Vielschichtige Seelenporträts

vom Krimiblogger

Tod durch Erinnern Corinna Waffender: Tod durch Erinnern

Innerhalb der deutschsprachigen feministischen Literatur ist Corinna Waffender, die Mitte der 1980er Jahre zunächst mit Kurzgeschichten und Lyrik auf sich aufmerksam machte und die seit 2002 in regelmäßigen Abständen Romane veröffentlicht, eine feste Größe. Ihre komplexen Geschichten, in denen oft die schwierigen Beziehungen zwischen Frauen thematisiert werden, zeichnen sich durch eine sachliche und unaufdringlich, zugleich aber auch leuchtende Sprache aus. Ihre Figuren wirken in der Regel realitätsnah und greifbar. Es ist also durchaus nachvollziehbar, wenn der Berliner Querverlag zum Start seiner neuen lesbisch-schwulen Krimireihe “Quer Criminal“ eine Autorin ins Rennen schickt, die sich durch anspruchsvolle Texte einen Namen gemacht hat und die sich nun im Krimigenre austoben darf. Steht uns also nun auch der “lesbisch-literarische“ Krimi ins Haus? Der gehobene Psychothriller irgendwo zwischen PMS, Politik und Poesie? Erfreulicherweise nicht, denn Corinna Waffender schafft es, ihren sehr eigenen Blick auf Kriminalität zu werfen und diesen mit ihren bewährten Mitteln spannend zu erzählen.

Spannend dabei ist nicht vordergründig der Plot. Der hält sich zunächst an die bekannten Strukturen von Mord, Ermittlung und Aufklärung. Selbst die Mordmethode ist in ihrem Roman “Tod durch Erinnern“ eher – man verzeihe mir diese kleine Albernheit – altbacken. Marmorkuchen mit Schierling zu versetzen, um so die junge Ingenieurin Maike Ebling zu töten, klingt zunächst eher nach Miss Marple als nach einem Kriminalroman aus dem heutigen Berlin. Aber schon hier zeigt sich, wie geschickt Corinna Waffender mit den Vorgaben des Genres spielt. Die ermordete Ebling arbeitete als Wissenschaftlerin im Bereich der Solarenergie. Zuvor hatte sie für einige Zeit in Granada ein Projekt vorbereitet, bei dem ein ganzes Stadtviertel in der andalusischen Stadt mit Sonnenenergie versorgt werden sollte – bis dieses Viertel durch ein Feuer dem Erdboden gleich gemacht wurde. In den Augen von Maike Ebling, die sich in Spanien mal Kai oder Kaya nannte, ist dies ein Schachzug skrupelloser Geschäftsleute. Frustiert kehrt sie nach Deutschland zurück, hinterlässt in Andalusien nicht nur einen enttäuschten Geschäftspartner sondern auch eine enttäuschte Geliebte, und nimmt in Berlin eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin an, um dort Studenten über die Nachhaltigkeit von Solarenergie zu unterrichten. Hier freundet sie sich mit einer kleinen Gruppe von Studenten an und besonders eine Studentin, Nadine, hat es ihr angetan. Einen anderen Studenten hingegen hat sie vergräzt, denn eigentlich sollte er ihre Stelle an der Uni bekommen. Immer deutlicher entsteht das Bild einer Frau, die man gemeinhin als “nicht einfach“ bezeichnet, die sich sowohl mit Geschäftspartnern anlegt, wie auch bei ihren Liebhaberinnen Enttäuschungen hervorruft. Dann stirbt sie im Park, an einem vergifteten Stück Marmorkuchen.

Vom Krimi zum Familiendrama

Die Ermittlungen übernimmt die Kommissarin Inge Novak, eine 43-jährige Polizistin, die mit ihrer Tochter in Berlin lebt und von ihrem Mann geschieden ist. Zusammen mit ihrem Team versucht Novak dem Täter oder der Täterin – immerhin gilt Giftmord als eher weibliche Mordart – auf die Spur zukommen. Parallel zu den Ermittlungen fügt die Autorin E-Mails der verstorbenen Maike Ebling in ihre Geschichte ein, die sie an einen Freund im fernen Australien schickt. Diese E-Mails haben dabei die Funktion einer Rückblende im doppelten Sinne – etwas, was von der Autorin sehr gekonnt in ihren Text eingearbeitet wurde. Als Leserinnen und Leser erfahren wir so nicht nur etwas über aktuellen Entwicklungen im Leben des späteren Mordopfers, wir erfahren im Laufe der Erzählung auch, dass Maike Ebling schon viel früher ein Opfer geworden ist und dass ihre Rache für die erlittenen Qualen möglicherweise das Motiv liefern für den Mord an ihr.

Der scheinbar simple Plot entpuppt sich schon bald als eine klug und komplex verwobene Handlung, die vor allem von den psychologisch fein gezeichneten Figuren getragen wird. Hier liegt die Stärke von Corinna Waffender: Vielschichtige Seelenporträts und lebensnahe Charaktere, die in ihrer Eigenständigkeit, ihrer Verwundbarkeit und in ihren alltäglichen Sorgen gezeigt werden, ohne dabei klischeehaft zu erscheinen, zu Leidensfiguren hochstilisiert oder vorgeführt zu werden. So entwickelt sich zum Beispiel zwischen der Kommissarin Inge Novak und einer spanischen Kollegin ein Liebesverhältnis. Ich mag mir nicht vorstellen, was so manch andere Autorin oder anderer Autor daraus gemacht hätte – vom lesbischen Liebesdrama bis hin zur rührseligen Schmonzette als Kontrapunkt zur “harten“ Kriminalgeschichte. Nicht so Waffender: Seit langem habe ich nicht mehr eine solch glaubwürdige und lebensnahe Liebesgeschichte gelesen, die sich harmonisch in die Kriminalerzählung einfügt. Eine realitätstüchtige Erzählung, die auch durch ihre nüchterne und dennoch schwebende Sprache überzeugt. Alltägliches wird von der Autorin weder banal noch aufgebläht dargestellt, sondern als glaubhafte und notwendige Kulisse beschrieben.

Schließlich hält “Tod durch Erinnern“ noch eine andere Überraschung bereit. Denn aus dem anfänglichen Krimiplot mit verwobener Liebesgeschichte entwickelt sich zum Schluss ein ergreifendes Familiendrama. Das all diese verschiedenen Erzählstränge dabei nicht auseinander driften, sondern zu einem einprägsamen Ende geführt werden, zeigt, dass Corinna Waffender eine kluge und kunstfertige Erzählerin ist. Ein gelungener und hoffnungsvoller Auftakt für eine lesbisch-schwule Krimireihe, der beweist, dass es auch in Deutschland raffinierte Quer-Krimis gibt.

Corinna Waffender: Tod durch Erinnern : Kriminalroman. – Berlin : Querverlag, 2009
ISBN 978-3-89656-166-4

Links:
→ www.textwaren.de – Homepage von Corinna Waffender
→ Corinna Waffender beim Querverlag

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