Kratzer in der Krone
vom Krimiblogger
Ruth Rendell: Der Duft des Bösen
An diesen kalten Wintertagen wollen drei große Damen des britischen Kriminalromans für wohlige Schauer sorgen. Mitte Februar 2006 erscheint P.D. James’ bislang letzter Roman „The Lighthouse“ unter dem Titel „Wo Licht und Schatten ist“ in deutscher Übersetzung. Etwa zur gleichen Zeit dürfte dann auch „The Devil’s Feather“ von Minette Walters unter dem Titel „Des Teufels Werk“ vorliegen. Dritte im Bunde dieses kriminellen Damenkränzchens ist Vielschreiberin Ruth Rendell, die in 42 Jahren über 40 Romane verfasst hat und dabei sind die 12 Romane, die sie unter ihrem Pseudonym Barbara Vine veröffentlicht hat, noch nicht mitgezählt. Allen drei Ladies wurde des Öfteren der Titel „Queen of Crime“ angedichtet, wobei Minette Walters die Jüngste und P.D. James die Älteste im erlauchten Kreis der Krimi-Königinnen ist. In der Mitte steht also Ruth Rendell, nicht nur aufgrund ihres Alters. Mit ihrem Roman „Der Duft des Bösen“, der seit Anfang des Jahres in deutscher Übersetzung vorliegt, zeigt sie, dass ihre Krimi-Krone nicht ohne Kratzer ist.
Schauplatz ihres betulich erzählten Kriminalromans ist das Geschäft „Star Antiquitäten“ im Westen der Londoner Innenstadt, nicht weit entfernt vom Bahnhof Paddington. Die Besitzerin Inez Ferry betreibt in dem dreistöckigen Reihenhaus ihr Geschäft und lebt in der Wohnung darüber. Die restlichen Wohnungen im Haus hat sie vermietet: An die exzentrische Ludmilla Gogol, die regelmäßig von ihrem Liebhaber Freddy Perfect besucht wird, an den geistig zurückgebliebenen Will Cobbett sowie an den freundlichen Computerspezialisten Jeremy Quick. Zu dieser Runde gesellt sich noch die hübsche Verkäuferin Zeinab, unpünktlich aber mit einem beeindruckenden Verkaufstalent ausgestattet, sowie eine ganze Reihe von weiteren Nebenfiguren. Kurz: Wir befinden uns in der Dekoration und mitten im Ensemble einer Seifenoper, gegen deren Künstlichkeit „Coronation Street“ oder „Lindenstraße“ als brutal realistische Soziodramen erscheinen.
Für die nötige Unruhe in dieser Kulisse sorgt ein Serienmörder, der bislang fünf Frauen ermordet hat. Presse und Öffentlichkeit sind in Aufruhr, denn der „Rottweiler“, wie er aufgrund einer angeblichen Bisswunde bei einem der Opfer genannt wird, ist noch nicht gefasst. Von jedem seiner Opfer behält er eine kleine Trophäe zurück, eine Kette, ein Feuerzeug oder eine Taschenuhr. Es kommt, wie es kommen muss: Inez entdeckt in ihrem Laden eines dieser Souverniers. Der Mörder könnte also einer ihrer Kunden oder gar einer ihrer Mieter sein. Nach einem 141 Seiten langen und langatmigen Prolog erfährt es der Leser dann endlich: Der Mörder ist einer der Mieter. Erst jetzt beginnt Rendell mit dem, was sie angeblich am besten kann – der Psychologie.
Gepflegte Langeweile
Nach und nach entblättert Rendell sein Geheimnis und den Grund für seine Morde. Doch auch die anderen Bewohner des Hauses werden unter die Lupe genommen, denn alle scheinen ein Doppelleben zu führen. Ob Inez, die ihrem verstorbenen Mann, einem Schauspieler, nachtrauert und abends seine Filme schaut, ob der bemitleidenswerte Will, der in seiner kindlichen Naivität an einen Schatz glaubt, den er in einem Kinofilm gesehen hat, ob Jeremy, der sich eine Verlobte samt schwerkranker Mutter erfindet oder Freddy, der Umgang mit kleinen Gaunern pflegt – sie alle haben ihre kleinen Mysterien.
Hier ist nicht nur die Dekoration aus Pappmaschee, die handelnden Figuren sind es auch. Tiefe, Lebendigkeit oder ausgefeilte Psychogramme sucht man bei Rendell vergeblich. Dafür gibt es reichlich Betroffenheitshascherei, zum Beispiel mit dem armen Will, der so sehr an seiner Tante Becky hängt und die darüber so verzweifelt ist, dass sie erst einen Liebhaber sausen lässt und dann immer tiefer ins Glas schaut. Ein Liebesroman ist nichts dagegen. Dazu serviert Rendell eine große Portion gepflegter Langeweile. Wer 141 von rund 440 Seiten braucht, um sein Personal und sein Setting einzuführen, der hat offensichtlich ein Problem mit Tempo und Erzählaufbau. Ganz abgesehen von den zahlreichen Zufällen, die Rendell benötigt, um ihrer Handlung wenigstens den Anschein von Logik und Bewegung zu geben.
Als psychologischer Kriminalroman ist „Der Duft des Bösen“ gescheitert. Kriminalliterarische Fiktion, so wie sie von Rendell erzählt wird, verlangt Stringenz und Glaubwürdigkeit, sonst findet sie sich in der Abteilung Trash, Studienratsgattinnen-Lektüre oder verkappter Schund wieder. Deshalb darf durchaus bezweifelt werden, ob Ruth Rendell immer noch zu den Königinnen der britischen Kriminalliteratur gehört. Bleibt abzuwarten, womit ihre beiden Kolleginnen James und Walters die Leser – und vermutlich vor allem die Leserinnen – überraschen werden. Es kann eigentlich nur besser werden.
Ruth Rendell: Der Duft des Bösen / Ins Deutsche übertragen von Eva L. Wahser. – München : Blanvalet, 2006
ISBN-10: 3-7645-0117-0
ISBN-13: 978-3-7645-0117-4Originalausgabe: Ruth Rendell: The Rottweiler. – London : Hutchinson, 2003
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Kommentare
Lieber Ludger,
ich muss Deine Hoffnung ein wenig trüben. Auch Frau James zeigt sich in „The Lighthouse“ nicht gerade auf der Höhe ihres Könnens. Hier ist es, allerdings eher ein missratener Plot, der das Vergnügen an der Lektüre schmälert. Und Minette Walters hatte eigentlich doch nie die Klasse der beiden großen Ladies.
Lieber Joachim,
klingt nicht gut. Bei P.D. James tut mir das leid, ich lasse mich mal überraschen. Bei Minette Walters gebe ich Dir vollkommen Recht, zumindest was ihre bisherigen Romane betrifft. Selbst Rendell ist da noch besser.
Viele Grüße
Ludger
Lieber Ludger,
so schnell wie Krimiköniginnen gekrönt werden (en passant : gibt es auch Krimikönige???), ist es kein Wunder, daß da der eine oder andere Kratzer rankommt. Minette Walters ist für mich nicht mal ne Krimiprinzessin, bei P.D. James sieht das schon etwas anders aus. Und Ruth Rendell hat unter dem Namen Barbara Vine immer schon die besseren Krimis geschrieben (ohne dafür jetzt irgendwelche Kronen zu verteilen). Und man denke nur an die US-Königin Elizabeth George : ihre Romane werden immer länger und immer langweiliger, von königlichem Lesevergnügen kann da nicht die Rede sein.
Die eigentliche Frage ist : warum brauchen wir Königinnen?
Liebe Grüße aus dem Schneesturm
barb
Liebe Barb,
es sind halt die üblichen Etiketten, die ich auch nicht toll finde. Ich brauche auch keine „Queen“ und auch keinen „King“ of Crime. Diese Etiketten springen Dir aber in jeder Buchhandlung ins Auge, so oft, dass es schon weh tut.
P.D. James ist in dieser – zugegeben zufälligen – Dreier-Gruppe, sicherlich die versierteste und glaubwürdigste Autorin. Zu „The Lighhouse“ kann ich noch nichts sagen, aber Joachim hat ja schon darauf hingewiesen.
Die Barbara-Vine-Krimis sind in der Tat oft besser (alle habe ich nicht gelesen), weil sie psychologisch ausgefeilter und die Plots in der Regel besser sind.
Ich mag durchaus auch den „klassischen“ britischen Who done it, aber es ist nicht einfach, da noch gute Autorinnen und Autoren zu entdecken. Vieles ist einfach schon ausgeleiert, viele Plots sind schon durchgespielt worden, ist sicher auch für Autoren nicht leicht. Elizabeth George, wenn auch keine Engländerin, hatte da noch gute Ansätze, ganz am Anfang, aber das verwässerte immer mehr. Mittlerweile sind es wirklich nur noch aufgeblähte Liebesdramen mit ein bisschen Krimi drin.
Liebe Grüße aus dem grauen Hamburg (ohne Schneesturm)
Ludger
Meine „Queen of Crime“ ist nun schon einige Jahre nicht mehr mit dem Leben in Einigkeit, um’s dezent auszudrücken. Aber bei Patricia Highsmith stehe ich auf Absolutismen, war Tom Ripley doch einer meiner nicht ganz so cleanen Helden (und immer mehr Alain Delon als John Malkovich oder Matt Damon). Und „Das Zittern des Fälschers“ ist immer noch ein nahezu unerreichter Klassiker. Ruth Rendell kam in ihren betsen Momenten annäherend dran. Aber P.D.James? Minette Walters? Nurses in Need…
Mir gefällt Ruth Rendells Roman „Der Duft des Bösen“ sehr gut. Ich habe ihn mit großem Vergnügen gelesen. Ich finde den Plot spannend gestaltet, die Figuren sind rund, ihre Motive psychologisch glaubwürdig geschildert.
Die Sprache der Baroness Rendell ist lakonisch, präzise, very British indeed.
Ruth Rendell alias Barbara Vine ist meine Lieblingsautorin. Mit jedem ihrer psychologischen Thriller erfreut und überrascht sie mich aufs Neue.
Wie gut, dass die Geschmäcker verschieden sind und jeder das Seine bzw. jede das Ihre findet im großen Angebot der Kriminalliteratur.
Mit freundlichen Grüßen
Olivia Kroth