Schmerz der Erkenntnis
vom Krimiblogger
Während anderswo über kriminelle Trends spekuliert wird, sagt Marcus, wie es ist: „Ich schreibe, weil ich schreiben muss. „ Das ehrt ihn. Ich glaube ihm das auch. Es gibt sicher viele Autoren und Autorinnen die ihre Arbeit so oder ähnlich sehen. Es gibt aber leider auch die andere Seite: Verlage, die Krimis gegen Geld unter das lesende Volk bringen müssen. Marketing nennt man das wohl. Sind also nur die Verlage daran schuld, dass eine Krimiwelle nach der anderen kommt? Nach den Skandinaviern nun die Russen oder die Asiaten? Historischer Krimi statt Regionalkrimi? Sind es die Autoren, die ihre Feder nach dem Winde ausrichten? Oder sind es die Leser, die einen Trend setzten, weil sie massenhaft Dan-Brown-Schwarten und deren Plagiate und Kopien nach Hause aufs Sofa schleppen und die guten Autoren links liegen lassen? Die Wahrheit wird wohl irgendwo in der Mitte liegen.
Das zum Beispiel Hardboiled-Krimis oder Noir nur wenige Anhänger unter den deutschen Lesern finden, liegt an der Vorstellung, die wohl die meisten Krimileser immer noch von ihrer Spannungsliteratur haben. Eben, es soll spannend sein. Ein berechtigter Wunsch, nachvollziehbar – gleichzeitig aber auch einengend und starr. Kriminalliteratur ist Eskapismus, Flucht, ein Märchen für Erwachsene, weil das Gute am Ende siegt. Literarisch kann man dies gut oder schlecht umsetzen, keine Frage.
Der Blick ins Ausland, zum Beispiel nach England ,zeigt, dass es dort natürlich auch viel Mainstream gibt. Aber er zeigt auch, dass die Ränder der kriminellen Unterhaltungswelt besser sortiert und bedient werden. Es ist nicht die Frage, ob es Hardboiled-Autoren im deutschsprachigen Raum gibt, es ist die Frage, ob sie – wie eine Elizabeth George oder ein Dan Brown – auch wahrgenommen werden.
Die weitere Frage: Wieviel Realismus verträgt der Krimi? Sind schöne Lügen besser als harte Polit-Gesellschafts-Sozio-Kritische Krimis? Kriminalliteratur als Abbild der Verrohung unserer Sitten? Anne Chaplet hat es kürzlich in der „Welt“ so formuliert:
„Aber muß denn ein Kriminalroman überhaupt realistisch sein? Wie oft wohl haben Menschen den perfekten Mord geplant und erfolgreich ausgeführt – und wie oft im Vergleich haben Schriftsteller ihn erfunden? Die Attraktivität des Krimis in Worten, Bildern und Ton liegt nicht in seiner Wirklichkeitstreue, sofern damit die Statistik gemeint ist. Eine Mordrate, wie sie Mankell einem kleinen schwedischen Örtchen namens Ystad angedichtet hat, gibt es gottlob nirgendwo auf der Welt. Ein Kriminalroman führt uns, wenn es gut geht, Wirklichkeit auf ganz andere Weise vor Augen: er ist eine um ein Gewaltverbrechen kreisende Versuchsanordnung, in der Menschen unter Druck zeigen müssen, was und wer sie sind. Der Krimi kreist um das Beste und die Bestie im Menschen. „
Anne Chaplet
Es geht also, folgt man Anne Chaplet weiter, um das „Warum?“. Warum bringen Menschen einander um? Die Variationen darüber sind vielfältig und auch hier sind Autoren und Autorinnen nicht vor Klischees und Postkartenidyllen gefeit. Vordergründig ein Gesellschaftsroman, wie Chaplet ihn einfordert, liefern doch viele Kriminalromane – siehe Elizabeth George – nichts anderes als schöne Lügen. Das lieben Leser und Leserinnen, Reflexionen zur Gegenwart gibt es am Rande, sind Begleitinstrumente für ein Orchester, das auf Dissonanzen weitgehend verzichtet, damit die schöne Melodie nicht kaputt geht. Beim Lesen bleibt die Idee der Fiktion, die Rückzugsmöglichkeiten bietet. Es ist das „Es-könnte-passieren-aber-zum-Glück-gehts-mir-gut“, der angenehme Schauer, der auch harte Themen lesbar macht und aufweicht – ohne Konsequenzen, ohne Kater, ohne Blues. Aufklärung und der Schmerz der Erkenntnis – als solches kann man Kriminalliteratur auch sehen – bleibt außen vor. Ich denke, ein Kennzeichen guter Kriminalliteratur ist nicht, dass sie vom Kopf her das Elend der Welt, die Dramen des Alltags sichtbar macht – sie muss sie fühlbar machen, unter die Haut bringen, die großen, kleinen menschlichen Tragödien spürbar werden lassen. Auf eine ehrliche Weise und nicht verlogen. Wenn ein Autor oder eine Autorin deshalb den Drang verspürt, er oder sie „müsse“ schreiben, kann das ein guter Ansatz sein.