Stumpfe Zeichnungen

vom Krimiblogger

ErmittlungenJuan José Saer: Ermittlungen

Es mag Luxus sein, einen Kriminalroman gleich mit zwei Lösungen zu beenden. Ob der Autor Juan José Saer sich und seinen Lesern diesen Luxus gerne gegönnt hat, vermag ich nicht zu sagen, auch nicht, wieviel Anstrengung ihn dieses Doppelende gekostet haben mag. Klar ist aber, dass beide Lösungen plausibel und logisch sind und mich dennoch etwas ratlos zurück gelassen haben. Nur einer der Schachzüge, die der gebürtige Argentinier in seinem Roman „Ermittlungen“ auffährt. Saer, als Sohn syrischer Einwanderer 1937 geboren und seit 1968 in Paris lebend, erzählt nämlich gleich drei Geschichten auf einmal.

Zunächst eine Mordgeschichte, die in Paris angesiedelt ist. Ein Serienmörder hat in nur neun Monaten 27 ältere und alleinstehende Frauen brutal ermordet. Kommissar Morvan soll den Täter zur Strecke bringen. Eine wahre Geschichte, anhand von Statistiken belegt, wie uns der zunächst namenlose Erzähler versichert. Dieser Erzähler entpuppt sich nach einigen Seiten als Pichón, laut Klappentext eine Hommage an den amerikanischen Autor Thomas Pynchon (u.a. „V“, „Die Enden der Parabel“, „Vineland“ ). Pinchón besucht zwei Freunde in seiner alten argentinischen Heimat und berichtet ihnen bei einem gemeinsamen Essen von eben diesem angeblich wahren Kriminalfall von drüben, aus dem alten Paris. Die dritte Erzählebene bildet ein unter mysteriösen Umständen gefundenes Typoskript aus dem Nachlaß des Dichters Washington Noriega (ja, die Anspielung auf den Diktator aus Panama ist gegeben), das den Titel „In den griechischen Zelten“ trägt und während des trojanischen Krieges spielt. Jenes Typoskript, das der Leser nur durch die Gespräche von Pinchón und seinen beiden Freunden kennenlernt, scheint wie eine Verdichtung dessen, was die Freunde diskutieren: Was ist Wahrheit, was Fiktion? Diese Frage gipfelt dann in so wunderschönen Phrasen wie der folgenden, die sich auf die Soldaten in Troja bezieht:

„Der Alte Soldat besitzt die Wahrheit der Erfahrung und der Junge Soldat die Wahrheit der Fiktion. Sie sind niemals identisch, doch obwohl sie einen unterschiedlichen Rang einnehmen, müssen sie sich nicht immer widersprechen.“

Niemals identisch, doch nicht immer widersprüchlich zeigen sich also Erfahrung und Fiktion. Der Fall des Serienmörders in Paris scheint dieser Behauptung recht zugeben. Auch hier gibt es die Wahrheit der Erfahrung, die einen – wahrhaftigen – Täter präsentiert und die Wahrheit der Fiktion, die einen anderen Täter, der es auch hätte seien können, am Ende aufzeigt. Mit der Lösung lässt Saer seinen Leser allein zurück. Große Lust, diesem Rätsel nach zu gehen, verspürte ich nach dem Zuklappen des Buches jedoch nicht. Zu quälend war die Lektüre, zu konstruiert die elendig langen Sätze, die Saer seinen Lesern zumutet. Während der Verlag den hierzulande unbekannten Autor schon als Nachfolger von Jorge Luis Borges und Julio Cortázar feiert, fragte ich mich ernsthaft, ob der gute alte Borges – Patron aller Bibliothekare – sich nicht im Grab umdrehte ob dieses Vergleiches. Da, wo Borges eine überbordende Phantasie an den Tag legte, wo wunderbar plastische, fast dreidimensionale, surreale Räume entstanden („Die Bibliothek von Babel“ ist für mich immer noch so etwas wie ein heiliger Text), gibt es bei Saer leider nur flache, stumpfe Zeichnungen. Die sind recht hübsch, zierlich und zeugen von einer gewissen Begabung, verfügen aber längst nicht über die Tiefe eines Jorge Louis Borges.

Trotz seines Doppelendes ein eher durchschnittlicher Text aus Lateinamerika also, der dennoch angeblich weit über das Genre des Kriminalromans hinaus weist. Nur wohin? Eine Antwort habe ich nicht gefunden – genauso, wie ich bis jetzt immer noch nicht weiß, wer den nun der wahre Killer in Paris war. Aber damit kann ich ganz gut leben und lese lieber Jorge Louis Borges. Der ist hierzulande leider auch schon fast vergessen.

Juan José Saer: Ermittlungen / Aus dem Spanischen von Hanna Grzimek. – Köln : DuMont, 2005
ISBN 3-8321-7906-2
Originalausgabe: Juan José Saer: La Pesquisa. – Buenos Aires : Compaña Editora Espasa Calpe Argentina SA / Seix Barral, 1994

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