Platzpatrone – Folge 2: Von Teeflecken und anderen Schweinereien
vom Krimiblogger
Susan Hill: Der Menschen dunkles Sehnen
Spüren Sie es auch, dieses dunkle Sehnen? Mich überkommt es manchmal bei einigen Büchern, die ich nach quälend langer Lektüre endlich dem Reißwolf zum Fressen überantworten möchte. Tue ich natürlich nicht, schließlich macht „man“ das mit Büchern nicht. Dennoch bleibt dieses finstere Verlangen, den Autor oder die Autorin irgendwie zu bestrafen – für geraubte Zeit, für grausam platte Sätze, für quälende Langeweile und für den Verrat an mir, dem Leser. Jüngstes Beispiel in meiner Lesebiografie ist der Debütroman der britischen Autorin Susan Hill, die übrigens nichts mit Reginald Hill zu tun hat. „The Various Haunts of Men“ heißt der Roman im englischen Original, was frei übersetzt etwa „Die mannigfaltigen Heimsuchungen des Menschen“ bedeuten könnte. Eine Heimsuchung ist dieses Buch auf jeden Fall und eine ganz üble noch dazu.
„Der Menschen dunkles Sehnen“ wurde die deutsche Übersetzung betitelt. Ein wunderbarer Titel, etwa so aussagekräftig wie „Denn sie betrügt man nicht“ oder „Wer Zwietracht sät“. Schwammig, religiös angehaucht und dicke Nebelschwaden, diese Titel. Die Nähe zu Elizabeth George oder Ruth Rendell ist dann wohl auch bewußt gewählt. Allerdings: Wenn Ihnen Ruth Rendell zu wenig klischeehaft ist, wenn Ihnen die Romane einer Minette Walters doch zu sozialkritisch erscheinen oder Sie die Bücher von P.D. James für zu aufregend halten, dann dürfte Susan Hill genau das Richtige für Sie sein.
Das bisschen Handlung, die es in diesem Roman gibt, ist schnell erzählt. Im idyllischen Lafferton verschwinden auf mysteriöse Weise drei Frauen. Die ermittelnde Detective Sergeant Freya Graffham findet kaum Anhaltspunkte, was mit den Frauen geschehen ist. Als Neuzugang bei der örtlichen Polizei hat sie natürlich nicht immer einen leichten Stand, schon gar nicht bei ihrem Chef, Detective Chief Inspektor Simon Serrailler. Auf den hat sie nämlich ein Auge geworfen und der gutaussehende Herzensbrecher reagiert nicht auf ihre zaghaften und schüchternen Annäherungsversuche. Schließlich hat es der gute Simon auch nicht leicht gehabt. Stammt er doch aus einer Familie, in der alle Ärzte oder Ärztinnen geworden sind – nur er als Polizist ist das schwarze Schaf.
Arztroman, die britische Variante
Simons Schwester, Cat Deerborn, ist so eine Ärztin und natürlich mit einem Arzt verheiratet. Würde man ihr das Adjektiv „engagiert“ zuordnen, wäre dies wohl noch untertrieben. Sie ist die Turbo-Mega-Medizinerin, immer da, immer in Bereitschaft und ihren Haushalt kriegt sie auch noch irgendwie auf die Reihe. Eine Powerfrau, die sich mit Freya Graffham ein wenig anfreundet. Neben all den Kranken kümmert sich Cat auch noch um die Quacksalber, die sich in und um Lafferton vermehrt niedergelassen haben. Psychochirurgen, Heiler und anderes, esoterisches Gesocks sind Cat ein Dorn im Auge. Nur mit einigen ausgewählten Alternativ-Medizinern, etwa einem Akupunkteur oder einem Osteopathen, unterhält sie berufliche Kontakte. Ihr Kampf gegen die anderen Kurpfuscher bringt sie dann auch bei den polizeilichen Ermittlungen wieder ins Spiel. Einer dieser dubiosen Heiler hat eine der verschwunden Frauen behandelt. Weiß er etwas über ihren Verbleib?
Klingt alles nach einer Mischung aus Arzt- und Liebesroman und ist es auch. Als 80-Seiten-Heftchen beim Cora-Verlag würde sich das sicher ganz gut machen. Nur leider wälzt Mrs. Hill ihren dürftigen Plot über 550 Seiten im Hardcover bei Knauer aus. Zahlreiche Nebenfiguren und -Handlungen bevölkern das so idyllische Lafferton, das man ganz verwirrt ist, wer denn nun für die Krimihandlung wichtig ist. Die krebskranke Freundin von Cat? Die alte Dame, deren Nachbarin verschwunden ist? Oder gar das Oberhaupt der Familie Serrailler, der verbitterte alte Vater von Cat und Simon? Dazu dieser putzige Ort Lafferton: Ein hübsches Städtchen mit eigener Kathedrale und aktivem Gemeinschaftsleben. So haben wir uns englisches Landleben doch immer vorgestellt. Idyllisch, man trinkt gemeinsam Tee, ißt Scones, paßt aufeinander auf und singt gemeinsam im Chor. Pure Harmonie, wäre da nicht der Bösewicht, der Frauen verschleppt und umbringt.
Immer diese Psychopathen…
Irgendein kluger Kopf hat mal gesagt, das Kriminalliteratur von Konflikten lebt. Die gibt es aber im malerischen Lafferton gar nicht: Alle gehen nett und freundlich miteinander um, selbst die Quacksalber habe nur das Gute im Sinn, schließlich wollen sie Menschen heilen. Nur der Böse… aber das hatten wir ja schon. Jedenfalls ist der so böse, dass am Ende die gute Freya dran glauben muss. Diese furchtbaren Psychopaten machen aber auch vor keinem Halt, nicht mal vor der Polizei. Da fiel mir glatt mein Teetässchen aus der Hand, als ich das gelesen habe. So eine Schweinerei aber auch. Nach über 500 Seiten lahmen Landschafts- und Figurenzeichnungen holt Mrs. Hill den kriminellen Vorschlaghammer raus. Irgendwie war ihr vielleicht auch zuviel Harmonie drin, da haut man schnell mal drauf.
Zurück bleibt ein verratener Leser, der mit Bedauern feststellen muss, dass Mrs. Hill kein Gespür für Sprache, für Handlung, für Figuren und schon gar nicht für das richtige Timing hat. Über Witz und Humor hülle ich mich lieber in Schweigen. „Der Menschen dunkles Sehnen“ ist ein nervtötender Abklasch eines britischen Who-Done-It, den selbst eine Elizabeth George besser hinkriegt – und die ist Amerikanerin. Ach ja, hätte ich mir doch den neusten Cora-Arztroman geholt – da weiß ich schließlich, was mich erwartet. Der Teefleck auf dem Boden wäre mir erspart geblieben und billiger wäre es auch gewesen.
Susan Hill: Der Menschen dunkles Sehnen / Aus dem Englischen von Susanne Aeckerle. – München : Knaur, 2005
ISBN 3-426-66146-2
ISBN-13 978-3-426-66146-8Originalausgabe: Susan Hill: The Various Haunts of Men. – London : Chatto & Windus, 2004
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Kommentare
Schöner Verriss, mieche sich aber noch besser ohne ortograviesche Feler: Saubere Messer stechen besser!
Gut, dass es Leser gibt, die auf die ortogravieschen Feler achten, nachts um zwei Uhr und ohne eigenen Lektor (kann ich mir nicht leisten) ist das doch recht schwierig. 😉
LG
Ludger
P.S. Du darfst gerne eine Korrektur des Textes schicken, ich arbeite die dann ein…
Right, saubere Messer stechen besser. Aber schmutzige töten zuverlässiger. Wenn schon keine lebenswichtigen Organe verletzt werden, hat man vielleicht noch eine tödliche Infektion in der Hinterhand als Mörder.
Einer, der lieber unerkannt bleibt.
Hallo Ludger,
Kompliment, aber
„Wenn Ihnen Ruth Rendell zu wenig klischeehaft ist“
? Ist es nicht eher so, dass die Dame mit den Klischees in unseren Köpfen spielt.
Fragt bernd,
der immer ´mal wieder und gerne britischen Landhausstil verkostet.
Hallo Bernd & werter Unerkannter,
? Ist es nicht eher so, dass die Dame mit den Klischees in unseren Köpfen spielt.
Bei Rendell bin mit dem Spielen von Klischees gespalten, die Lektüre ihrer Romane (einige, nicht alle) liegt bei mir etwas zurück. Spontan erinnere ich mich an die „Brautjungfer“ und der war schon sehr, sehr britisch und in meinen Augen sehr ernst und nicht spielerisch gemeint. Ähnlich sehe ich auch einige Wexford-Krimis von ihr.
Mit dem britischen Landhausstil habe ich meine Schwierigkeiten, ich wurde damit geködert, aber wenn ich jetzt so auf die Masse von Krimis schaue, die es mittlerweile gibt, bringt da kaum eine Autorin (oder Autor) neue Aspekte rein.
Was die sauberen oder schmutzigen Messer betrifft: Als alter Legastheniker ist das halt so. Dafür gelten wir ja als viel phantasievoller, kreaiver und schmutziger (ätsch!). Rechtschreibregelen stehen uns da manchmal im Weg. Solange der Text lesbar und veständlich bleibt. Nachts um zwei Uhr kann ich zudem den Duden und Bastian Sick nur noch verschwommen lesen… 😉
Liebe Grüße
Ludger
Hallo Ludger,
von Rendell fällt mir da z.B. „Simiola“, ein „Wexford-Krimi“, ein. Ein dunkelhäutiges Opfer mitten auf´n platten Land, eine Spielwiese für Klischees im Kopf. Oder „Adam and Eve and Pinch me…“ wo ein (füher hätte man „Heiratsschwindler“ gesagt) Mann drei Frauen an der Nase rumführt und auf selbiger landet. Alles nicht unsterblich groß, aber von Könnerschaft zeugend und passend zum Fünfuhrtee.
Und die von Dir immer wieder gerne genannte Minette Walters, nun ja, man kann ihr vielleicht nicht zum Vorwurf machen, dass sie weder in der Bronx großgeworden ist, noch so lebt … im Vergleich zu Donna Leon z.B., finde ich, ist sie eine richtige Schriftstellerin. „The Scold´s Bridle“ ist doch ein Grund sich ´mal wieder King Lear vorzunehmen.
Und innovativen Landhausstil könnte man z.B. Morag Joss´ „Half Broken Things“ bezeichnen.
Mit besten Grüßen
bernd
Hallo Bernd,
das Ruth Rendell ihre Verdienste hat, will ich nicht bestreiten. Sie hat ja schon seit den 1960er Jahren Krimis veröffentlicht und zwar sehr viel, wenn ich mir ihre Bibliografie so anschaue. Minette Walters hingegen ist in meinen Augen eine Autorin, die von dem lebt, was Rendell, oder auch P.D. James, geschaffen haben. Sie peppt den guten, alten Landhauskrimi etwas auf, formuliert schärfer den Geschlechterkonflikt (Männer kommen meistens schlecht bei ihr weg, Frauen sind fast immer die Retter und Helden) und wählt ein modern angehauchtes Setting, arbeitet mit eingestreuten Dokumenten (Briefe, offizielle Berichte, Zeitungsartikel usw.) – ansonsten bleibt sie aber der Linie treu, die Rendell, James und andere vorgegeben haben. Das ist in Ordnung, aber ich halte das nicht für innovativ oder für einen spielerischen Umgang mit den klassischen Krimischemata.
Ich werfe Walters auch nicht vor, dass sie nun nicht in der Bronx lebt, aber ihre Schilderungen zum Beispiel der Obdachlosen in „The Echo“ fand ich blutleer und stereotyp.
Danke für deinen Tipp zu Morag Joss. Diese Autorin ist mir bisher entgangen. Mal sehen, vielleicht schafft es „Des Hauses Hüterin“ (also „Half-Broken Things“ in der deutschen Übersetzung) auf meinen Stapel.
Viele Grüße
Ludger
stichwort englische landhauskrimis – kennen die herren joan aiken? ihre eigentlich, in schwarz-gelb gehaltenen diogenes-krimis gefallen mir nicht so, aber ihre als „romane“ apostrophierten geschichten sind atemberaubend gut. in „jane fairfax“ z.B. scheut sie sich nicht, auf den ersten 1,25 seiten 4 tote zu präsentieren. auch in „fanny und scylla“ sterben sogar lieblingsfiguren … sie war hochbegabt … ach was, ein MEILENSTEIN … grenzgängerin … leider im januar letzten jahres gestorben … direkte nachfolgerin jane austens … aber mit krimikongenialer spannung … allererste liga … große liebe für jede einzelne ihrer figuren.
anonymella