Angestaubt

vom Krimiblogger

Via → Watching the detectives

Die September-Ausgabe des Rezensionsforum literaturkritik.de hat sich den → Krimi als Schwerpunkt gewählt. Aus der Sicht eines Krimilesers natürlich eine erfreuliche Wahl. Dennoch ein paar lose Gedanken dazu.

Blicken wir auf die Essays.Auf welchem zeitlichen und räumlichen Stand befinden sich eigentlich die Autorinnen und Autoren? Wirklich Neues erfähre ich zum Beispiel bei Gabriele Wolffs Ausführungen zum Krimi als Idealform des Gesellschaftsromans nicht. Frau Wolff formuliert richtige Thesen, begründet diese aber reichlich merkwürdig. Munter jongliert sie mit dem Begriff „Krimi“, von dem ja jeder weiß, was er eigentlich ist. Wirklich? Ich wäre da vorsichtiger, auch was die Abgrenzungen der sogenannten Subgenres betrifft. Ist es nicht vielmehr schwierig, einen Begriff wie Krimi zu definieren? Das mit der Leiche ist ja schon seit Dorothy L. Sayers längst obsolet. Ist der Psychothriller ernsthaft die „modernste Variante“ des Kriminalromans?

Wenn Frau Wolff ausführt

„Diese Produktorientierung bis hinein in die Sprache ist aber das Dilemma, das tautologische Wendungen der Literaturkritik und der Klappentexter wie die des „literarischen Kriminalromans“ zur Kennzeichnung literarisch ernst zu nehmender Kriminalromane erst hervorbringt.“

so beklagt sie damit richtigerweise die Überschätzung des Handwerklichen, des Kunsthandwerks, zu dem Kriminalliteratur verkommen ist. Wer auf inländische und ausländische Krimiproduktionen schaut, wird feststellen, dass selbst dieses Kunsthandwerk von vielen Autor/innen nicht beherrscht wird. Literatur ist oft in weiter Ferne. Das darf sie dann gerne ihren Kolleginnen und Kollegen vom Syndikat ins Stammbuch schreiben.

Sie schreibt weiter:

„Literatur beginnt erst jenseits der Erfüllung der Form, oft sogar durch gezielten Regelverstoß gegen aktuell herrschende formale Übereinkünfte.“

Dies ist freilich ein zweifelhaftes Argument, denn welche „aktuell herrschende formale Übereinkünfte“ gibt es in der Literatur noch? Spätestens die Beliebigkeit und Freizügigkeit des modernen Romans führt eine solche These ad absurdum. Abgesehen davon, dass man solche nicht vorhandenen Formen als Autor ersteinmal beherrschen müsste, um dann über sie hinaus zu wachsen. Sie übersieht, wie auch einige andere Essayisten in diesem Schwerpunkt, die grundsätzlichen Probleme der modernen erzählenden Literatur, jenseits von Genregrenzen. Der Roman ist tot, es lebe der Roman!

Der Roman (nicht nur der Kriminalroman) treibt, wie Frau Wolff richtig feststellt, sein Unwesen als erwachte Zombies der Lore-, Schmonzetten- und Heile-Welt-Romane, mal als postmoderne Egozentrik verkleidet, mal als effekthaschender Serienkillerthriller, mal als gesellschaftskritische Persiflage. Letztere bedienen sich der einstmals ernsthaften Versuche, den Kriminalroman als Gesellschaftsroman zu etablieren – etwa im Soziokrimi – um mit falscher Betroffenheit und dem notorischen Gut-Mensch-Blick, geklaut bei den Medien, auf die Schlechtigkeit der Welt, beim Leser den Grusel des Alltags zu beschwören, der beim Zuklappen des Buches schnell vergessen ist. Das sind ähnliche Mechanismen wie beim Schauen der Nachrichten. Wie soll da der Kriminalroman gegen angehen? Wird er damit nicht überfrachtet? „Ja“, hört man die Leser schreien, denn sie wollen, wie Frau Wolff richtig feststellt, die Krimi-Märchen. Weil Krimi in vielen Köpfen eben immer noch Unterhaltung bedeutet. Nothing more.Doch dies ist nicht nur ein Problem des Kriminalromans, es ist ein grundsätzliches und bekanntes Problem der erzählenden Literatur.

Wenig aktuell kommt auch Jan Süselbecks Betrachtungen zu Arno Schmidt daher. Letztlich fasst er wichtige Aussagen von Schmidt zum Thema zusammen, führt aber kaum aus, welche Bedeutung diese für die Betrachtung und Bewertung moderne Krimis haben. Wenn man schon so tief in die Kiste greift, dann sollte man wenigstens versuchen, diese tiefgreifenden Erkenntnisse auf das eben schon erwähnte Problem der erzählenden Literatur anzuwenden. Doch die Last der Schmidt’schen Weisheiten war vermutlich zu schwer.

Besonders spannend dürfte es werden, wenn Peter O. Chotjewitz eine Polemik gegen das Krimigenre schreibt. Die Enttäuschung ist groß: Offenbar hat Herr Chotjewitz seinen letzten Krimi vor 30 Jahren in der Hand gehabt, ob er ihn gelesen hat, erschließt sich aus seinen Ausführungen nicht. Polemik wird von mir sehr geschätzt, allerdings sollte der Autor schon wissen, worüber er schreibt. Wer literarisch auf der Stufe von Autoren wie Robert Musil oder Robert Walser – also im letzten Jahrhundert – stehen geblieben ist und sich seinen Lesestoff eh am liebsten selbst schreibt, der sollte sich nicht zu Krimis äußern. Dann hätte man auch Frau Heidenreich als bekennende Nicht-Krimi-Leserin um einen Essay bitten können.

Nein, die Essays in diesem Schwerpunkt sind arg verstaubt und trocken. Dies sieht bei den Rezensionen etwas anders aus. Die meisten sind flott formuliert, greifen sogar zögerlich neue Ansätze in der Kriminalliteratur auf und kommen durchaus streitbar daher. Allein die Auswahl der besprochenen Romane ist sehr eingegrenzt, neuere Werke aus Südamerika, Asien, Australien oder Afrika fehlen gänzlich. Letztlich ist der gesamte Schwerpunkt von einem literaturwissenschaftlichen Mief umgeben, auf den man als stinknormaler Krimileser gerne verzichten kann. Es gibt glücklicherweise bessere Kenner und Autoren, die sich zu diesem Thema äußern können.