Von Gefühlen, Ehre und einem Tatort (Update)
vom Krimiblogger
Die Entscheidung des Droste-Verlags, den Krimi „Wem Ehre gebührt“ von Gabriele Brinkmann nicht zu veröffentlichen, halte ich für problematisch, vor allem wenn man sich das momentane Gekreische anhört. Hätte der Verlag das Buch veröffentlicht, hätte es wohl bis auf ein paar „Rezensionen“ in den Lokalzeitungen kaum eine Reaktion gegeben. Das Buch einer drittklassigen Krimischreiberin, die bisher so gut wie nicht aufgefallen ist, wäre im allgemeinen Bücherrauschen des Herbstes still und leise untergegangen. Nun aber wird einmal wieder die Sau „Zensur“, „Selbstzensur“ und „Kuschen vor dem Islam“ durchs virtuelle Dorf gejagt. Spätestens in einigen Tagen wird das dann auch durch sein.
Der Verleger Felix Droste hatte die Veröffentlichung des Buches zurückgezogen, weil er befürchtete, durch einige Passagen im Buch könnten die „religiösen Gefühle Dritter“ verletzt werden. Das ist eine nachvollziehbare Begründung und eine nachvollziehbare Entscheidung, die man für falsch oder richtig halten kann, die aber das gute Recht eines Verlegers ist. Schließlich ist er derjenige, der das Risiko für die Veröffentlichung in seinem Verlag trägt, in ethischer und finanzieller Hinsicht. Es mag ungeschickt gewesen sein, dass die Veröffentlichung des Buches schon soweit voran geschritten war, es gab offenbar schon Druckfahnen und das Buch wurde als Herbstnovität des Verlages angekündigt. Das ist bedauerlich, aber natürlich kann auch dann immer noch ein Verlag die Veröffentlichung stoppen. Der Verlag spricht in einer → Pressemitteilung davon, dass „der Vertrag in gegenseitigem Einverständnis mit Rückgabe aller Urheberrechte und Forderungen aufgelöst worden ist.“
Die Autorin hingegen wirft dem Verlag vor, dass ein Gutachten der Rechtsanwältin Gülsen Celebi, die das Manuskript Hinblick auf Sicherheitsrisiken prüfen sollte, nicht mit ihr abgesprochen wurde. Dieses Gutachten kommt zu dem Schluss, dass fünf Stellen im Roman geändert werden sollten. Gabriele Brinkmann war jedoch zu diesen Änderungen nicht bereit und beruft sich auf die „Freiheit des Wortes“. Schließlich seien es ja fiktive Figuren, die im Roman solche Halbsätze formulieren wie „… schiebt euch euren Koran doch …“. In einem → Fernsehinterview (ab etwa 04:17) behauptet die Autorin: „In einem Roman, in einer fiktiven Geschichte dürfen Figuren alles sagen. (…) Da dürfen sich Figuren austoben und bestimmte Dinge sagen, die man vielleicht lieber auf der Straße (…) nicht so sagen sollte.“ Fiktion darf also alles – auch wenn man selbst bestimmte Sätze öffentlich auf der Straße nicht sagen sollte. Das kann man so sehen, man kann aber auch durchaus die Auffassung vertreten, dass Romanfiguren „nicht alles sagen“ dürfen – was auch immer das im Einzelfall bedeuten mag. Steht die „Freiheit der Kunst“ tatsächlich über allem?
Im konkreten Fall hat dies nichts mit „Kuschen“ zu tun, sondern wenn der Verleger die mögliche Verletzung religiöser Gefühle für wichtiger erachtet, als die Formulierungsgabe seiner Autorin, so gilt es, dies zu respektieren. Es gibt hier – kurz gesagt – kein „richtig“ oder „falsch“. Wie gesagt, wäre das Buch so veröffentlich worden, glaube ich nicht, dass es ein großes Echo gegeben hätte. Brennende Botschaftsgebäude, Bücher in Flammen oder gar eine Fatwa gegen Frau Brinkmann wären wohl sehr unwahrscheinlich gewesen – denn wer, außer ein paar Lesern, hätte von diesem Buch gewusst?
Nun aber ist es anders gekommen und die Autorin hat offenbar einiges dazu beigetragen, um jetzt einen kleinen Medienrummel loszutreten. Dies gipfelt dann auch in einer → dümmlichen Erklärung des „Syndikats“, in dem zweimal das Wort „Ehre“ fällt. Wie lustig bei einer Vereinigung, die sich selbst ja gerne als „ehrenwert“ bezeichnet. Offenbar haben die organisierten Krimiautor/innen von vorgestern nicht verstanden, um was es dem Verleger primär geht – nämlich um die Verletzung von religiösen Gefühlen. Und wenn eine Autorenvereinigung, die ja auch schon einen Schreiber von Nazipropaganda mit einem Preis ausgezeichnet hat und die sich ansonsten herzlich wenig um wirklich verfolgte, verhaftete und ermordete Autoren kümmert, von „Ehre“ spricht, so darf man sich seinen Teil denken.
Bleibt die Frage, warum Frau Brinkmann ihren Roman – der ja jetzt jederzeit von einem anderen Verleger veröffentlicht werden könnte – soviel zum Thema „Zensur“ – und der sich bestimmt wie geschnitten Brot verkaufen würde, besonders in gewissen Kreisen – den Titel „Wem Ehre gebührt“ gegeben hat. Genau diesen Titel trug auch eine → „Tatort“-Folge aus dem Jahr 2007, in der es um den Inzestfall in einer Familie alevitischen Glaubens geht, und die damals unter anderem zu einer Demonstration von über 10.000 Menschen führte, die sich gegen die Ausstrahlung des Films wandten. Ein Schelm, der bei dieser Titelwahl etwas Böses denkt.
Linktipp:
Wer sich für wirklich verfolgte Autoren und Journalisten interessiert, der sollte einmal auf der Internetseite des P.E.N.-Zentrums nachschauen. Diese → „Caselist“ hätte in der Tat viel mehr Aufmerksamkeit verdient. Auch von Krimiautoren.
Update:
Der Verleger Felix Droste hat sich ausführlicher in einem Interview bei der taz zu seinem Rückzieher geäußert. Lesenswert.
Kommentare
Mit dem Hinweis auf inhaftierte Autoren in anderen Ländern das Eintreten für die schriftstellerische Freiheit hierzulande als „lächerlich“ zu diffamieren, ist billiger Unfug. Auch Krimiautoren, die an der Hamburger Zimmerpforte „bisher so gut wie nicht“ aufgefallen sind, muss es möglich sein, in ihren Romanen Figuren auftreten zu lassen, ohne auf die Kompatibilität der Dialogsätze mit den Dogmen irgendwelcher Religionen zu achten. Wo wären wir heute, wenn die Literatur der Aufklärung nicht die damals herrschenden religiösen Gefühle verletzt hätte? Beim Krimi zählen Spannung, Intensität, Wahrhaftigkeit. Nicht das Schielen darauf, tunlichst nicht anzuecken. Zumal „Gott“ ja letztlich auch nur eine literarische Figur ist, wenn auch eine verdammt populäre. So populär, dass Ludger Menke dessen Erfinder sicher nicht mal nebenbei als „drittklassig“ abstempeln würde. Herzlichen Gruß.
Ach, lieber Herr Eckert, Ihre überragende Sensibilität als politischer Unterhaltungsschriftsteller erstaunt mich doch immer wieder. Da treten Sie mit einem Satz den Glauben von Millionen von Menschen an „Gott“ als literarische Fiktion in die Tonne. Dabei ist es egal, ob dieser den Namen Gott, Jahwe oder Allah trägt. Jedem ist es unbenommen, in „Gott“ eine literarische Fiktion zu sehen, es gilt aber auch zu respektieren – übrigens auch eine Errungenschaft der Aufklärung und des Humanismus – dass viele Menschen eine Gottesliebe und andere religiöse Gefühle spüren und erleben, die man nicht so leichthin verletzen sollte. Vor allem nicht mit dem Ziel, einfach nur alberne Witze oder schlechte Dialoge auf’s Papier zu bringen. Auswüchse wie fundamentalistische, gar gewaltbereite Christen, Juden oder Moslems rechtfertigen nicht, den gelebten Glauben der überwiegend friedlichen Gläubigen leichthin dem Spot oder der Verachtung auszusetzen. Das gehört übrigens genauso zur „schriftstellerischen Freiheit“ – der sorgfältige und nachdenkliche Umgang mit ihr. Von daher sage ich noch mal: Auch Kunst (oder das, was sich dafür hält), darf nicht alles, vor allem darf sie nicht bedenkenlos sein.
Es erschreckt mich schon sehr, dass dieses kollektive Gekreische und Geschreie nach „Freiheit“ so unreflektiert in die Welt gebrüllt wird. Es mag ein Gemeinplatz sein, aber die Freiheit des Einzelnen hat auch immer ihre Grenze in der Freiheit des Andersdenkenden. Anders kann keine Gesellschaft (und übrigens auch keine Literatur) funktionieren. Es gibt keine grenzenlose Freiheit – erst recht nicht für Autoren, die noch so etwas wie Verantwortungsgefühl besitzen. Im „Syndikat“ mag man das anders sehen, aber dort gibt es ja auch Leute, die sich „Dolferl“ rufen lassen oder Leute, die Bücher veröffentlichen, die das Leid von Folteropfern im Naziregime verballhornen und in den Dreck ziehen.
Gerade deshalb ist auch mehr als legitim auf die Feigheit, Trägheit und Unfähig des „Syndikats“ hinzuweisen, dem bislang die wirklich verfolgten Kollegen und Kolleginnen – egal, ob sie in China, Russland, Afghanistan oder Venezuela leben – am Arsch vorbei gegangen ist. Dafür springt man hysterisch auf, wenn eine drittklassige Autorin eine lächerliche Pressekampagne lostritt, um wenigsten etwas Aufmerksamkeit für ihr Geschreibsel zu bekommen. Und wenn Ihre Solidarität doch so groß ist mit der Kollegin, warum nimmt es dann das „Syndiakt“ nicht selbst in die Hand und veröffentlicht das Buch? Wenn es doch so wichtig für unsere Freiheit ist? Der „Verlag der Criminale“ wird sich sicher gerne des Buches annehmen, davon bin ich überzeugt. Ganz mutig und tapfer im Kampf für die „schriftstellerische Freiheit“.
Herzlichst
Ihr
Ludger Menke
„eine Autorenvereinigung, die ja auch schon einen Schreiber von Nazipropaganda mit einem Preis ausgezeichnet hat“ – wen denn?
1995 Herbert Reinecker für seine besonderen Verdienste. Wurde aber nie groß thematisiert.