Schurken und Salontiger

vom Krimiblogger

Schachmatt
Joseph Sheridan Le Fanu: Schachmatt

Als Meister des Horrors wird der irische Autor Joseph Sheridan Le Fanu oft bezeichnet. Vor allem seine Erzählungen, wie die Vampirgeschichte „Carmilla“ oder „Ein Bild des Malers Schalken“, festigten diesen Ruf. Das Gesamtwerk des 1814 in Dublin geborenen Autors hat aber weit mehr aufzuweisen als klassische Schauergeschichten, die zudem oft weit entfernt sind von den frühen Werken der romantischen und übersinnlichen Schauerliteratur der „Gothic Novel“. Im Schaffen Le Fanus finden sich auch historische Romane, angelehnt an die Werke von Sir Walter Scott und vor allem Vorläufer des Kriminalromans. Zusammen mit Wilkie Collins berühmten Werken „Die Frau in Weiß“ und „Der Monddiamant“ sowie dem unvollendeten Roman „Das Geheimnis des Edwin Drood“ von Charles Dickens bilden die späten Werke Le Fanus ein vielschichtiges Panorama ihrer Zeit und sind, trotz aller unheimlichen Begebenheiten, tief verwurzelt in der viktorianischen Wirklichkeit.

Während Collins und Dickens heute noch gelesen werden, reduziert sich die Wahrnehmung bei Le Fanu vor allem auf seine Schauergeschichten. Auch wenn Henry James einst urteilte, dass die Romane von Le Fanu üblicherweise auf den Nachttischen in englischen Landhäusern zu finden seien, war Le Fanu schon zu Lebzeiten, im Gegensatz zu seinen Kollegen, nie populär. Noch düsterer sieht es mit der Wahrnehmung in Deutschland aus. Immerhin wurde sein Hauptwerk „Onkel Silas oder Das verhängnisvolle Erbe“ vermutlich zwischen 1864 und 1867 erstmals ins Deutsche übersetzt. Doch über die vierzehn Romane, die Le Fanu in seiner wohl produktivsten Zeit zwischen 1854 und 1873, seinem Todesjahr, veröffentlichte, finden sich kaum Nachweise in deutschen Bibliothekskatalogen. Erst in den 1970er Jahren erlebte der Autor eine kurze Wiederentdeckung. Neben verschiedenen Ausgaben seiner Schauergeschichten und seinem „Onkel Silas“ findet sich auch eine Übersetzung seines Romans „Das Haus beim Kirchhof“, der im Original 1863 erschien ist.

Verliebter Psychopath

joseph_sheridan_le_fanu.jpgAus dieser kreativen Phase Le Fanus stammt auch der Roman „Checkmate“, der 1871 seine Erstveröffentlichung in drei Bänden erfuhr. Die Achilla Presse hat nun unter dem Titel „Schachmatt“ eine erste deutsche Übersetzung von Alexander Pechmann vorgelegt. Eine „Säkularisation des Grauens“ nannte der Literaturwissenschaftler Norbert Miller die frühen viktorianischen Kriminalromane und Le Fanus „Schachmatt“ zählt dazu. Der Autor führt seine Leser in üble Spelunken und Spielhöllen, in denen auf Billiardspieler gewettet wird und Geldeintreiber englische Gentlemen in den Ruin stürzen. Doch Le Fanus Kulisse ist weit größer: Edle Salons in London, düstere und einsame Landhäuser, kleine Dorfgaststätten und finstere Katakomben in Paris bilden die abwechslungsreiche Dekoration, in der Intrigen gesponnen werden, Meuchelmörder ihr Unwesen treiben und in der sich ein zur Manie gewordenes Liebesdrama abspielt.

Das Grauen kommt hier, trotz der düsteren Kulisse, einzig und allein aus der kranken Psyche der handelnden Personen. Übersinnliche Mächte sind nicht am Werk, als sich der häßlich aussehende Millionär Longcluse in die schöne Aristokratin Alice Arden verliebt. Mr. Longcluse ist zunächst ein gern gesehener Gast im Hause der Ardens. Richard Arden, der Bruder von Alice, freundet sich mit Mr. Longcluse an und das Familienoberhaupt, Sir Reginald Arden, holt sich bei dem Millionär Hilfe in finanziellen Angelegenheiten. Denn der Familie droht der Ruin, der durch Richards Spielsucht noch beschleunigt wird. Eine Heirat Alices mit dem vermögenden Longcluse könnte die Rettung bringen, doch dann taucht ein anderer, ebenfalls wohlhabender und adeliger Freier auf, und Longcluse, dessen Vorgeschichte im Dunkeln liegt, wird fallen gelassen. Die Freundschaft zwischen Richard und Longcluse zerbricht und die Liebe des Millionärs zu Alice schlägt in blanken Hass um.

Ungeschliffen und grob

Die Situation spitzt sich zu, als das Familienoberhaupt Reginald Arden stirbt. Die Spielsucht seines Sohnes Richard treibt die Familie immer mehr an den Abgrund, ein Schuldschein folgt dem nächsten. Der finstere Longcluse hat dabei seine Finger mit im Spiel: Durch eine raffiniert gestrickte Intrige wird Richard abhängig von seinem verhassten Gönner und eine Zwangsheirat zwischen dem vor Liebe wahnsinnigen Longcluse und Alice scheint unabwendbar. Wäre da nicht die zwielichtige Vergangenheit von Longcluse, der durch einen ehemaligen Polizisten erpresst wird. Der Millionär soll ein Mörder sein, der eine Doppelidentität führt. Die Spuren führen nach Paris zu einem deutschen Baron, der in dunklen Katakomben Verbrechern eine neue Identität verleiht. Als sich David Arden, der Onkel von Alice und Richard, an der Seine auf die Suche macht, erlebt er dort eine Überraschung.

Sowohl sprachlich wie auch inhaltlich wirkt Le Fanus „Schachmatt“ über weite Strecken modern: Die Geschichte ist in kurze Kapitel gegliedert, die Handlung wird vor allem durch intensive Dialoge vorangetrieben, Le Fanu springt sowohl in der Erzählzeit wie auch in der Erzählperspektive. Unvermittelt schreibt er mal im Präsenz, mal in der Vergangenheit. Gelegentlich lässt Le Fanu einen namenlosen Erzähler die Geschichte kommentieren, um dann zu einem inneren Monolog seiner Figuren zu wechseln. Nicht immer gelingt dies dem Autor geschmeidig und elegant, hin und wieder erscheinen die Wechsel wie die ungeschickte Aneinanderreihung grober Versatzstücke, denen der letzte Schliff fehlt. Angeblich soll Le Fanu seine Romane vor Drucklegung nie Korrektur gelesen haben, was eine Erklärung wäre. Dennoch hält Le Fanu die Spannung bis zu einem sehr furiosen Ende.

Fang’ den Mörder!

checkmate.jpgAuch einzelne Elemente, wie der ehemalige Polizist, der spielsüchtige Richard oder der deutsche Baron, ein früher Vorgänger unserer heutigen Schönheitschirurgen, verleihen dem Roman Modernität. Entscheidender sind aber die psychologischen Schilderungen, die Le Fanu gekonnt in seinen Roman einbaut. Das Grauen und der Schrecken stammen bei Le Fanu aus der verletzten Seele seiner Psychopaten. Longcluse ist ein Schurke, der durch den Kontrast zu dem selbstgefälligen und arroganten Richard eher sympathisch wirkt. In einem gewissen Sinne ist „Schachmatt“ damit ein Vorläufer eines „How-to-catch-them“. Es geht nicht um die Frage „Wer war’s“ – das wird schnell klar – sondern wie schafft es der Verbrecher davon zu kommen. Hierin liegt das wesentliche Spannungsmoment, das den Roman durchzieht.

Die recht wirklichkeitsnahe Darstellung der versnobten, britischen Aristokratie und ihrer Abhängigkeiten und Süchte ist erstaunlich. Le Fanu erreicht zwar nicht den Realismus eines Dickens, aber er schreibt lebendig und anschaulich, wodurch allerdings auch hässliche Seiten sichtbar werden. Zu diesen unschönen Seiten gehört die untergeordnete Rolle der Frau und der verbreitete Antisemitismus, die auch in „Schachmatt“ zu finden ist. Der geldeintreibende Jude mit der Knollennase ist leider ebenso präsent, wie die schwache und dümmliche Frauenfigur. Zumindest letzteres wird bei Le Fanu relativiert, da es ein bauernschlaues Dienstmädchen ist, die der armen Alice zur Flucht vor dem wahnsinnigen Longcluse verhilft. Insgesamt entwirft Le Fanu ein ungeschöntes, zeitnahes Proträt, das spannend zu lesen ist und Aufschluss über die frühen Kriminalromane gibt. Eine lesenswerte Wiederentdeckung!

Joseph Sheridan Le Fanu: Schachmatt : ein viktorianischer Kriminalroman = Checkmate / Aus dem Englischen übersetzt von Alexander Pechmann. – Butjadingen (u.a.) : Achilla Presse, 2006
ISBN: 3-928398-90-3

Die Übersetzung basiert auf der ungekürzten Neuausgabe:
Joseph Sheridan Le Fanu: Checkmate. – Chichester : Sutton Publishing, 1997
Die dreibändige Originalausgabe erschien 1871.

Das Buch kann direkt bei der Achilla-Presse bestellt werden.

Weitere Bestellmöglichkeiten:

» amazon.de » libri.de » buch24.de

Links:
Umfangreiche Linkliste zu Joseph Sheridan Le Fanu
Kurze Biographie bei Vampire-World