Des Krimis neue Kleider

vom Krimiblogger

Berliner Blut
Ullrich Wegerich: Berliner Blut

Ziehen Sie doch einfach mal einen Krimis aus. Nein, nicht den Schutzumschlag herunterreißen, auch nicht die Seiten vom Bucheinband abzupfen. Das meine ich nicht, Sie kleines Ferkel! Nehmen Sie aus einem Krimi einfach mal das alles weg, was Beiwerk und Etikett ist. Klauen Sie dem Regionalkrimi das Regional, betrachten Sie einen historischen Krimi ohne den ganzen geschichtlichen Firlefanz. Denken Sie sich bei Schafs-, Hunde-, oder Katzenkrimis das Viehzeug weg oder lesen Sie einen Psychothriller so, als ob Sie noch nie etwas von Psychologie gehört hätten. Was dann da so mickrig, zitternd und fröstelnd in Ihrer Hand liegt ist der Krimiplot, der Kern, die eigentliche Geschichte. Niedlich, gell? Der will Sie erschrecken, Ihnen Angst einjagen, der kleine Wurm. Bei vielen Krimis ist es ja nur noch ein Wurm, der da übrig bleibt.

Zahlreiche Krimiautorinnen und -autoren sind wahre Meister darin, ihr nicht vorhandenes Erzähltalent zu kaschieren. Nun ist das nicht verwunderlich in einer Branche, in der Lügen und Blenden zum Handwerkszeug gehört. Statt einen ordentlichen Plot zu entwickeln, fahren sie erst einmal viel bunte Maskerade und zahlreiche Kostüme auf. Dann klatschen sie kiloweise Make-up auf den kleinen Wurm. So aufgetakelt und in aufgeplusterte Klamotten gesteckt sieht er aus wie ein Prachtbursche, der Sie um den Schlaf bringen will.

Im Vergleich zu diesem oft veranstalteten Popanz wirkt der Debütkrimi von Ullrich Wegerich geradezu minimalistisch, karg und spröde. Der Autor beschränkt sich nämlich in seinem Roman „Berliner Blut“ fast ausschließlich auf die Krimihandlung. Eine junge Frau liegt erschlagen in einem heruntergekommenen Mietshaus in Berlin Charlottenburg. Carmen Schwarzenau, so der Name des Mordopfers, war eine der letzten Mieterinnen in diesem Haus, das sich ein Immobilienhai unter den Nagel gerissen hat. Auf Senatskosten lässt er es entmieten, um es anschließend abzureißen und schicke Eigentumswohnungen zu bauen. Carmen hatte sich dagegen gewehrt – ist sie deshalb Opfer des gierigen Hausherrn geworden?

Konzentrierte Spannung

Ganz so einfach ist die Geschichte natürlich nicht gestrickt, denn Carmen hatte ein abwechslungsreiches Berufs- und Privatleben. Sie arbeitete als Schreinerin in einer Werkstatt, die zu einem betreutem Wohnprojekt für misshandelte Mädchen gehört. Kommissar Robert Mannheim und sein Team befragen die dort arbeitenden Betreuerinnen, die scheinbar nur wenig zu Aufklärung beitragen können. Aufschlußreicher könnten die Aktfotos von Carmen sein, welche die Ermittler in der Wohnung der Toten finden. Für wen hat sie sich so ablichten lassen? Für ihren eifersüchtigen Ex-Liebhaber oder für ihren aktuellen Freund? Beide Männer geben sich wortkarg und waren offenbar nicht die einzigen, mit denen Carmen das Bett teilte. Dann geschieht ein zweiter Mord…

Es ist erstaunlich, wie sehr sich Ullrich Wegerich auf die Ermittlungsarbeit der Polizei beschränkt. Sicher gibt es kleine Abschweifungen, zum Beispiel zum Berliner Stadtbild irgendwann in den 1990er Jahren, als die deutsche Hauptstadt eine riesige Spielwiese für Immobilienspekulanten war. Zu diesen Abschweifungen gehören ebenfalls kurze Einblicke in das Privatleben der Ermittler – aber insgesamt konzentriert sich der Autor auf die eigentliche Krimihandlung und ihren Fortgang. Sein Ton ist dabei ruhig und fast schon spröde. Er erzählt unterhaltsam, baut langsam Spannung auf, hält aber Distanz zu seinen Figuren.

Keine Frage, es gibt den ein oder anderen kleinen Patzer in diesem Roman. Gerade zu Anfang holpert die Sprache noch ein wenig vor sich hin, das verläuft sich aber im Laufe der Geschichte. Auch mit Ausrufezeichen darf der Autor in seinem nächsten Krimi sparsamer umgehen. Letztlich aber hebt sich der Roman durch seine schnörkellose Erzählhaltung und seinen spröden Charme aus der gängigen Krimiproduktion hervor. Ohne viel Aufsehen und ohne Überfrachtung erzählt Wegerich eine spannende und authentische Geschichte. Es ist nicht der „Mega-Krimi“ zum Thema Berliner Immobilienspekulation, es ist auch kein Berliner Regiokrimi mit einem Schuss Erotik. „Berliner Blut“ ist einfach eine Geschichte, die sich selbst trägt und kein übertriebenes Make-up und bunte Kostüme braucht. Verblüffend, dass es solche Krimidebüts noch gibt.

Ullrich Wegerich: Berliner Blut. – Würzburg : Königshausen & Neumann, 2005
ISBN 3-8260-3054-0

Buch bestellen bei:
» amazon.de » libri.de » buch24.de