Die Farben der Gewalt

vom Krimiblogger

Train Pete Dexter
Pete Dexter: Train

Bei der Betrachtung von Kriminalromanen wird oft ein wichtiges Element ausgespart: Die Darstellung von Gewalt. Mord, physische und psychischer Druck, Schlägereien, Erpessung, Rassismus – all das findet in Kriminalromanen statt, wird von der Kritik aber oft als nebensächlich abgetan. Der Mord muss stattfinden, damit Polizisten oder Detektive überhaupt in Aktion treten können. Vor allem im klassischen Whodunnit ist der Mord eher ein lästiges Übel, dezent angedeutet und schnell wieder ausgeblendet. Selbst bei Hard-Boiled- oder Noir-Romanen wird in der Kritik beiläufig bemerkt, dass ein Roman doch „harte Kost“ sei oder „brutal und roh“ geschrieben wurde. Bei dem Roman „Train“ des us-amerikanischen Autors Pete Dexter kommt man als Leser und Kritiker jedoch nicht umhin, sich mit der geschilderten Gewalt auseinanderzusetzen, will man der darin erzählten Geschichte folgen.

Auf den ersten Blick erzählt „Train“ die Geschichte von drei Menschen, die durch ein zufälliges Aufeinandertreffen locker mit einander verbunden sind. Da ist zunächst der 18-jährige Lionel Walker, „Train“ genannt, der als Caddy auf einem Luxusgolfplatz arbeitet. Es ist das Jahr 1953, der Roman spielt hauptsächlich an der Westküste der USA und Lionel ist schwarz. Rassismus bekommt der Junge täglich zu spüren, zumal durch die privilegierte Oberschicht von Los Angeles. Bei seiner Arbeit auf dem Golfplatz trifft er eines Tages auf Miller Packard, ein ehemaliger Soldat, der nach dem Zweiten Weltkrieg nun als Polizist arbeitet. Packard, die zweite Hauptfigur des Romans, wirkt nicht nur für Lionel abwesend. Auch für den Leser ist Packard schwer zu begreifen. Packard ist ein Polizist der provoziert, der Gewalt und Konfrontation sucht. Seine Gründe dafür sind kaum nachzuvollziehen.

Packard erkennt das Talent, das Lionel fürs Golfen hat, verliert ihn aber nach wenigen Stunden wieder aus den Augen. Es folgen zwei parallel laufende Handlungstränge, die sich erst später im Roman wieder zusammenfügen. Da ist zunächst die Geschichte von Packard, der zu einem Mord gerufen wird. Auf einem Boot sind der reiche Alec Rose sowie sein Kapitän ermordet worden. Norah Rose, die Ehefrau und dritte Hauptfigur des Romans, hat den Mord mit angesehen, wurde vergewaltigt und ihr wurde eine Brustwarze abgeschnitten. Einer der beiden Täter ist der Vorgesetzte von Lionel auf dem Golfplatz. Als Packard auf das Boot kommt, erkennt er den Chef der Caddies wieder und erschießt ihn. Auch diesen Mord muss Norah mit ansehen. Nur kurze Zeit später beginnt Packard mit Norah eine Beziehung, die vor allem durch ausschweifenden Sex geprägt ist.

„Musste die Brustwarze wirklich sein, Pete?“

Train Pete DexterIm Mittelpunkt des zweiten Handlungsstranges steht Lionel. Auch er begeht einen Mord. Wie im Rausch erschlägt er den Freund seiner Mutter und flüchtet vor der Polizei. Seinen Job auf dem Luxusgolfplatz verliert er. Zusammen mit seinem fast blinden Kumpel Plural findet er eine neue Anstellung auf einer abgewrackten Golfanlage, betrieben von dem schmierigen Mr. Cooper. Cooper hat eine junge Frau namens Susan, in deren Gegenwart sich zwei schwarze Angestellte des Golfplatzes gegenseitig abgestochen haben. Susan hat dies völlig ungerührt und ohne einzuschreiten mit der Kamera festgehalten. Auch Lionel wird zu einem ihrer Motive. Es sind diese Bilder, die später in einer Ausstellung gezeigt werden und durch die Packard wieder auf Lionel trifft. Packard sucht den Jungen auf und bietet ihm und seinem Kumpel Plural eine Stellung im Haus seiner Freundin Norah Rose an, die mittlerweile von ihm schwanger ist. Lionel und Plural ziehen bei Packard und Norah ein, doch Norah hat eine Abneigung gegen die beiden schwarzen Angestellten. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf.

Es sind vor allem die Bilder der Gewalt, die nach der Lektüre des Romans hängen bleiben. Kalt und nüchtern schildert Dexter die Morde. Wie die erwähnten Fotografien von Susan beschreibt der Autor die Erschießung eines Menschen, die Vergewaltigung, das Abschneiden einer Brustwarze. Gerade jenes letzte Bild sorgte bei einigen Lesern für Unverständnis. So fragte → Nick Hornby „Musste die Brustwarze wirklich sein, Pete?“. Ich möchte mir nicht anmaßen, diese Frage zu beantworten, aber innerhalb des Romans halte ich die Darstellung für passend. Entlarvt sie doch, wie einige andere Passagen des Roman, die Sinnlosigkeit von Gewalt. Die Frage, warum die Figuren gewalttätig werden – eine wichtige Frage in Kriminalromanen – wird von Dexter nur lückenhaft beantwortet. Als Autor kommentiert er nicht, er schildert nur und lässt den Leser damit allein.

Freistehend und schemenhaft wirken auch seine Figuren – nur, dass dies hier als Stilmittel von Dexter gelungen eingesetzt wird. Packard, der provozierende Polizist, rennt mit offenen Augen ins Unglück und scheint dies auch noch zu genießen. Ein Masochist? Ein lebensmüder Mensch? Lionel Walker, ein junger Schwarzer und Golftalent, der seine Fähigkeiten nicht nutzen kann, weil Rassendiskriminierung ihm den Weg versperrt und der dies alles hilflos erleidet. Warum wehrt er sich nicht? Warum schlägt er statt dessen den Freund seiner Mutter nieder? Eine Übersprungshandlung? Norah Rose, gedemütigt durch Vergewaltigung, überlegt, ob sie sich die zweite Brustwarze nicht auch noch abschneiden soll. Ein geborenes Opfer? All diese Fragen bleiben unbeantwortet, konfrontieren den Leser aber mit seinen eigenen Ansichten zur Gewalt. Weg schauen, ertragen oder eingreifen?

So gelungen dies auch ist, Dexters Roman bleibt schwer zugänglich. Nicht nur die detaillierten Gewaltschilderungen, auch der kaum vorhandene rote Faden hemmen den Lesefluss. Nichts lässt sich in diesem Roman erahnen, nichts überrascht aber auch wirklich. Keine Figur lädt den Leser zur Identifikation ein. Was bleibt, ist ein Roman in Grauschattierungen, der zwar starke Bilder hervorbringt, die einen aber nicht berühren. Zu distanziert und zu gefühlskalt schildert Dexter seine Handlung. Gleichzeitig aber auch ein herausfordernder Roman, dessen Stilmittel brillant eingesetzt werden und der eine Frage aufwirft, die leider oft bei Kriminalromanen unter den Tisch fällt: Welche Farben hat Gewalt?

Dexter, Pete: Train : Roman / Aus dem Englischen von Jürgen Bürger. – München : Liebeskind, 2006
ISBN-10: 3-935890-38-9
ISBN-13: 978-3-935890-38-0

Originalausgabe: Dexter, Pete: Train. – New York : Doubleday, 2003

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