Entzauberter Heimatroman

vom Krimiblogger

PilzekriegDie Diskussion um die „Schlechten Zeiten“ des Kriminalromans haben mich an eine Besprechung erinnert, die ich vor gut zwei Jahren geschrieben habe. Es ging um Roger M. Fiedlers Roman „Pilzekrieg“ – in meinen Augen ein schönes Beispiel, wie ein Autor die „Heimatisierung“ des deutschen Krimis gekonnt auf die Schippe nimmt. Der Roman erschien kurz vor der Criminale im Westerwald und war alles andere als Werbung für die Region. Im Sauerland ist man leider noch nicht soweit, daher ein kurzer Rückblick

Der Heimatroman hat in deutschen Landen eine lange, oftmals auch zweifelhafte Tradition. In Form des Regional-Krimis feiert er seit den 90er Jahren eine fröhliche Wiederauferstehung. Selbstverständlich würde sich kaum ein Autor dieses Subgenres in der Nähe jener unseligen Blut- und Bodenliteratur sehen, die Heimatdichter wie etwa Hans Grimm („Volk ohne Raum“, 1926) auf dem Gewissen haben. Nein, viele Regio-Krimis geben sich lieber links und erzählen harmlose, kriminelle Geschichten aus der Nachbarschaft.

Dennoch sind sie oft nicht gefeit vor Verklärung heimatlicher Gefühle. Distanz ist in diesem Subgenre, das so sehr von der Nähe lebt, nicht immer gegeben. Angebliche Charakteristika von Land und Leuten werden nur selten ironisch gebrochen. Anders bei Roger M. Fiedler. Ihm ist mit seinem „Pilzekrieg“ etwas gelungen, was nur wenige Regio-Schreiber zu Stande bringen: Die Entzauberung des Heimatromans.

Fiedlers Krimi kommt sprachlich modern daher: Mit wechselnden Perspektiven und in vielen Brüchen erzählt der Autor die Geschichte vom dicken Einzelgänger Knooth, der sich wegen einer Magenoperation in den Westerwald begibt. Doch statt in die Klinik zu gehen, flüchtet sich Knooth aus Angst vor der Operation in den Wald und übernachtet dort in freier Natur. Fiedler beschreibt seinen Knooth mit viel Innenschau und Reflexionen. Ähnlich verfährt er auch mit seinem zweiten Helden, dem pensionierten Postbeamten Backes, seines Zeichens leidenschaftlicher Pilzesammler. Voller Zorn muss Backes feststellen, dass ihm ein Unbekannter seine geliebten Morcheln vor der Nase wegschnappt.

Lug und Betrug

Auch sonst geschehen merkwürdige Dinge im Wald: Knooth trifft auf den mysteriösen „Kreuzemaler“, der die Wegbeschreibungen nachzeichnet. Schließlich finden Waldarbeiter eine grausam entstellte Leiche. Unvermittelt sieht sich Knooth mit einem Kriminalfall konfrontiert, dessen Lösung auch mit ihm und seiner Familie zu tun hat und dessen Wurzeln bis zu einer Hexenverbrennung reichen. Eine Hexenverbrennung, die noch gar nicht so lange zurückliegt.

Fiedler fasziniert durch sein Spiel mit Mythen. Der Wald – deutscher Mythos schlechthin – als Schauplatz von abscheulichen Verbrechen ist von ihm geschickt gewählt. Die eingearbeiteten Zitate aus historischen Dokumenten, zum Teil bissig kommentiert, sorgen für einen vorgeblich realistischen Hintergrund, sind aber Teil des grandios angelegten Lug und Betrugs, mit dem Fiedler seine Leser geschickt auf falsche Fährten lockt. Hexenjagd, Okkultismus, verwunschene Orte – all das wird von Fiedler als Vorwand angelegt, hinter dem sich handfeste Interessen und persönliche Schuld verbergen lassen. Im Laufe der Erzählung lässt Fiedler diese Idylle durch seinen kautzigen Knooth demaskieren, ohne dass er ihn dabei zum uneigennützigen Helden stilisiert. Knooth geht es letztlich um seine eigene Haut und seinen dicken Bauch.

Durchzogen ist der Roman von einer dumpfen, aufgeheizten Sommerstimmung, die alles andere als Werbung für den Westerwald ist. Nein, „Pilzekrieg“ eignet sich nicht als billige Heimatliteratur noch als Literaturtipp vom örtlichen Fremdenverkehrsamt. Es ist eine aufklärerische Abrechnung mit Land und Leuten – spitzfindig, klug und sehr lesenswert.

Fiedler, Roger M.: Pilzekrieg. – Hamburg : Rotbuch Verlag, 2003
ISBN 3-434-54043-1