verschafft sich als Fahrradkurier verkleidet Zutritt zu den Häusern seiner Opfer und hinterlässt ein verborgenes Zeichen. Mal auf dem Staub eines Fernsehers, mal in den Putz einer Wand eingeritzt entdeckt Harry einen fünfzackigen Stern, einen Drudenfuß, der oft auch als satanisches Symbol gedeutet wird. Dank dieser Spur kommen die Ermittler dem mutmasslichen Täter auf die Schliche, doch Harry ist diese Zahlenmystik zu simpel. Er setzt seine Ermittlungen fort und entdeckt dabei einen Zeugen, durch den er nicht nur den wahren Serienmörder entlarven sondern auch seinen Intimfeind Tom überführen könnte. Ein riskantes Katz-und-Maus-Spiel beginnt, bei dem Harry nicht nur sich selbst in Gefahr bringt.
Thriller mit Sogwirkung
Mit erzählerischer Leichtigkeit verwebt Jo Nesbø mehrere Haupt- und Nebenstränge, überrascht einmal mehr mit seinem trockenen Humor und führt seine Leser sicher durch zahlreiche Wendungen zu einem hochdramatischen und atemberaubenden Ende. Nesbø, der nach eigenen Aussagen aus einer „Erzählerfamilie“ stammt und der in einem Land aufgewachsen ist, in denen Trolle und Kobolde die Literatur bevölkern, rankt mit einer unbändigen Fabulierlust immer wieder kleine, skurrile Nebengeschichten um seine Haupterzählung. Trotzdem hält er den roten Faden fest in der Hand und erzeugt mit seinen kleinen Abstechern eine enorme Dichte und Lebendigkeit.
Dabei kommt ihm seine Talent für tragisch-komische Geschichten zugute. Während andere, nicht nur skandinavische, Autoren depressive Figuren gerne überbetonen, zeichnet sie Nesbø mit Witz und Verve, ohne sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Auf dem schmalen Grat zwischen Ernst und Albernheit balanciert der Autor sicher und trittfest. Harry Holes wohlbegründeter Galgenhumor führt dazu, dass einem beim Lesen oft das Lachen im Halse stecken bleibt. Er ist glücklicherweise kein Abziehbild amerikanischer Hardboiled-Ermittler vom Typus „Lonesome Cowboy“. Er ist an sie angelehnt, wird aber von seinem Erfinder mit vielen Eigenheiten und Macken ausgestattet. Sozusagen der Troll unter den Ermittlern, nicht unbedingt sympathisch, aber urwüchsig und unverfälscht.
Zudem ist Jo Nesbø ein Spannungsautor par excellence, der genau weiß, wann und wie er seine Handlung steigern und seine Leser in die Irre führen kann. Kunstvoll und clever werden hier nicht nur die Täter überführt, der Autor macht sich auch auf leise und ironische Weise über das Subgenre der Serienmörder lustig. Gleichwohl bleibt das Buch vor allem eines: ein hypnotischer Thriller mit enormer Sogwirkung.
Jo Nesbø: Das fünfte Zeichen : Kriminalroman / Aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob. – Berlin : Claassen, 2006
ISBN-13: 978-3-546-00397-1
ISBN-10: 3-546-00397-7Originalausgabe: Jo Nesbø: Marekors. – Oslo : H. Aschehoug & Co, 2003
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Lesereise Jo Nesbø:
Der norwegische Autor Jo Nesbø kommt auf Lesereise nach Deutschland. Die Termine:
- Köln: 27. März 2006, 19 Uhr
Ludwig Presse und Buch, Hauptbahnhof, Eintritt frei- München: 28. März 2006, 19 Uhr
Club Ampere, Muffatwerk, Zellstr. 4, Eintritt € 7,-- Bremen: 29. März 2006, 20 Uhr
Buchhandlung Geist, Am Wall 161, Eintritt frei- Berlin: 30. März 2006, 20.30 Uhr
Kalkscheune, Johannisstr. 2, Eintritt € 9,-/7,-- Hamburg: 31. März 2006, 19.30 Uhr
Speicherstadtmuseum, St. Annenufer 2, Eintritt € 9,50/7,50
Kommentare
[…] Der norwegische Krimiautor Jo Nesbø hat bislang fünf Romane um den Polizisten Harry Hole geschrieben, der sechste Roman ist in Arbeit. Vor einigen Wochen erschien der fünfte Band aus dieser Reihe auch bei uns in deutscher Übersetzung unter dem Titel “Das fünfte Zeichen”. Aktuell ist dieser Krimi auch auf der KrimiWelt-Bestenliste vertreten. Jo Nesbø ist aber nicht nur ein erfolgreicher Kriminalschriftsteller, er hat auch als Aktienmakler und Musiker gearbeitet. Reichlich Themen also, über die ich mit ihm während eines Interviews sprechen konnte. Wie sein Harry Hole entstanden ist, wie wichtig die Erfahrungen seines Vaters im Zweiten Weltkrieg für eines seiner Bücher war und vieles mehr verrät er im englischsprachigen Interview, das Sie hier als Krimiblog Podcast Nr. 4 hören können. Dazu gibt es auch akustische Einblicke in seine Arbeit als Musiker. […]