Die Qual mit der Moral

vom Krimiblogger

Geißel der Niedertracht
Pincus Jacob Wolfson: Geißel der Niedertracht

Es gibt Kriminalromane, die (bislang) nur Eingeweihte und wirkliche Fans kennen. „Bodies are dust“ des us-amerikanischen Autors Pincus Jacob Wolfson ist so ein Krimi. Schaut man sich ein wenig im Internet um, dann wird klar: Dies muss – nach Worten einiger Kenner – ein Klassiker des Polizeiromans sein. Die 1931 erschienene Originalausgabe ist fast nicht zu bekommen (selbst das Exemplar der Library of Congress scheint einem Langfinger zum Opfer gefallen zu sein – es wird vermisst). Auch an die spärlichen Nachdrucke ist kaum heran zu kommen. In Frankreich hingegen, soviel kann man dem → Vorwort von Silke Buttgereit in der ersten deutschen Ausgabe des Romans entnehmen, ist der Roman zum Klassiker des Polizei-Noir-Roman avanciert. Er diente als Vorlage für den Film „Police“ (1985, deutscher Titel „Der Bulle von Paris) mit Gérard Depardieu und Sophie Marceau in den Hauptrollen. Klingt alles sehr wichtig….

Richtig neugierig wird man, wenn man das – leider mehr ver- als erklärende – Vorwort von Silke Buttgereit weiter liest. Bibel & Noir-Roman – na, wenn das mal keine lesenswerte Kombination ist: Der gute Wolfson soll nämlich für seine todtraurige Polizistengeschichte ein biblisches Vorbild gewählt haben. Es ist die Geschichte von König David der einem anderen Mann, dem Hethiter Uriel, die Frau ausspannt. David schickt Uriel bewusst in den Krieg wo Uriel, wie von David beabsichtigt, stirbt. David heiratet Batseba, doch ihr Sohn, den sie bekommen, wird als Strafe Gottes schwer krank und stirbt (Nachzulesen in 2. Buch Samuel, 11. und 12. Kapitel). Dieses biblische Beispiel von Schuld und Sühne transportiert Wolfson in den modernen Moloch New York zur Zeit der Prohibition.

David wird hier von dem korrupten und egoistischen Inspektor Buck Safiotte gegeben, der beste Verbindungen zur New Yorker Unterwelt unterhält. Er kontrolliert die Speakeasys1 und Bordelle in seinem Bezirk. Das Schmiergeld, das er bekommt, legt er bei dem Bankier Tinevelli an. Dieser dreht krumme Geschäfte und als seine Bank vor der Zahlungsunfähigkeit steht, nimmt er sich das Leben. Inspektor Safiotte hat es mittlerweile auf die Frau seines Untergebenen Jig, ein Jude, abgesehen. Zunächst lässt er Jig die Frau des Bankiers beschützen, um so freie Bahn bei Beth, Jigs Frau zu haben. Buck und Beth verlieben sich. Buck schickt Jig zu einem Gangster ins Hotel, dieser erschießt Jig (wie von Buck erwartet). Endlich hat Buck die Möglichkeit, Beth zu heiraten, die mittlerweile schwanger von ihm ist. Schließlich bringt Beth ein Mädchen zu Welt, das aber, kaum ein Jahr alt, jämmerlich an einer Hirnhautentzündung stirbt.

Christlicher Kitsch oder knallharter Noir?

Umschlag der Originalausgabe von 1931Bis zu diesem traurigen Höhe- und Endpunkt scheucht Wolfson seine Leser durch einen Alptraum: Schmierige und geschmierte Polizisten, Ärzte, die sich mit Nutten herumtreiben, Kinderschänder, Spieler, Drogensüchtige, dazu detaillierte Schilderungen einer Blinddarmoperation oder von Beths Niederkunft, sowie die nüchterne Beschreibung, wie Buck mit seiner Pistole einem der Hintermänner des Bankskandals das Hirn wegpustet. Alles in einer trockenen und spröden Sprache beschrieben, soweit man dies anhand der Übersetzung beurteilen kann.

Liest man „Geißel der Niedertracht“ als Polizeiroman, so dürfte man enttäuscht sein. Im Laufe der Erzählung blendet Wolfson immer mehr den Polizeihintergrund aus und lässt dafür das Schuld-und-Sühne-Drama des Menschen Buck Safiotte in den Vordergrund treten. So entsteht der Eindruck, die Spelunken, die kleinen und großen Gangster und das korrupte Polizeiwesen seien nur Hintergrund für ein menschliches Drama. Von Gott fehlt im New York der 20er Jahre allerdings jede Spur.

Die Strafe, in der biblischen Vorlage von Gott verhängt, trifft Buck ohne Gnade und Ausweg. Während die biblische Geschichte noch einen guten Verlauf nimmt (David und Batseba bekommen ein weiteres Kind), endet Wolfsons Roman mit dem Tod des Kindes. Was bleibt, dass sind „Jazz und Tränen und Tod“. Hierin liegt die eigentliche Wucht und Schlagkraft des Romans: Die gerechte Strafe für amoralisches Verhalten, ohne Erbarmen, ohne Hoffnung, ohne Mitleid. Die Welt ist ein düsterer und ungerechter Ort. Wolfsons Kunst besteht darin, einen hoch moralischen Noir-Roman mit sehr amoralischen Figuren geschrieben zu haben. Das könnte ihn zu einem Klassiker machen – bliebe nicht das ungute Gefühl, dieser Roman ließe sich auch als Lehrbeispiel im Religionsunterricht benutzen. Ist das nun moderne Erzählkunst oder rigoroser Katechismus? Beschreibung des nackten Großstadtelends oder christliche Unterweisung der strengeren Art? Ich bin skeptisch. Grausame Geschichten aus der Bibel kannte ich schon als Kind zur Genüge.

P[incus] J[acob] Wolfson: Geißel der Niedertracht / Übersetzt aus dem Amerikanischen von Conny Lösch und Angelika Müller. – Berlin : Maas, 2005
(Pulp Master; 16)
ISBN 3-929010-57-7

Originaltitel: P[incus] J[acob] Wolfson : Bodies are dust. – New York : Vanguard Press, 1931

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1. Das sind die Kneipen, die während der Prohibition verbotenerweise Alkohol ausschenkten.