Die Krimiwelt des Burkhard M.
vom Krimiblogger
Gegenbetrachtungen zum Start der SZ-Krimibibliothek
„Was bereitet uns solches Vergnügen an Kriminalromanen, obwohl es um eine so grässliche Sache geht wie Mord?“ fragt Burkhard Müller zu Beginn seiner Betrachtung des Kriminalromans, die unter dem Titel „Nichts ist so, wie es scheint – Was ist ein Kriminalroman?“ anlässlich des Starts der SZ-Krimibibliothek in der Süddeutschen Zeitung vom 14./15. Januar erschienen ist. Eine Gegenfrage: Was bereitet mir immer solches Grausen, wenn ich feuilletonistische Texte über Kriminalromane lesen muss?
Die Krimiwelt des Burkhard Müller ist einfach gestrickt: Da haben wir auf der einen Seite den klassischen Whodonit, dem er dreieinhalb Spalten seines insgesamt vierspaltigen Artikel widmet. Mit vielen schönen bunten Worthülsen, wie sich das für das Feuilleton der Münchener Zeitung gehört, erklärt er uns die Anfänge und die vermeintliche Faszination des beliebten Genres. Wir, die Leser, bestehen ja immer auf Mord – außer im Kurzkrimi, das Sterben eines Menschen im Kriminalroman ist nur ein „Requisit“, ein „Stein, der ins Wasser geworfen wurde und nach seinem Untergang immer weitere Kreise zieht“, der Tötungsvorgang ist eine „Antupfung“ – alles andere wäre Thriller oder Horror, mit wesentlich dunkleren Bedrohungen. Im Krimi, so lernen wir bei Müller, ist das „Ärgste schon vorbei, wenn er anfängt“. Der Krimi lebt vom Dualismus – Geborgenheit im Lehnstuhl hier, Unruhe des verhandelten Gegenstandes hier. Er hat sogar noch mehr zu bieten: die Absolution für eigene Todeswünsche und ein wenig Trost für die Todesfurcht.
Wohlgemerkt, dies alles schreibt Müller zum Start der SZ-Krimibibliothek, deren Auftakt Dashiell Hammettes „Malteser Falke“ bildet. Offensichtlich war das den verantwortlichen Redakteuren denn doch zuviel bodenloses und sinnfreies Geschwafel, weshalb sie Peter Zadek um einen – wesentlich kürzeren und sinnvolleren – Einführungstext in der gleichen Ausgabe der Zeitung zu diesem Roman gebeten haben. Zadek schreibt: „Der Text gilt als Begründung des Realismus im Kriminalromans, aber ich bin mir trotz der realistischen Milieu-Schilderungen nicht sicher, ob man das so sagen kann. Denn realistisch heißt hier nicht, dass dem Leser (…) die Interessen der Figuren psychologisch erklärt werden, dass jemand für das Milieu verantwortlich gemacht wird. Solche Texte machen Spaß, weil sie sich nicht mit moralischen Skrupeln aufhalten, dafür aber den Leser voller Fragen zurücklassen.“
Mit Recht kann man im „Malteser Falken“ einen Bruch, eine Wendung, einen Neubeginn des Genres sehen und Zadek bringt es klar und deutlich auf den Punkt. Herr Müller hingegen phantasiert spaltenweise über die Rolle des Detektivs, seinen „sidekick“, also seinen helfenden Partner – Holmes und Watson müssen einmal mehr herhalten – und behauptet fest, dass sich diese Rolle keineswegs oder doch nur marginal geändert habe. Der moderne Polizeiroman etwa hat bei Müller irgendwie nicht stattgefunden, die Arbeit eines Ermittlerteams – von Sjöwall/Wahlöö über Mankell bis hin zu Indridason und es wären reichlich mehr zu nennen – scheint an Müller vorbei gegangen zu sein. Das reduziert er kurzerhand auf ein verfehltes Familienglück oder die tragende Rolle des Alkohols. Prost statt Proust, möchte man da rufen – also ob sich Kriminalliteratur nicht entwickelt hätte, als ob der moderne Kriminalroman in einem Panzer aus Klischees und Genregesetzen an der zeitgenössischen Prosa abgeprallt wäre und umgekehrt.
Man könnte dies auf das Nichtwissen des Herrn Müllers zurückführen, doch dunkle Stimmen scheinen ihm eine Eingebung geflüstert zu haben. Das, was Zadek in kurzen Worten als Spannungsfeld des Realismus und der Moral aufzeigt, das ist für Müller der Gegenpol zum Whodonit – der Milieukrimi, der als Bastard des Heimatromans sein Unwesen treibt. Nun hat er nicht unrecht, wenn er vielen dieser Kriminalromane einen parasitären Charakter unterstellt und bemerkt: „Die Plots sind nicht selten eine Beleidigung für den Geist.“ Ja, sicher sind sie das – wenn man die gängigen Produkte der nationalen und internationalen Krimiindustrie betrachtet und die auch zahlreich in der SZ-Krimibibliothek vertreten sind.
Doch es gibt anderes, besseres. Dazu hätte der Herr Müller einfach mal genau auf das Programm der, so reichlich schlecht beworbenen, SZ-Krimibibliothek schauen müssen: Chester Himes, Fred Vargas, Jean-Patrick Manchette, Charles Willeford, Ulf Miehe oder Jörg Fauser sind nur einige der Namen, die in dieser Bibliothek vertreten sind und die Müllers Betrachtungen Lügen strafen. Das sind keine Autoren, die Plots durchnudeln, die sich in ein enges Genrekorsett pressen lassen. Sie bieten wahrlich keinen Trost und mildern Todesängste und schon gar nicht sind ihre Romane Bastarde des Heimatromans. In der Krimiwelt des Burkhard Müller scheinen sie nicht zu existieren – in der SZ-Krimibibliothek glücklicherweise schon.
Links & Quellen
Burkhard Müller: Nichts ist so, wie es scheint. Was ist ein Kriminalroman? Eine Betrachtung zum Start der jüngsten SZ-Bibliothek. In: Süddeutsche Zeitung v. 14./15. Januar 2005, Seite 18
Als kostenpflichtes E-Paper lesbar.
Peter Zadek: Nichts ist so, wie es scheint. Dashiell Hammetss „Der Malteser Falke“. In: Süddeutsche Zeitung v. 14./15. Januar 2005, Seite 15
Als kostenpflichtes E-Paper lesbar.
Die SZ-Krimibibliothek in der Übersicht
Der Krimiblog zur SZ-Krimibibliothek
Danke an Anobella für den Hinweis und eine Bemerkung: Wenn Ihnen Begrifflichkeiten wie „Asservatenkammer“ aus einem anderen Krimiblog bekannt vorkommen, dann liegen Sie richtig. Einfallsreich sind sie halt nicht, dort im fernen München.
Kommentare
Ich bin so frei, unsere an anderer Stelle (http://www.krimiblog.de/310/noch-ne-krimibibliothek.html) begonnene Betrachtung hierhin zu verlegen. In der Münchner Druckausgabe der SZ gibt es eine Sonderbeilage mit einem einführenden Artikel von Thomas Steinfeld. Dieser Artikel vergleicht den Krimi mit einem deutschen Satz, bei dem auch bis zum Schluss nicht weiß, worauf es eigentlich hinausläuft. Beispiel: Ein Satz, der mit „Unser Mann schnitt der fünften Frau…“ beginnt, kann mit „…die Kehle durch“ oder „…eine Rose ab“ enden. Durchaus amüsant zu lesen, wenn natürlich der Autor nicht frei davon ist, sich an seiner eigenen Sprache zu berauschen.
Leider fehlt diese Beilage in der Deutschland-Ausgabe. Schade. Klingt jedenfalls interessanter als die Betrachtungen des Herrn Müllers…
Viele Grüße
Ludger
Wenn es Sie interessiert, kann ich Ihnen den Artikel per Post zusenden. Teilen Sie mir einfach Ihre Anschrift über die E-Mail-Adresse mit, die ich zu diesem Kommentar hinterlegt habe (keine Angst, kostet mich weder Geld noch Mühe).
Hm, hört sich an, als sei hier ein weiterer Stein der Krimischlichtheit vermauert worden. In der Süddeutschen. Schade.
bye
dpr
Die Werber freuen sich übrigens schon.
Servus Ihr,
dass die SZ die Aufbereitung des Krimis nicht gerade zur Freude der erfahrenen Krimileser durchführt, wundert mich als täglicher Leser nicht. Ich glaube, im Jahr 2005 waren da maximal 5 Artikel im Feuilleton zu Krimis.
Die haben da (2004 glaube ich) mehrere Leute vom Feuilleton der FAZ übernommen und schwelgen noch etwas im großbürgerlichen Kulturverständnis von ehedem.
Mit besten Grüßen
bernd
Hallo Bernd,
bleibt für mich die Frage, warum die Feuilleton-Redakteure einen so dummen Text wie den von Herrn Müller haben durchgehen lassen. Sie sollen Werbung für die hauseigene SZ-Krimibibliothek machen. Okay. Solche Editionen sind, wie der Link oben zu den Werbern zeigt, schnell gemachtes Geld. Auch in Ordnung. Aber hätte es nicht irgendjemand anderes gegeben, der auf die ganze Bandbreite hinweist, die in der Bibliothek ja vorhanden ist. Herr Müller ist mir jedenfalls bislang nicht als versierter Krimikenner aufgefallen.
Ziemlich dumm, das alles…
Liebe Grüße
Ludger
[…] liegt in der Qualität dieses Blogs. Mein kleines krimiblog ist so gut, das es – übrigens zum zweiten Mal – kopiert wurde. Geben Sie doch einfach mal “krimiblog” mit .at statt .de am Ende ein […]