Nostalgisches Krimihandwerk
vom Krimiblogger
Magdalen Nabb: Eine Japanerin in Florenz
Zwischen all den paranoiden Verschwörungsthrillern und den bluttriefenden Serienmörderschmökern nehmen sich die Kriminalromane von Magdalen Nabb wie kleine Oasen für gestreßte Leser aus. Wer ein wenig Ruhe, Abstand und vor allem Besinnung braucht, der sollte einen kurzen Leseurlaub in Florenz einlegen. Dort lässt die gebürtige Engländerin Nabb ihren Salva Guarnaccia, Maresciallo bei den Carabinieri, gemütlich durch die Viertel bummeln. Doch auch im sommerlichen Florenz ist die Welt nicht mehr in Ordnung. Während eines Streifzugs durch sein Viertel wird er zu einer Leiche gerufen. Gefunden wurde die Tote in einem Brunnen in den beliebten Boboli-Gärten. Eine Leiche ohne Gesicht, denn die Frau hat schon längere Zeit in dem Brunnen gelegen.
Die Fische haben die Frau entstellt, die gesichtslose Tote gibt dem Maresciallo Rätsel auf. Eine bei der Leiche entdeckte Handtasche mit Papieren führt ihn zunächst in die Irre. Die Besitzerin der Tasche lebt und hat, wenn auch anonym, den Leichenfund gemeldet. Dem Maresciallo hilft dies nur wenig, die Identität der Toten bleibt ihm zunächst verborgen. Kleidungsstücke und ein Schuh des Opfers führen ihn schließlich auf eine erste Spur. Der Schuh stammt von dem knurrigen und kauzigen Schuhmacher Peruzzi. Hier findet der Maresciallo die Lösung: Bei der Toten handelt es sich um die bildhübsche Japanerin Akiko, die bei dem Handwerker eine Lehre absolvierte.
Akiko, zu Lebzeiten eine junge, ehrgeizige Frau, war aus der Enge und den Pflichten ihres japanischen Elternhauses geflohen. In Florenz fand sie durch die Ausbildung bei Peruzzi endlich die Freiheit, die sie sich gewünscht hatte. Zudem war sie, wie der Schuhmacher erzählt, sehr talentiert. Wofür andere fünf Jahre brauchten, lernte Akiko innerhalb eines Jahres. Verständlich, dass der alte und kranke Peruzzi dran dachte, seine Werkstatt und seinen Laden ihr zu überlassen. Doch in letzter Zeit sorgte ein junger Mann für einige Aufregung. Akiko hatte einen unbekannten Freund und sie war, wie die Autopsie zeigt, schwanger. Der Maresciallo macht sich auf die Suche nach diesem Freund und erlebt dabei eine traurige Überraschung.
Erinnerungen an Maigret
In seinem dreizehnten Fall erscheint Maresciallo Guarnaccia einmal mehr mit all seinen menschlichen Stärken und Schwächen. Magdalen Nabb räumt ihm, seinen Gedanken und seiner Familie wie gewohnt viel Platz ein. Dabei spielt zum Beispiel sein Verhältnis zu seinen beiden Söhnen, die in oder kurz vor der Pubertät stecken, eine wichtige Rolle. Die Entfremdung innerhalb der Familie ist ebenso präsent wie die Entfremdung, die der Maresciallo in seinem Viertel erleben muss. Als gebürtigen Sizillianer und ermittelnden Beamten schlagen ihm auf einmal Misstrauen und Argwohn entgegen, obwohl er seit Jahren dort lebt und sich eigentlich als Einheimischer fühlte. Ein Trugschluss, wie sich herausstellt.
Das Motiv der Fremdheit durchzieht den Roman noch in einer anderen, fein ausgearbeiteten Facette: Die junge Japanerin, die sich in der ihr fremden Kultur schnell zurecht gefunden hat, aber durch die Liebe zu ihrem Freund an ihre Grenzen stieß. Das sie als gesichtslose Leiche ohne Identität gefunden wird, und ihr erst durch den Maresciallo diese Identität wiedergegeben wird, ist nur einer der grandiosen Schachzüge, die Magdalen Nabb in ihren Roman einbaut. In einer klaren, schnörkellosen Sprache erkundet die Autorin das Verhältnis von Fremde und Heimat sowie von Vertrauen und Misstrauen zwischen den Generationen, ohne dabei einfache Antworten zu liefern. Dies alles vor der Kulisse der alten, florentinischen Mauern, die scheinbar ständig restauriert werden und, wie in einem Fall, mit rosa Kacheln verschandelt werden. Eine alte Stadt, die sich in einem schnellen Tempo wandelt, so dass einige der dort lebenden Menschen mit diesem Tempo nicht Schritt halten können oder wollen.
Magdalen Nabb spürt diesen Menschen mit ihrer schlichten, bedachten Prosa nach, entdeckt die Flicken und Brüche und zeichnet ein liebevolles und gelungenes Porträt. Das mag man altmodisch oder nostalgisch nennen. Es ist zugleich tröstlich, dass zwischen all den Geheimbünden, Psychopathen und Pathologen immer noch Platz ist für traditionelles Krimihandwerk, das an Georges Simenon und seinen Kommissar Maigret erinnert und in dessen Mittelpunkt vor allem die alltäglichen Dramen stehen, die uns näher sind als CIA oder FBI.
Magdalen Nabb: Eine Japanerin in Florenz : Guarnaccias dreizehnter Fall; Roman / Aus dem Englischen von Ursula Kösters-Roth. – Zürich : Diogenes, 2006
ISBN 3-257-06524-8Originalausgabe: Magdalen Nabb: The Innocent. – New York : Soho Press, 2005
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Kommentare
ich bin großer nabb-fan!
*nickt
weint der Maresciallo immer noch, wenn er die Sonne sieht?
JL
Ich ahnte, lieber JL, dass Sie begeistert sein würden. Nein, der Maresciallo weint nicht. Ich habe auch nicht geweint. Mochte das Buch trotzdem.
Du siehst, liebe Anobella, wir sind allein mit unserem Nicken. Jetzt fehlt eigentlich nur noch du-weißt-schon-wer…
Einen schönen Restsonntag
Ludger
Auf Verdacht abgenickt. Drei BlogbetreiberInnen können nicht irren.
bye
dpr
Ich habe schon länger keinen Krimi mehr von Magdalen Nabb gelesen. wir vielleicht mal wieder Zeit, dass ich es tue.
Dieses Buch, liebe Claudia, lohnt sich. Wie auch der Vor-Vorgänger „Nachblüten“.
[…] Der triste Hamburger Hotelalltag ist schnell vergessen, als Magdalen Nabb über Florenz erzählt. Ob das Thema der eigenen Identität in einer fremden Kultur, dass in ihrem aktuellen Roman „Eine Japanerin in Florenz” eine Rolle spielt, auf biografischen Erfahrungen beruht, möchte ich wissen. „Nein, es ist nicht biografisch.” lautet ihre bestimmte Antwort. „Es ist ein Teil des Lebens in Florenz. Nicht in meinen Leben, aber in Florenz. Jeder außerhalb der Stadtmauern ist dort ein Fremder. Ein Süditaliener, wie Maresciallo Guarnaccia, ist viel mehr ein Ausländer als ich es bin, denn die Engländer und die Florentiner stehen sich nahe.” erklärt sie. Die Engländer halfen den Florentinern, als sie sich von der österreichischen Vorherrschaft lösten und die Engländer haben die Florentiner beim Risorgimento unterstützt. Ihr Guarnaccia hingegen bleibt ein Fremder, stellt sie klar. „Die Menschen in seinem Viertel kennen ihn mittlerweile, mögen ihn auch, aber er bleibt ein Ausländer. So ist das Leben in Florenz, mit mir hat das aber nichts zu tun.” […]
[…] nachgelesen werden. Meine Besprechung ihres Kriminalromans Eine Japanerin in Florenz findet sich → hier. Diesen Beitrag als Lesezeichen speichern […]