Spaghetti-Kritiker

vom Krimiblogger

Im → Hinternet Weblog geht dpr auf den Artikel → „Nach dem Erfolg kommt die Spaghettisierung“ von Thomas Wörtche ein, der zunächst unter der Überschrift „(K)ein Markt für Krimis“ im aktuellen Krimi Spezial der Buchkultur erschienen ist. Wörtches düstere Prognose:

„Aber vielleicht heisst die derzeitige Phase einfach: für zuviel Erfolg muss man bezahlen. Und der Preis ist: Beliebig geworden zu sein. Beliebig evasiv. Dann wäre allmählich das fällig, was bei »literarischen Reihen« immer passiert: Auf Etablierung folgt Destruktion, Spaghettisierung, möglicherweise völlige Auflösung und allmählich ein Neuaufbau mit veränderten Parametern. Die einzige Gefahr, die dann »vom Markt« ausgeht, besteht darin, dass er keine Nischen mehr hat für Kriminalliteratur, denn in denen wuchern mittlerweile parallele Evasiv-Produktlinien (Fantasy etc.).“
Thomas Wörtche

Es sind die Romanklone, die Wörtche Sorgen machen. Jene Romanklone, die wie Pilze aus dem Boden schießen, ist ersteinmal ein möglicher Trend in der Kriminalliteratur erkannt oder absehbar. Glücklicherweise traut Wörtche solchen Prognosen nicht und dpr schließt sich ihm da an. Seine Forderung:

Die Kritiker? Genau! Die Kritiker! Die sollte es wenigstens betreffen. Ich bin nicht so naiv zu glauben, dass Kritiker großen Einfluss auf „den“ Markt ausüben könnten. Aber es wäre ihre Pflicht, auf die Klone und Epigonen, die schlamperten und im Grunde an Literatur desinteressierten Autoren und ihre Produkte hinzuweisen, sie nach allen Regeln der Kunst auseinander zu nehmen, Dekonstruktion at ist best, und dann wieder als das zusammenzusetzen, was sie recht eigentlich sind: Schrott.
dpr im Hinternet

Nun loben erfahrungsgemäß Kritiker – selbst die guten – bevorzugt, als Verrisse zu schreiben. Natürlich möchten sie den Leserinnen und Lesern lieber die nach ihrem Wissen besseren oder besten Krimis empfehlen, als sich über all die Klone und all der Schrott auszulassen, der monatlich in die Buchhandlungen schwappt. Nur mal so als Vorstellung: Tobias Gohlis schreibt eine Reihe für die ZEIT über Elizabeth George, Martha Grimes, Donna Leon, Ann Granger und Minette Walters. Thomas Wörtche wird dazu verdonnert, regelmäßig die Neuerscheinung aus dem Hause Gmeiner zu besprechen. Andreas Ammer muss entsprechend ein sechsteiliges Radiofeature über den Hamburger Regionalkrimi produzieren, darf also Autoren wie Petra Oelker, Virginia Doyle und Boris Meyn verwurschten. Will man dies? Will ich dies? Nein, danke – das haben Gohlis, Wörtche und Ammer nun wahrlich nicht verdient!

Die Kritiker und die (wenigen) Kritikerinnen sollen mir schon die Guten ins Töpfchen werfen und die Schlechten…, naja. Ab und zu ein heftiger Verriss ist willkommen, aber wem würde es helfen, den Schrott mit noch mehr Geschreibe darüber weiter zu puschen? Das beantwortet nicht die Frage, warum in den deutschen Feuilletonredaktionen so viel Un- und Halbwissen über Kriminalliteratur besteht. Auf ein schauriges Beispiel hatte ich erst vor ein paar Tagen → hingewiesen. Zu dem Zeitpunkt war mir nicht klar, dass die Dame, die diesen Unsinn verzapft hat, sogar mal stellvertrende Chefredakteurin von „Petra“ und „Brigitte“ war (okay, keine Hochkulturzeitschriften, aber zumindest die „Brigitte“ hat Einfluss auf die Auswahl der Romanlektüre ihrer Leserinnen). Kein Einzelfall, blättert man regelmäßig durch „Welt“, „Süddeutsche“ oder – in Bezug auf Kriminalliteratur eine abolute Nullnummer – den „Spiegel“. Das es dringend mehr und bessere Krimikritiker/innen bedarf – diese Forderung unterstütze ich voll und ganz. Ebenso eine vernünftige und gescheite Krimizeitschrift. Danach rufe ich ja schon seit Jahren…

Aber: Ein Anfang ist gemacht. Die → KrimiWelt-Bestenliste ist immerhin ein zartes und vielversprechendes Pflänzchen in der düsteren Sumpf- und Dumpflandschaft des deutschen Feuilletons. Mit viel Liebe und Geduld und Zuspruch, wer weiß, vielleicht ändert sich ja doch noch etwas.