Kirche, Ketzer und andere Katastrophen

vom Krimiblogger

Schattenlichter
Theodore Roszak: Schattenlichter

Verschwörungstheorien florieren auf dem Krimimarkt. Die massenkompatiblen Produkte aus dem Hause Dan Brown sind nur ein gängiges Beispiel. Mit dem abstrusen Spiel von Geheimlogen, Männerbünden und Untergrundorganisationen wird kräftig Kasse gemacht. In unsicheren Zeiten braucht man vermutlich einen Sündenbock und sei es nur in einer fiktionalen Geschichte. Besonders schlecht kommt dabei die katholische Kirche weg: Wer weiß schon, was sich hinter den dicken Mauern des Vatikans so tut? Keiner, also verdächtig, machtgeil und geheimnisvoll, die Jungs in Rom. Damit erfüllt die katholische Kirche gleich drei wichtige Kriterien, die so ein Verschwörungsthriller enthalten sollte: Eine lange, blutige Geschichte, finstere Geheimnisse en masse und natürlich der Wille zur Macht.

Dabei hatte die katholische Kirche selbst so ihre Probleme mit Verschwörern, die sie dann ganz schnell als Ketzer auf den Scheiterhaufen verbrannte. Der Begriff Ketzer ist übrigens abgeleitet von den Katharern, einer mittelalterlichen Glaubensbewegung, die sich vor allem dem Dualismus verschrieben und das Alte Testament abgelehnt hat. Eben diese Katharer sind es, die in Theodore Roszaks Roman „Schattenlichter“ die Weltherrschaft oder vielmehr den Big Bang unserer guten alten Erde anstreben. Fiese Gestalten, die sich nach dem großen Ausräuchern durch die Jungs aus Rom vor allem im Untergrund verstecken mussten und bis heute weiter existieren. Als geheimnisvoller Orden haben sie überlebt und streben die langsame Verdummung und Verrohung der Menschheit an, damit die sich irgendwann gemeinsam in die Luft jagt. Dann ist das Böse fort und wir sind alle beim guten Gott. Tja, und was ist das beste Mittel zur Degeneration? Das Kino, der Film, die bewegten Bilder, die sich ja nur bewegen, weil unser Auge so faul ist. Das Massenmedium Film und die Populärkultur des Kinos ist also das heilige Mittel zum Zweck, folgt man Theodore Roszak, der aus diesem Konstrukt einen über 870 Seiten dicken Wälzer gestrickt hat.

Natürlich erfährt man dies alles erst gegen Ende des Romans. Vorher gibt Mr. Roszak noch eine langatmige Lehrstunde in Filmgeschichte. In einer Mischung aus Liebes- und Entwicklungsroman lässt er seinen jungen Helden (Verschwörungsthriller brauchen immer einen Helden!) Jonathan Gates durch eine Liebesbeziehung zu einer Kinobesitzerin Höhen und Tiefen des amerikanischen und europäischen Kinos erleben. Von alten Stummfilmen über „Citizen Kane“ (Orson Welles hat einen netten Gastauftritt im Buch) bis hin zur Nouvelle Vague reicht dabei die Bandbreite. Während seiner Kinobesuche stößt Gates auf den deutschen Regisseur Maximilian von Kastel, der zu frühen UFA-Zeiten seine ersten Filme ablieferte, später dann nach Hollywood kam, um dort unter dem Namen Max Castle billige Horrorstreifen zu drehen. Gates ist beeindruckt von Castles Filmkunst und lernt durch Zufall Castles ehemaligen Kameramann Zip Lipsky kennen. Castle selbst soll bei einem Schiffsunglück in den Wirren des Zweiten Weltkriegs ums Leben gekommen sein.

Macht der Bilder

FlickerLipsky, ein kauziger und sterbenskranker Mann, besitzt eine umfangreiche Sammlung mit Castles alten Filmen und zeigt dem jungen Gates die alte Filme. Lipsky besitzt zudem das geheimnisvolle Sallyrand, ein Sichtgerät, mit dem die verborgenen Bilder in Castles Filmen sichtbar werden. Darin liegt die eigentliche Bedeutung von Castles Filmschaffen: Er legte kaum sichtbare Bilder über den eigentlichen Film und konnte so geheime Botschaften transportieren und seine Zuschauer manipulieren. Gelernt hat Castle diese Kunst bei den „Sturmwaisen“, einer sozialen Einrichtung der Katharer für elternlose Kinder. Castle ist hier aufgewachsen und auch als Erwachsener den Katharern verpflichtet. Die Manipulation durch Bilder ist eine Kunst, die sich die „Sturmwaisen“ für ihre lebensverachtende Religion zu Nutze machten. Kein Wunder, dass die Katharer ein zwiespältiges Verhältnis zum Naziregime unterhielten.

Bei seinen Nachforschungen, die Gates unter anderem nach Zürich, Paris und Albi, der Hochburg der Katharer, führen, findet er heraus, dass sich Castle von seinen ehemaligen Ziehvätern abwandte und versuchte, gegen sie zu arbeiten. Sein Todesurteil? Auch Jonathan Gates kommt dem Komplott der Katharer auf die Schliche und begibt sich auf eine gefährliche Reise, die für ihn auf einer einsamen Insel endet.

Langeweile im Director’s Cut

Glaubt man den Werbetexten des deutschen Verlages, dann ist „Flicker“ seit seinem Erscheinen in den USA 1991 zu einem Kultbuch unter Filmfans avanciert. Merkwürdig nur, dass der Roman in den USA lange Zeit nicht lieferbar war und erst jetzt wieder auch im amerikanischen Original in den Buchhandlungen steht. Geht man als Verlag so mit einem Kultbuch um? Davon abgesehen hat Roszaks Geschichte jede Menge Längen: Sprachlich eher durchschnittlich, langatmige Nacherzählungen und Andeutungen von Filmen sowie eine arg konstruierte Verschwörungstheorie erhöhen nicht gerade die literarische Bedeutung des Romans. Das der im „Director’s Cut“ vorliegt ist ein klarer Minuspunkt. Deutliche Kürzungen hätten dem Roman gut getan.

Farblos und reichlich naiv kommt der Held Jonathan Gates daher. Zwischen skurrilen Figuren wie Zip Lipsky und den hinterlistigen Katharern wirkt Gates wie ein hilfloses Bürschlein, das die Welt retten soll. Auch die langsam ausgebreitete Verschwörungstheorie – Manipulation durch Filme – ist nicht gerade originell. Bleibt die Frage, was Roszak mit seinem Buch transportieren wollte. Eine Kritik an der Macht der Populärkultur? Eine Warnung vor Verdummung und Verrohung durch Massenmedien? Eine Lektion in Religionsgeschichte? Wenn ja, dann hat er das sehr langweilig umgesetzt. Da sind manche theoretische Aufsätze zu den Themen spannender. Wenn nein, dann bleibt nichts als ein aufgeblähter und belangloser Verschwörungsthriller mit ein paar Lichtblicken. Immerhin geht Roszak recht skeptisch mit der us-amerikanischen Filmkultur um, versucht Unterschiede zwischen B-Movies und Kinokunst heraus zu arbeiten und auch das Fernsehen bekommt sein Fett weg. Ansonsten ist „Schattenlichter“ ein Roman, der sich kaum abhebt von den üblichen Produkten auf dem Krimimarkt. Literatur für Leute, die Sündenböcke brauchen.

Theodore Roszak: Schattenlichter / Aus dem amerikanischen Englisch von Friedrich Mader. – München : Heyne, 2005
ISBN 3-453-53032-2

Originalausgabe: Theodore Roszak: Flicker. – New York : Summit Books, 1991.

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