Schlechte Aussichten für das Böse
vom Krimiblogger
Schön, die Alligatorpapiere informieren wieder über Neuigkeiten, wenn auch noch etwas angeschlagen. Gute Besserung!
So stolpere ich über einen Bericht in der taz, in dem Carsten Würmann über die Tagung „Wiederkehr des Bösen? Der Kriminalroman auf neuen Wegen“, in der Evangelischen Akademie Iserlohn berichtet. Neuigkeiten: So gut wie keine. Krimiautoren pochen darauf, dass Krimis jahrelange Recherche und Vorarbeit brauchen. Der Soziologe Otthein Rammstedt sieht den Krimi dem Geist der Zeit verpflichtet und Sigrid Thielking erklärt, dass der Krimi aktuelle Phänomene und Probleme aufnehme. Besonders traurig stimmt mich aber der letzte Absatz:
„Gefragt seien Krimis mit Mehrwegfunktion, die wie beispielsweise der historische Krimi Spannung mit Wissensvermittlung verknüpften. Subgenres wie der düstere Roman noir oder Politthriller treten hinter Plots zurück, wie sie etwa der Bestsellerautor Jacques Berndorf in seinen Eifel-Krimis liefert: Alltag mit Haustieren, Heimat und Natur, die vom Auto aus genossen werden kann, das rechte Maß an Liebe und Erotik und aufrichtige Männerfreundschaft, die höchstens einmal durch Ermittlungsprobleme getrübt wird. Was das nun über die bundesdeutsche Gesellschaft aussagt, dürfte auf folgenden Konferenzen hinreichend geklärt werden.
Quelle: Dem Geist der Zeit verpflichtet. Von Carsten Würmann. taz
Mehrwegfunktion (ein grausliches Wort) also, Spannung und Wissensvermittlung. Wo bleibt da die Literatur? Kriminalistische Texte haben Funktionen zu erfüllen, zeigen, wie gut oder schlecht der Autor / die Autorin recherchiert hat. Mehr nicht. Das Krimis durchaus Wissen vermitteln können, keine Frage. Aber was ist mit Stil, mit dem Sprachumgang, mit Schnitttechniken, Anordnung von Plots? Hier wird ein Genre auf formale Attribute reduziert. Wenn Würmann am Anfang seines Artikels dann auch noch die bekannten Autor/innen nennt, die Millionen-Auflagen erreichen (Dan Brown, Donna Leon, Henning Mankell, Elizabeth George), dann weiß man, woher der Wind weht. Das Autor/innen, die eben nicht in diese Schubladen passen, es schwer haben, wusste ich schon vorher. Trübe Aussichten für den Kriminalroman, jenseits der Bestsellerlisten.
Kommentare
Lieber Ludger,
die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt – und meine beruht darauf, dass Leon, Mankell & Co. (Dan Brown möchte ich jetzt absichtlich nicht nennen), für den ein oder anderen Leser vielleicht als „Einstiegsdroge“ dienen. In engem Rahmen hat dies mit Camilleri, Nesser, Rankin etc. bereits geklappt – wird vielleicht Zeit für einen Vorreiter, der auch dem breiten Publikum Lust auf néo polar? Wie wär´s mit Fred Vargas?
Gruß,
Lars
Lieber Lars,
meine Hoffungen sind da leider nicht ganz so groß. Jetzt muss ich schon wieder den Wörtche zitieren, ich hoffe Du siehst es mir nach:
Natürlich gibt es immer wieder Leser/innen, die Donna Leon, Henning Mankell, oder auch Agatha Christie als „Einstiegsdroge“ gelesen haben und irgendwann entdeckt haben, dass Kriminalliteratur eben vielschichtiger und facettenreicher ist. Ich weiß nicht, welche Autor/innen Deine „Einstiegsdrogen“ waren, für mich waren es schon Christie, Sayers oder Grimes. Dank Büchern wie z.B. von Ulrich Suerbaum (Krimi. Eine Analyse der Gattung) oder dem „Mordsbuch“ von Nina Schindler hat sich dann mein „Lesehorizont“ erweitert(Internet gabs damals noch nicht für alle). Dennoch glaube ich, dass viele Leser und Leserinnen einfach das lesen möchten, was ihnen Spaß und Ablenkung gebracht hat. Das beobachte ich immer wieder in großen Buchhandlungen. Da fragen die Leute nicht nach Paprotta oder Steinfest, die möchten so etwas wie Dan Brown oder Henning Mankell lesen. Und nochmal mit Nachdruck: Ich werfe das niemanden vor oder halte mich deshalb für irgendwie „besser“ oder „klüger“.
Das Ergebnis: Überall liegen nun die Kopien von Brown oder Mankell herum. Das darunter auch mal etwas gutes sein kann, keine Frage. Aber gerade diese Bestseller-Klone versperren manchmal den Blick auf die wirklichen Perlen.
Ein für mich sehr bedauerliches Erlebnis war vor einigen Jahren eine Lesung mit Garry Disher. Damals war gerade der „Drachenmann“ erschienen und Disher noch relativ unbekannt. Klar, dass nicht jeder, der auf der Lesung war, ihn oder seine Bücher unbedingt kannte. Aber anstatt nun diese Gelegenheit zu nutzen, diesem sehr höflichen und freundlichen Mann Löcher in den Bauch zu fragen, der den weiten Weg von Australien nach Deutschland zurück gelegt hatte, anstatt sich also mit ihm zu beschäftigen unterhielt sich das breite Publikum über den neusten Ostfriesen-Krimi.
Natürlich wird es wohl weiterhin eine kleine Minderheit von Leuten geben, die Noir-Romane lesen und lieben, die durch Fred Vargas vielleicht auf andere, französische Autor/innen aufmerksam werden. Klar – aber manchmal dürften es ruhig ein paar mehr sein 😉
LG
Ludger
Lieber Ludger,
meine „Einstiegsdroge“ waren die ??? (soweit man die dazu zählen kann, naja: vielleicht die erwachsensten Jugendkrimis), dann Conan Doyle und – Mankell. Bin halt noch ein recht junges Semester. Leon habe ich mehrmals versucht, aber nie geschafft. Und vor Grimes und George schrecke ich nach wie vor zurück.
Wo der Buchhändler dann seine Kompetenz(?) nicht unter Beweis stellt und mal etwas „Gewagteres“ empfiehlt und eh auf das zeigt, was groß und breit ausliegt. Ist ein bisschen wie die Huhn- und Ei-Frage.
Über Steinfest, Paprotta, (die Liste ist lang) stolpert der Leser so gut wie gar nicht. Die werden nicht beworben und nur in wenigen Medien besprochen. Selbst in Europas modernster Buchhandlung bei mir vor der Haustür muss man die „Perlen“ mit der Lupe suchen. Wie soll da ein Leser, der vielleicht wegen Mankell auf den Krimi-Geschmack gekommen ist, diese Namen nachfragen? Von Disher ganz zu schweigen.
Er fragt nicht danach, weil sie ihm nichts sagen. Und bekommt in der großen Buchhandlung (nicht in der kleinen speziellen à la Hammett) das empfohlen, was sich prächtig verkauft. Teufelskreis.
Deswegen bin ich in meinem Bekanntenkreis rigoros und verleihe mit Vorliebe das, was keiner kennt (wie Steinfest, Paprotta, …). Das wird mit wachsender Begeisterung verschlungen – und hinterher mehr oder weniger kleinlaut gefragt, wie man denn nun auf diese Titel stoßen sollte!?
Die Sache mit Disher ist schade, full ACK. Aber auch leider nicht so verwunderlich. Das Interesse an Noirs, Pulps und Hardboileds ist nunmal (arg) begrenzt – was ich absolut verstehen kann. Denn da geht´s – zumindest bei mir – schon nah an die Geschmacksfrage. Nicht, dass ich Dishers Werke nicht schätzen würde. Aber kein Genre für mich. Ich setze mich gerne hin und wieder mit einem Roman aus der Richtung auseinander, muss und möchte öfters aber etwas anderes lesen. Warum diese Genres mittlerweile fast gleichbedeutend mit „literarisch anspruchsvollem Kriminalroman“ in den Mund genommen werden, hat sich in dieser Pauschalität meiner Erkenntnis bisher auch erfolgreich entzogen 😉
Frag mich jetzt aber bloß nicht, wo angesetzt werden sollte. Ob Verlage Ihr Marketing überdenken müssen (lieber 10 vielversprechende Autoren bewerben oder einen Crichton/Grisham/Brown), ob Buchhändler in den großen Filialen mehr Know-How benötigen, ob gar der Leser durch diversifiziertere Betrachtung des Genres in den Feuilletons besser „erzogen“ werden muss – no idea. Das alles hält mich dennoch nicht davon ab, jedem „Illuminati“-Fan lang und breit zu erklären, warum das Buch schriftstellerisch mies ist. Und vielleicht gelingt´s mir hin und wieder, jemanden zu bekehren 🙂
Lars
P.S.: TW darfst Du immer und immer gerne zitieren, habe kein Problem damit. Aber apropos: Emons schreibt sich zum Frühjahrsprogramm groß Neue deutsche Heimatliteratur (Stichwort: Hinterm-Deich-Krimi(!) auf die Fahnen – was sagt man nun dazu noch?
Lieber Lars,
Noir: Ja, warum so pauschal Noir als „literarisch anspruchsvoll“ gesehen wird, wundert mich auch. Wäre mal eine umfangreichere Untersuchung wert. Vielleicht hängt es aber auch mit dem Minderheitenstatus dieses Genres zusammen.
Buch/Krimivermittlung: Ein spannendes Thema. Schließlich mag es kaum jemand, wenn er (im schlimmsten Fall) von jemand anderen „belehrt“ wird. Während meines Studiums gab es Leute (Professoren und Studenten), die glaubten, man könne Leser „erziehen“ und sie zum „höher lesen“ bringen. Köder sie mit Konsalik & Co. und irgendwann landen sie dann bei Goethe. Fand ich scheußlich diese Vorstellung. Deshalb: Bücher an Freunde und Bekannte empfehlen/ausleihen, die man selber gut fand, ist da schon besser. Mir bringt das ständig Vorhaltungen meiner lieben Kolleginnen ein 😉
Buchhandlungen/Buchhändler: Hier in Hamburg ist die Auswahl an guten Buchhandlungen eh‘ sehr begrenzt. Als ich vor ein paar Wochen in Köln war, habe ich einmal mehr gemerkt, wie „provinziell“ Hamburg im Vergleich ist. Ganz abgesehen von der schönen Krimibuchhandlung in der Domstadt. Sagt erstmal nichts über die Buchhändler in HH aus, gibt sicher auch ein paar gute, sind aber schwierig zu finden.
LG
Ludger