Von kleinen und großen Krimis

vom Krimiblogger

Halders RuhUlrich Ritzel: Halders Ruh

Klappentexter haben es auch nicht immer leicht. Für die schönen und die schlechten Lügen der Autor/innen müssen sie die verkaufsfördernden Worte finden, die auf ein Buch aufgedruckt werden. Zwischen Hyperbel, Klimax und Neologismus schwingend, finden sie auch immer wieder interessante Vergleiche, wie diesen hier zum Beispiel: „Ulrich Ritzels Erzählungen sind wie kleine Krimis, die ein erstaunliches Eigenleben entwickeln, sobald man sie zu Ende gelesen hat.“ Eine putzige Formulierung, finde ich. „Wie kleine Krimis“. Das sagt ganz viel aus. Etwa, dass in dem neuen Buch von Ulrich Ritzel mit dem Titel „Halders Ruh“ keine Krimis zu finden sind. Es sind schlicht sieben Erzählungen, die aber eben „wie kleine Krimis“ sind. Nur: Was ist überhaupt ein Krimi? Und was sind kleine Krimis? Babykrimis, die mal gaaaanz groß werden wollen? Kurze Krimis, die wie Lügen bekanntlich kurze Beine haben? Kurzkrimis? Kinderkrimis? Ach, die Frage werde ich wohl nicht beantwortet bekommen.

Vielversprechend ist aber auch der zweite Teil des Satzes. Der geneigte Leser, die geneigte Leserin liest also Erzählungen, die ein „Eigenleben“ entwickeln, aber erst, wenn man sie zu Ende gelesen hat. Während des Lesens passiert also erstmal nix – aber danach: Heidewitzka, die Waldfee! Da toben die kleinen Racker, da rauscht und tönt es im Hirn des Lesers, der Leserin. Rummelplatz und Karneval auf einmal, bis es einem schwindelig wird.

Merkwürdig nur, dass ich nach der Lektüre der sieben Erzählungen in „Halders Ruh“ nichts davon gemerkt habe. Worum ging es in den einzelnen, kurzen Geschichten noch? Ach ja, in der ersten Erzählung „In den Bergen ist Schnee gefallen“ steht das Geheimnis eines angesehenen Professors im Mittelpunkt. In einem liegengebliebenen ICE trifft – nicht zufällig – ein Mann auf Professor Pracke. Durch geschickte Fragen bringt dieser Unbekannte den Professor dazu, sein Geheimnis zu lüften. Am Ende liegt einer der beiden tot auf den Bahnschienen. In der zweiten Erzählung „Tanjas Äffchen“ textet mich eine vollkommen wahnsinnige Schwiegermutter am Grab ihrer Enkelin zu. Wie und warum das Kind und seine Mutter sterben mussten und dass es ihr Sohn nun ja doch besser hat. Furchtbar. Vor allem furchtbar vorhersehbar. Spätestens nach drei Seiten wusste ich, worauf die Erzählung hinauslaufen wird. Ähnlich erging es mir bei fast allen sieben Erzählungen in diesem Band. Immer geht es um Menschen, die ein verborgenes Geheimnis haben. Im Laufe der Erzählung wird dies dann durch Dummheit oder Zufall gelüftet.

Aufgewärmtes aus der Schublade

Einzig die Erzählung „Tokajer für Kuhlebrock“ fällt etwas aus dem Rahmen. Es geht zwar auch hier um Geheimnisse, aber diesmal gleich in einer ganzen Familie. Ein leitender Verkäufer muss seinen Chefs die zurückgehenden Einnahmen erklären, seine Frau sorgt sich um ihren an Allergie leidenden Sohn und Filius selbst bunkert für einen Kumpel geklaute Spielekonsolen. Nicht wirklich spannend, aber immerhin entlarvend. Sprachlich und inhaltlich erreicht Ritzel hier das Niveau von Barbara Noack (kennt’ die noch jemand?). Während Noack aber heitere und harmlose Familienromane und -geschichten erzählt, versucht Ritzel eine Familienstory mit umgekehrten Vorzeichen – düster und drohend – zu Papier zu bringen. Wirklich gelungen ist es ihm leider nicht. Ulrich Ritzel, der für seine vier Kriminalromane „Der Schatten des Schwans“, „Schwemmholz“, „Die schwarzen Ränder der Glut“ und „Der Hund des Propheten“ viel Kritikerlob einheimsen konnte und für „Schwemmholz“ 2001 den Deutschen Krimipreis erhielt, enttäuscht mit seinen Erzählungen. Zu vorhersehbar der jeweilige Plot, zu abgegriffen die Themen. Gleich zweimal thematisiert er den Missbrauch bzw. die Verwahrlosung von Kindern („Ein Herz für Moldawien“ und „Halders Ruh“), ringt dem Thema aber keine neuen, erzählerischen Facetten ab.

Mein Gefühl mag mich täuschen, aber ich hatte während der Lektüre den Eindruck, dass Ulrich Ritzel oder sein Verlag mal eben die Schubladen durchstöbert haben und alte Erzählungen zum Aufwärmen herausgesucht haben. So sind sie dann auch: Fade und langweilig. Aus einigen hätte vielleicht ein durchschnittlicher Krimi werden können, andere wären besser in der Schublade geblieben. Hätte auch dem Klappentexter Arbeit erspart.

Ulrich Ritzel: Halders Ruh : Sieben Erzählungen. – München : btb, 2005
ISBN 3-442-73332-4

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