Schülerfragen
vom Krimiblogger
In der achten Lektion der wunderbaren Crime-School geht es erneut um die Beck-Romane von Sjöwall / Walhöö. Lehrer dpr stellt fest:
„Das Konzept der Sjöwall / Walhöö – Romane ist zunächst unabhängig vom „Genre“ Krimi zu sehen. Bei der Frage der Umsetzung allerdings (und nur darum kann es in einer Kritik gehen; „Ideen“ oder „Botschaften“ sind erst einmal nichts weiter als Treibstoff für die Literaturproduktion. Allein betrachtet sind sie nichts wert. Jeder Idiot kann „tolle Ideen“ haben.) zeigt sich, wie unverzichtbar die Genrewahl ist. Sie schafft Schnittstellen zum Leser (und sei es nur, um diesen bei der Stange zu halten, weil es „so spannend!“ ist) und formt die Spannungsbögen.“
Mich erinnert dies an manche Argumente in Kritiken zu Kriminalromanen, in denen es heißt, ein guter Kriminalroman funktioniere auch nur als Kriminalroman – die Wahl des Genre ist also unabdingbar. Geschichten, Ideen, Botschaften, die sich eben nur als Krimi „verkaufen“ lassen.
Immer wieder betont dpr auch, dass ein Text mit dem Leser kommuniziert. Nur: Wollen Leser das wirklich? Ohne eine Bewertung vornehmen zu wollen: Sind Krimileser wirklich an Kommunikation, an Ideen, an Botschaften interessiert? Lieben sie nicht mehr den kurzen Kick, die Spannung, die Entspannung, das Abschweifen in andere, fremde, exotische Welten? Warum wird der Soziokrimi oftmals mit spitzen Fingern gelesen? Andererseits: Wie passt da ein Phänomen wie Hennig Mankell rein, der ja durchaus (grauenvoll schlecht verpackt) Botschaften über den Zustand der schwedischen Gesellschaft rüberbringen möchte und damit bislang Erfolg hatte. Stößt Kriminalliteratur hier nicht an ihre Grenzen – denn was kann ein Text (ob er nun gut oder schlecht ist) wirklich an Botschaften transportieren oder gar „bewegen“?
Ein Punkt, der für den Kriminalroman spricht, ist in meinen Augen der immer wieder formulierte Denkansatz, Kriminalliteratur blühe nur in Demokratien, in offenen Gesellschaften. Kriminalliteratur also im doppelten Sinne als Funktionsliteratur: Spannung für den Leser auf der einen Seite, damit er an der Geschichte, an den Botschaften dran bleibt, Kritik an gesellschaftlichen Zuständen oder geschichtlichen Ereignissen auf der anderen Seite. Gerade hier muss sich der kriminallistische Text beweisen: offene oder geschickt versteckte Gesellschaftkritik (zwischen den Zeilen), die einen Kriminalroman brisant werden lässt. Möglich erscheint dies eben nur in offenen Gesellschaften.
Liegt hier die Zukunft des geliebten Genres? Verleiht ihm dies Gewicht? Weg von schnöden Morden nur um des Morden willens, als reiner Nervenkitzel, hin zu einer Ästhetik des Aufbegehrens, des Widerstands, des Untergründigen, des Nonkonformen? Abschiednehmen von den starren Formen, Vorgaben und Regeln (Mord – Aufklärung – Täter) hin zu Experimenten? Irgendwann habe ich mal geschrieben, dass sich viele Autoren im Gewitter der postmodernen Beliebigkeit und des „Alles-ist-möglich“ Halt in eben diesen festen Formen der Kriminalliteratur erhoffen. Ein Trugschluss?
Gleichzeitig führt aber die Überfrachtung mit „Botschaft“ zur Langeweile. Wo bleiben da die Massen von Lesern, die nach ihrem Tagwerk einfach nur abschalten möchten? Muss man nicht die Ansprüche herunterschrauben, liegt es an einer guten (wie auch immer gearteten) Mischung zwischen Botschaft/Idee und Spannung? Auch wird der 130. Krimi zum Thema Kindesmissbrauch niemanden den Atem rauben – weil diese Themen oftmals ausgelatscht und ausgelaugt sind – es sei denn, der Leser empfindet bei der Lektüre Spannung.
Dazu kommt ein deutlich verändertes Medienverhalten als noch vor 20 oder 30 Jahren, als Sjöwall / Walhöö ihren Martin Beck auf Verbrecherjad schickten. Alle Welt stöhnt über Reizüberflutung, TV, Radio, Internet und dann auch noch Bücher – wie soll man das alles schaffen? Spricht dies etwa für die Brutalisierung der immer noch beliebten Serienmörder (je grausamer, desto besser). Kriegt man die Leser nur zu fassen, wenn man sich die abstrusesten und widerlichsten Taten ausdenkt und diese detailliert beschreibt? Oder setzt doch auch eine Rückbesinnung ein: auf psychologische Elemente des Kriminallromans, den Sinnfragen, die uns ja doch alle irgendwie bewegen und eben auch auf politische Gegebenheiten. Kriminalliteratur als Hilfe in Lebensfragen, als Orientierungshilfe? Kriminalliteratur als Versuchsanordnung (wie es Anne Chaplet nennt) zwischenmenschlicher Beziehungen und Konflikte? Kommen also vielleicht die Esoterik-Krimis?
Ernsthafte Fragen oder doch nur Phrasen? Zweifel.
Kommentare
Nein, Ludger,
das mit den „Botschaften“ siehst du falsch (wahrscheinlich habe ich es unmissverständlich formuliert). Ich bin ein absoluter (betone: absoluter) Gegner von platten „Botschaften“ in Büchern. Steht ebenso wie „Ideen“ in Anführungszeichen, weil es ja gewiss der Treibstoff ist, überhaupt zu schreiben. Gewiss wollten auch S / W „etwas rüberbringen“, aber sie haben halt ihre „Idee“, ihre „Botschaft“ in Literatur verwandelt, und das kann man lesen, ohne sich einen Deut um Gesellschaftskritik zu scheren, das macht immer noch Spaß. Und genau hier findet auch die Kommunikation statt. Kommunikation kann auch reines „Mit-Empfinden“, „Mit-Leiden“, „Mit-Fiebern“ sein, also gute alte Unterhaltungskriterien. Das ist nicht das Problem. Das Problem sind die Texte, die tatsächlich nur „Botschaften“ sind. Kindesmissbrauch ist schlecht. Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. Wir müssen umdenken, sonst gehen wir alle vor die Hunde. Das sind „Botschaften“. Leeres, dummes, formelhaftes Geschwätz, die Welt auf 300 Seiten vollständig erklärt und als Bonus gibts noch den Gottesbeweis obendrauf. So was.
Ich habe selbstverständlich nichts dagegen, S / W als pure Spannungsliteratur zu lesen. Kann man. Legitim. Ich bin auch der Überzeugung, dass man kommunizieren kann, ohne sich dessen bewusst zu sein. Wenn ich S / W lese und greife irgendwann noch einmal zu diesen Büchern, gehe ich davon aus, dass beim ersten Lesen eine bewusste / unbewusste Kommunikation stattgefunden hat. Man sagt ja auch „Das hat mich gefesselt“, und das ist IMMER ein deutliches Zeichen, dass mit ein Buch mehr als Zeitvertreib gegeben hat (nichts gegen Zeitvertreib, by the way; Ich lese gerade mal in „Nevada Pass“ rein, das mir ein Antiquar als kostenlose und unaufgeforderte Zugabe geschickt hat. Ist Zeitvertreib. So what?)
Aber es gibt noch viel zu tun in der Crime School. Das ist, scheint’s ein Fass ohne Boden. Heut morgen hab ich mal kurz mit dem Gedanken gespielt, ein Buch draus zu machen, aber als mich dieser Gedanke fast zum Speien über die Kloschüssel getrieben hat, hab ich ihn lieber wieder vertrieben.
See you for the next lesson. Ach ja, wenn der „Stopfkuchen“ nicht bald kommt, mail mir deine Postanschrift und ich steck das Ding in einen Briefumschlag.
bye
dpr
Hallo,
ja, das mit den „Botschaften“ wird mir schon klarer und ich frage mich, woher kommt dieser Widerspruch zwischen (vielen) Autoren, die ja gerne und in Massen Krimis verfassen, die irgend eine „Message“ haben und auf der anderen Seite den Lesern, denen es oft um die reine Unterhaltung geht. Was S/W angeht: Haben Sie sich nicht ganz bewusst für den Kriminalroman entschieden, um eben eine Botschaft rüberzubringen? Ihn also, wenn man will, instrumentalisiert? Oder habe ich da was falsch verstanden?
Mit dem Buch wäre aber vielleicht doch eine gute Idee – wenn ich sehe, wie oft sich über diese Seite schon der Frey bei amazon verkauft hat, scheint es doch ein großes Bedürfnis zu geben.
Ach, und der Stopfkuchen ist heute endlich angekommen, fest eingeplant fürs Wochenende.
Viele Grüße
Ludger
Hallo Ludger,
das mit den „Botschaften“ ist so (jedenfalls bei mir): Man hat eine Idee. Man brütet sie eine Zeitlang aus. Man schreibt vielleicht ein kleines Exposé, entwickelt Story, Spannungsbögen etc. Dann beginnt man zu schreiben. Was man damit rüberbringt, ist, im Wortsinn, eine „Botschaft“: „He, Leser, ich möchte euch mit etwas bekanntmachen, das euch vielleicht interessiert und das ihr so noch nicht kennt!“. Sobald die Botschaft aber lautet: „He, Leser, ich weiß, wie es sich hier-oder damit verhält, und das verklickere ich euch jetzt!“, läuft etwas schief. Ich will nicht belehren, sondern etwas anbieten. Ich bin sicher, S / Ws „Instrumentalisierung“ des Krimigenres ist nach einem ähnlichen Muster gelaufen. Aber entscheidend ist wirklich die ART und WEISE, wie sie es gemacht haben. Klar, wenn S / W das Ganze als „experimentelle Prosa“ gemacht hätten, würden sie vielleicht den Nobelpreis, aber kaum Leser gekriegt haben. Den alten Dürrenmatt hab ich auch in Verdacht, dass seine Krimieskapaden auch auf die „Leseroptimierung“ zielten. Völlig okay. Das Problem sind solche Autoren, die den Krimi als solchen geringschätzen und entweder in jeder Zeile andeuten, dass sie natürlich eigentlich keinen Krimi, sondern „was Besseres“ schreiben (mit Tiefgang, philosophischen Exkursen und, na eben, einem Füllhorn wichtiger Botschaften) oder aber glauben, man könnte diese per se „mindere“ Literaturgattung ohne Rücksicht auf Sprachstil und Dramaturgie einfach so hinrotzen (hat Chandler doch auch getan, gelle?).
Der ideale Text läuft sowieso auf vielen verschiedenen Ebenen: Er bietet was für den „nur“ an Unterhaltung interessierten Leser, den notorischen „Grübler“ etc. Sorry, aber mir fällt als bestes Beispiel immer wieder Arno Schmidt himself ein. Du kannst du ihn mit Vergnügen „an der Oberfläche“ lesen, ohne auch nur einen Schimmer davon zu haben, dass du wahrscheinlich nur 3% des Informationsgehalts mitbekommst. Du kannst eintauchen und nie wieder auftauchen.
Dass wir von untalentierten „Botschaftern“ überschwemmt werden, ist keine spezielle Seuche der Krimi-Literatur. Auch keine der Literatur-an-sich. Gibts auch in Malerei, Musik und im kreativen Pulloverstricken.
Das mit dem Buch überleg ich mir. Wenn die ersten 100 Vorbestellungen da sind, fang ich an.
bye
dpr
Hallo Ludger,
warum soll ein Krimi nur in Demokratien gedeihen. Finde ich völlig abwegig. Ein Buch verbreitet immer Ideen, ist also immer ein Problem für öffentlichkeitsscheue Regime; und wenn man „brave“ Bücher schreiben kann, kann man auch brave Krimis schreiben.
Der Krimi als Genre der Chance … ich weiß nicht. J. Ellroy z.B. ist jemand der sich ganz klar von den Limitationen des Genres wegbewegt (siehe z.B. http://www.modestyarbor.com/james_ellroy2004.html), wobei natürlich die Möglichkeit besteht, dass er die Grenzen des Genres „nur“ aufdehnt.
Und letztlich, siehst Du das Genre nicht als viel zu homogen an ? Mir scheint, dass es keine einheitliche Richtung gibt, in die es sich bewegt, es gibt höchsten einen gemeinsamen Kanon an Stilmitteln. Somoza, Ellroy, Izzo, Haas, Furst (und seine Vorgänger) … alle stellen doch neben den konventionelleren Autoren der Spitzenklasse unterschiedliche Eckpunkte des Genres dar, und unterscheiden sich nicht nur danach, ob wir einen Krimi englischer oder amerikanischer Bauart lesen.
Hallo Bernd,
das Gedeihen von Kriminalliteratur in Demokratien bezieht sich vor allem auf die Kriminalromane, die eben sich kritisch gegenüber einer Gesellschaft stellen. Natürlich hat es und gibt es in Diktaturen oder sehr despotisch regierten Ländern „brave“ Kriminalliteratur – ob die allerdings wirklich im positiven Sinne blühen, möchte ich in Frage stellen.
Vor einigen Monaten traf ich den gebürtigen Chinesen Qiu Xialong, der bei uns hier in Deutschland bislang zwei Krimis veröffentlicht hat. In der Vorbereitung versuchte ich herauszufinden, wie es mit Kriminalliteratur in China bestellt ist, ob es dort eine Tradition gibt, eine Geschichte der Kriminalliteratur. Viel konnte ich nicht finden, also habe ich ihn selbst gefragt. Qiu Xialong erzählte mir, dass es in China zwar schon lange eine Tradition von Detektivroman gab, vorstellbar etwa im Stile der Richter-Di-Romane des Niederländers Robert van Gulik, dass sich aber in den letzten Jahrzehnten kaum Kriminalliteratur in China weiter entwickelt hat. Zum Teil war und ist sie verboten, vor allem, wenn sie Bezüge zur Gegenwart hat. Dabei habe die Chinesen ein großes Nachholbedürfnis – im chinesischen Fernsehen sind „brave“ Krimiserien offenbar zur Zeit der Quotenrenner, wie Qiu Xialong sagte. Aber er selbst hat mit seinen Romanen in seiner Heimat große Schwierigkeiten mit der Zensur. Seine Romane, die er in Englisch schreibt und die nun auch ins Chinesische übersetzt wurden, mussten stark verändert erscheinen. So bekam im Chinesischen die Stadt Stanghai, in der die Romane spielen, einen anderen, fiktiven Namen (wenn ich mich erinnere so etwas wie H-City). Sein „Die Frau mit dem roten Herzen“ wurde entschärft, weil der Verehrungstanz für Mao, der in dem Roman eine wichtige Rolle spielt, bei den älteren Chinesen wohl ungewollte und unangeheme Erinnerungen an die Kulturrevolution wach rufen könnte. Das möchten die Machthaber in Peking nun gerade nicht. Der Moment des Subersiven – ob vom Autor gewollt oder unbeabsichtigt geschrieben – ruft wohl in jeder Diktatur die Wächter auf den Plan, egal ob es sich um Kriminalliteratur oder Belletristik handelt.
Falls der Eindruck entstanden seien sollte, ich würde das Genre homogen ansehen, dann habe ich mich offenbar missverständlich ausgedrückt, Entschuldigung. Mir ist schon klar, dass es mit Blick auf spannende, gute, ansprechende Kriminalliteratur viele Richtungen, eigensinnige Autorinnen und Autoren und sehr individuelle Krimis gibt, mit eigenem Stil, eigener Sprache, sehr eigenen Figuren, und zum Teil einen Erzählaufbau, der den „alten“ Regeln aus dem goldenen Zeitalter vollkommen widerspricht. Das meine ich damit, dass es gut ist, wenn Autoren experimentieren, spielen, Neues ausprobieren. Was mich vielmehr stört, sind diese ständigen, neuen Etiketten, die ausgedacht werden, um einen vollkommen neuen „Katzen-, Hunde-, Wein-, Italien-, oder sonst-wie-Krimi“ in die Regale der Buchhandlungen zu knallen und den Lesern zu suggerieren, das sei jetzt mal ganz was Neues und Frisches – im Grunde sind es aber nur olle Kamellen, nur diesmal mit Katzen oder Hunden oder einem Helden mit Vorliebe für Rebensaft.
Viele Grüße
Ludger