Solider Brit-Noir

vom Krimiblogger

Der Kreis der Toten
David Lawrence: Der Kreis der Toten

Der Londoner Stadtteil Notting Hill gilt als trendiger Ort mit schicken Geschäften und noblen Villen. Doch es gibt auch die schäbige Seite, im Norden, wo auf der Straße Prostituierte ihre Dienste anbieten und Drogendealer den Tod auf Raten verkaufen. Detective Sergeant Stella Mooney kennt beide Seiten dieses Viertels. Sie arbeitet als Mitglied des AMIP, des „Area Major Incident Pool“ (auch als „Area Major Investigation Pool“ bekannt), einer Abteilung des Criminal Investigation Department (CID) der Londoner Polizei, die sich mit Schwerverbrechen beschäftigt. Ein solches liegt vor, als Stella mit ihren Kollegen in die Wohnung eines älteren Geschwisterpaares gerufen wird. Vier Tote sitzen im Kreis zusammen. Ein bizarres Bild, das Autor David Lawrence als Eröffnungsszene seines Romans „Der Kreis der Toten“ gewählt hat.

Eine erste Lösung ist schnell in Sicht. Drei der Toten waren Geschwister – ein Mann und zwei Frauen – und sie haben vermutlich aus gesundheitlichen und religiösen Gründen Selbstmord begangen. Nur der vierte Tote, ein jüngerer Mann, gibt Stella und ihren Kollegen Rätsel auf. Er wurde mit einer Sonde, die ihm ins Herz getrieben wurde, getötet. Der Tathergang lässt auf einen Profikiller schließen. Der Tote, so stellt es sich heraus, war Jimmy Stone, ein kleiner Gauner, der sein Lebensunterhalt mit dem Handel von Mördersouvenirs verdiente. Ein makaberes, aber legales Geschäft. Doch nebenbei verdingte sich Jimmy auch als Handlanger der Gangsterfamilie Tanner – und dies war offensichtlich sein Todesurteil.

Schnell wird aus dem bizarren Fall von vier Toten im Kreis eine Geschichte über organisiertes Verbrechen, Mädchen- und Drogenhandel, Autoschieberei und Auftragsmord. Die Familie Tanner betreibt in London ein gut funktionierendes und kriminelles Wirtschaftsunternehmen, gegen das die Polizei machtlos ist. Der Tod von Jimmy könnte dies ändern, hofft Stella und setzt alles daran, Beweise gegen die Tanners zu sammeln. Helfen soll ihr dabei der Journalist John Delany, der über Kontakte in die Londoner Unterwelt verfügt.

Archaische Bilder und nüchterne Porträts

The Dead sit round in a RingDarunter auch die Prostituierte Zuhra Hadžic, eine Frau aus Bosnien, die das Grauen des Krieges am eigenen Leib erlebt hat. Ihre Familie wurde vor ihren Augen von Serben bestialisch hingemetzelt. Zuhras anschließende Flucht nach Großbritannien entpuppt sich als Falle: Menschenhändler haben sie – wie so viele andere Frauen auch – an die Familie Tanner verkauft. Sie ist von der einen Hölle in die nächste geraten: Als Hure muss sie auf dem Straßenstrich die Freier im Fünfzehn-Minuten-Takt bedienen. Kontrolliert wird sie von den Aufpassern der Familie Tanner, also Männern wie Jimmy Stone, der vermutlich zuviel über die Tanners wusste. Zuhra, die Jimmy kannte, wäre eine wichtige Zeugin gegen die Tanners, doch sie hat Angst. Nicht nur vor der Polizei, sondern auch vor Ivo Peric, einem gesuchten Kriegsverbrecher, den Zuhra durch Zufall in London wieder trifft. Er ist der Mann, der ihre Familie ermordet hat und er ist ein Profikiller, der in London einen Auftrag hat.

Wer nach der Eingangsszene auf den üblichen Psycho-Serienkiller-Quatsch wartet, wird von David Lawrence enttäuscht. Lawrence entwickelt einen düsteren Thriller über den Banden- und Straßenkrieg in London. Eine ganze Phalanx von Hooligans, Kleinkriminellen, Mafiabossen, Kriegsverbrechern und korrupten Polizisten bevölkern den Roman. Archaische und blutige Bilder wechseln sich ab mit nüchternen Zeichnungen der Opfer dieser Auseinandersetzungen. Lawrence schildert zum Beispiel die Tötung eines „Verräters“ durch die Schergen der Familie Tanner so teilnahmslos, dass einem der Atem stockt. Die Grenzen von Gut und Böse sind aufgehoben, London ein finsterer, ein seelenloser Ort. Ein kalter und distanzierter Erzählton, der durch den Roman schwingt, erhöht die Sogwirkung und wird noch verstärkt durch schnelle und heftige Schnitte und Szenenwechsel.

David Lawrence, ein Pseudonym, hinter dem sich ein bekannter, britischer Drehbuchautor verbergen soll, hat mit „Der Kreis der Toten“ einen stimmigen und soliden Brit-Noir-Thriller abgeliefert. Ein dunkles Drama, das gerade wegen seines unterkühlten Stils recht nah an den Leser kommt. Von daher ist das Etikett „Psychothriller“, das der deutsche Verlag dem Buch angehängt hat, irreführend. Die Gewaltorgien, die Lawrence schildert, haben nur wenig gemein mit den üblichen Serienkiller- und Thriller-Romanen, die sich einen Wettbewerb in den skurrilsten Mordarten und den psychopathischsten Psychopathen liefern. Lawrence ist hart, direkt, manchmal zynisch und eiskalt. Die Frage, warum einer wie Ivo Peric zum Kriegsverbrecher und Profikiller wird, bleibt unbeantwortet. Ein Killer ist ein Killer.

Auch wenn manches übertrieben wirkt, auch wenn gelegentlich der Zufall seine Hand im Spiel hat – Lawrence zeigt ein gutes Gespür für spannende Handlung und treffsichere Sprache, übrigens auch in der Übersetzung. Er hat eine eigene Stimme entwickelt. Eine Stimme, die ausbaufähig ist, die aber schon jetzt als eine der interessantesten unter den aktuellen, britischen Krimiautoren gilt.

Für Serien-Junkies noch eine kurze Nachbemerkung: Verwirrend ist auf den ersten Blick die Übersetzungsfolge der deutschen Ausgaben. Die Serie um DS Stella Mooney umfasst bislang drei Romane:

  • The Dead sit round in a Ring (2002)
  • Nothing Like the Night (2003)
  • Cold Kill (2005)

Der Knaur-Verlag hat – aus welchen Gründen auch immer – im letzten Jahr zunächst den zweiten Band „Nothing Like the Night“ als ersten übersetzten lassen. Er ist erschienen unter dem Titel „Der Geruch des Todes“, ist aber eigentlich der Nachfolger von „Der Kreis der Toten“. Wer also die Reihenfolge einhalten möchte, sollte mit „Der Kreis der Toten“ beginnen.

David Lawrence: Der Kreis der Toten : Psychothriller / Aus dem Englischen von Sigrid Langhaeuser. – München : Knaur, 2005. – 538 S.
ISBN 3-426-62617-9

Originalausgabe: David Lawrence : The Dead sit round in a Ring. – London : Michael Joseph, 2002
ISBN 0-7181-4499-6

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Links
→ Interview mit David Lawrence auf der Homepage des Verlages Penguin (engl.)