TagesSatz

vom Krimiblogger

„Aus philologischer Sicht war es unerklärlich, wie ein einzelner Text Lust erzeugen sollte. Wenn man etwa bei einem Satz von Lin Shu jedes Wort durch ein Synonym ersetzte – also ohne den Sinn auch nur minimal zu verändern -, war diese heimtückische Wirkung dahin. Gisbert machte diese und noch viele andere Proben, bis er zu dem Ergebnis kam, daß sich das System den ihm bekanten Regeln entzog und man die Wirkung eines literarischen Texts vielleicht erklären und auch herausfinden konnte, wie diese Wirkung zustande kam, aber sobald man versuchte, eine Theorie aufzustellen, scheiterte man an der Unwiederholbarkeit des Phänomens. Zu wissen, wie ein bestimmter Text funktioniert, half einem nicht weiter, einen anderen Text zu verstehen, es handelte sich also nicht um universales, nachprüfbares Wissen, sondern um einen Eindruck, ein Wort, auf das Wissenschaftler wie er allergisch reagieren. Trotzdem konnte er sich der dunklen Macht dieses Universums nicht entziehen; er war glücklich und gleichzeitig verstört, daß er diese Tür geöffnet hatte, die er vermutlich nie wieder würde schließen können.“

Santiago Gamboa: Die Blender