Der Doktor und die lieben Maden

vom Krimiblogger

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Simon Beckett: Die Chemie des Todes

Haben Sie es gemerkt? Am letzten Freitag gab es eine weltweite Buchpremiere. Noch vor der offiziellen Veröffentlichung in Großbritannien Anfang März ist seit dem 17. Februar das neue Buch von Simon Beckett „Die Chemie des Todes“ in den deutschen Buchhandlungen lieferbar. Dass eine Übersetzung noch vor dem Original erscheint, wenn auch in einem sehr kurzen, zeitlichen Abstand, ist ein seltenes Ereignis in der deutschen Verlagswelt und wird normalerweise mit ziemlich viel Werbeaufwand begleitet. Mancher erinnert sich vielleicht noch an das Tamtam, als 1996 der sechsbändige Fortsetzungsroman „The Green Mile“ von Stephen King weltweit gleichzeitig veröffentlicht wurde. Nun ist Simon Beckett nicht Stephen King: Bislang ist der britische Autor, der in seiner Heimat vier Romane veröffentlicht hat, bei uns nicht aufgefallen. „Die Chemie des Todes“ ist sein fünfter Roman und ein schönes Beispiel dafür, wie mit schlechtem Marketing ein schlechter Roman unter die Leserschaft gejubelt werden soll.

Becketts Buch kommt inhaltlich aus dem Baukasten „Forensiker vs. Serienmörder“: Ich-Erzähler Dr. David Hunter war einst Englands renommiertester forensischer Anthropologe. Nach dem Unfalltod seiner Frau und seiner Tochter zieht er sich als Arzt in den kleinen Ort Manham in Devonshire zurück. Drei Jahre lebt er dort, ohne dass seine neuen Nachbarn über seine berufliche Vergangenheit etwas wissen. Im Dorf bleibt er ein Außenseiter. Dann jedoch wird die verweste Leiche der Schriftstellerin Sally Palmer entdeckt. Dem Opfer wurden zwei Schwanenflügel angesteckt. Zunächst gerät Hunter unter Verdacht, die Schriftstellerin ermordet zu haben. Als jedoch die Polizei erfährt, dass Hunter einst ein anerkannter Rechtsmediziner war, spannt sie ihn in ihre Ermittlungen und Nachforschungen ein.

Die anderen Dorfbewohner erfahren nichts über seine heimliche Unterstützung der Polizeiarbeit und so kommen Gerüchte auf: Warum holt ihn der ermittelnde Inspektor immer wieder in seiner Praxis ab? Besonders dem konservativen Dorfpfarrer Scarsdale ist Hunter ein Dorn im Auge, und so schürt der Geistliche in seinen Predigten eine Atmosphäre der Angst und der Schuld. Die Paranoia steigert sich als eine zweite Frau aus dem Dorf verschwindet. Mittlerweile ist es Hunter gelungen den Todeszeitpunkt des ersten Opfers halbwegs einzugrenzen. Danach hielt der Täter sein Opfer drei Tage am Leben und folterte es, bevor er es ermordete. Hält sich der Serienmörder an sein Muster, so bliebe auch dem neuen Opfer nicht mehr viel Zeit zum Überleben. Die Suche nach der Frau in den nahe gelegenen Wäldern und Wiesen wird durch aufgestellte Fallen erschwert, die vermutlich der Mörder gelegt hat. Dann wird eine zweite Leiche gefunden, allerdings von einem jungen Mann. Der Fall wird komplizierter.

Flickwerk und falsche Fährten

the_chemistry_of_death.jpgBeckett mischt seinen Forensik-Thriller mit der düsteren Atmosphäre eines kleinen, englischen Dorfes und einer tränenreichen Liebesgeschichte. Ein bekanntes Design: Ländliche Idylle hinter der sich so manche Geheimnisse, Obsessionen und Rachegelüste verbergen. Dazu der ambivalente Held Hunter, zerrissen zwischen der Trauer um seine tote Frau und Tochter und einer aufkeimenden Liebe zu einer jungen Lehrerin aus dem Ort. Es kommt natürlich, wie es kommen muss: Der Serienkiller schnappt sich auch noch die junge Lehrerin und Hunter muss endlich handeln – auch gegen den Willen der Polizei – um seine neue Geliebte aus den Klauen der Bestie zu befreien. Ein platter Plot, erzählt in einem platten Stil.

Da nützen auch die ersten beiden Seiten des Romans nichts, in denen Beckett ein Stilleben der Verwesung entwirft. Nüchtern beschreibt er, was so geschieht, wenn man stirbt:

»Kaum ist das Leben aus dem Körper gewichen, wird er zu einem gigantischen Festschmaus für andere Organismen. Zuerst für Bakterien, dann für Insekten. Fliegen. Aus den gelegten Eiern schlüpfen Larven, die sich an der nahrreichen Substanz laben und dann abwandern. Sie verlassen die Leiche in Reih und Glied und folgen einander in einer ordentlichen Linie, die sich immer nach Süden bewegt. Manchmal nach Südosten oder Südwesten, aber niemals nach Norden. Niemand weiß, warum.«

Das ist billige Effekthascherei, die Beckett glücklicherweise nur noch einmal im Buch anwendet. Billig sind auch die penetrant eingebauten Cliffhanger, mit denen der Autor versucht, seine platte Erzählung zusammen zu kleben. Sätze wie »Ohne darüber nachzudenken, traf ich eine Entscheidung, die nicht nur die kommenden Wochen bestimmen sollte, sondern die mein Leben und das Leben anderer verändern sollte.« oder »Damals wusste ich es noch nicht, aber das sollte sich bald auf eine Weise bewahrheiten, die ich am wenigsten erwartet hätte.« oder »In den kommenden Tagen sollte ich an diesen Nachmittag als einen letzten Silberstreif am Horizont zurückdenken, bevor der Sturm losbrach.« sind nichts als schlechtes und kitschiges Flickwerk, deren Aufgabe es ist, der abgedroschenen Handlung so etwas wie Spannung zu verleihen.

Ein schlecht konstruierter und geschriebener Roman also, der weder dem Forensik-Thema noch dem Serienkiller-Motiv wirklich etwas Neues abgewinnt. Dazu kommt ein miserables Marketing: Wenn es schon eine solche Premiere gibt, dann darf man als Verlag auch darauf hinweisen – selbst wenn das Buch grottenschlecht ist. Unglücklich ist ebenfalls die Wahl des Buchtitels, denn das Wort „Chemie“ führt offenbar einige potentielle Leser auf eine falsche Fährte. Die vermuten nämlich ein Sachbuch dahinter. Bleibt die schlichte Gestaltung des Schutzumschlags, die auf den ersten Blick raffiniert erscheint. Schwarzer Rand, schwarze Schrift, weißer Hintergrund. Das erinnert an eine Todesanzeige oder an einen Trauerbrief, der einem mitteilt, dass jemand gestorben ist. Eine unangenehme Assoziation, die zwischen den vielen bunten Covern auf den Neuerscheinungstischen zudem untergeht. Was bei diesem Buch kein Verlust ist.

Simon Beckett: Die Chemie des Todes : Thriller / Deutsch von Andree Hesse. – Reinbeck bei Hamburg : Wunderlich, 2006
ISBN-13: 978-3-8052-0811-6
ISBN-10: 3-8052-0811-1

Originalausgabe: Simon Beckett: The Chemistry of Death. – London : Bantam, 2006 (Offiziell lieferbar ab 1. März 2006)

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Links
Homepage von Simon Beckett
Homepage des Forensic Anthropology Center der University of Tennessee, der sogenannten „Body Farm“. Beckett hat hier vor Ort für sein Buch recherchiert.