Bloggen für Krimiautoren – Teil 3

vom Krimiblogger

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Tote, Tags und Technik

Mit ihren feinen Lippen zog sie gelangweilt an ihrer Zigarette. „Was für eine blöde Idee, mich von Brigitte auf diese fade Bloggerparty mitschleifen zu lassen“ dachte sich Dr. Nathalie Jour-Naillie. Eigentlich hatte sie gehofft, etwas mehr über Blogs in Erfahrung zu bringen, gerade jetzt, wo sie erst gestern dieses kleine, tote Blog auf ihrem Sektionstisch auseinander genommen hatte. Der Fall war immer noch nicht geklärt. Kommissar Kleever hatte zwar ein paar interessante Details zum Innenleben eines Blogs herausgefunden, aber die wirkliche Todesursache konnte sie damit auch nicht bestimmen. Zufällig hatte dann ihre Kollegin Brigitte aus der Toxikologie erzählt, dass sie am Freitagabend zu einer Bloggerparty eingeladen sei und ob sie nicht mitkommen wolle. Parties waren der Pathologin eigentlich ein Graus, aber da sie nichts besseres vor hatte und sie hoffte, etwas mehr über diese merkwürdige Bloggerwelt herauszufinden, sagte sie zu.

Nun stand sie hier in diesem schicken Eppendorfer Loft, nippte an ihrem Cocktail und beobachtete diese Blogger, die in kleinen Gruppen miteinander quatschten. Jungs, die ohne ihre Koteletten und ihre dunklen Hornbrillen wie Milchbubies gewirkt hätten und Mädels, die mit ihren bunten, kurzgeschnittenen Kleidern und ihren hohen Lederstiefeln wie Überbleibsel der siebziger Jahre aussehen, standen zusammen und redeten aufeinander ein. „Web 2.0″, „Tags“, „Technorati“, „Nabelschau“ und „Schwanzvergleich“ waren einige der Wortfetzen, die Nathalie aus dem Stimmengewirr und der leisen Hintergrundmusik – gerade lief ein Stück von Cassandra Wilson – aufschnappen konnte. „Du liebe Güte, dass sind ja fast noch Kinder“ dachte sich Nathalie und überlegte, wie sie möglichst unauffällig die Party verlassen könne, als ein Mann in einem dunklen Leinensakko und mit leicht ergrauten Haaren auf sie zu kam.

„Ihr Gesicht spricht Bände, junge Frau. Sie langweilen sich.“ hörte Nathalie ihn sagen. „Darf ich mich vorstellen – ich bin Karl Beust und der Gastgeber hier.“

„Hallo. Ich gestehe, besonders spannend finde ich es nicht. Wahrscheinlich nicht meine Szene. Aber die Drinks und die Musik sind gut. Ich bin übrigens Nathalie Jour-Naillie.“

„Oh, Brigitte hat mir von Ihnen erzählt. Sie schnippseln an Leichen herum, stimmt’s?“

„Naja, schnippseln würde ich das nicht nennen. Ich kläre ungeklärte Todesfälle auf.“

„Ist ja wie im Krimi. Ich habe mich noch nie mit einer Gerichtsmedizinerin unterhalten.“

„Und ich hatte noch nie mit einem Blogger etwas zu tun. Sind Sie auch einer?“

„Um Gottes willen, nein. Brigitte erzählte mir, dass Sie gerade an einem toten Blog herumschnippeln?“

„Stimmt, obwohl ich nicht schnippel. Was ist nur dran an diesen Blogs und an diesen Bloggern? Ich verstehe diese ganze Aufregung nicht.“

„Sind doch ganz witzige Leute darunter. Kommen Sie, ich stell’ Ihnen mal einen vor.“

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„Das hier ist Tim. Tim, das ist Dr. Nathalie Jour-Naillie. Sie arbeitet gerade an einem toten Blog. Und unser guter Tim ist ein Blogger.“ Ein junger, schlacksiger Mann mit Stoppelhaarfrisur stand lächelnd vor ihr.

„Hi, Nathalie. Oder muss ich Frau Doktor sagen?“

„Nö, ist schon okay, wenn ich Dich nicht Mr. Blogger nennen muss.“

Tim grinste.
„Was machen die Leichen so?“ erkundigte er sich.

„Verwesen vor sich hin. Sag mal, kannst Du mir nicht was über Eure Blogs erzählen? Ich versteh’ diese ganze Hysterie überhaupt nicht.“

„Was willst’n wissen?“

„Na, was ist so faszinierend an Blogs? Das tote Blog, dass ich zu begutachten hatte, schien ziemlich langweilig zu sein.“

„Daran ist es vermutlich gestorben. An Langeweile.“ erwiderte Tim. „ Blogs müssen gefüttert werden. Mit verdammt guten Inhalten, sonst kannst Du es vergessen.“

„Was für Inhalte?“

„Das ist eigentlich egal. Jeder schreibt, worüber er am besten schreiben kann. Der eine über Computer, der nächste über Kochrezepte und ein anderer über Krimis.“

„Krimis?“

„Ja, da tut sich gerade etwas. Drüben in den Staaten, da gibt’s ‘ne kleine, aber feine Krimiblogger-Szene. In Good Old Europe werden Sie so langsam wach. Liest Du etwa Krimis? Kannst wohl nicht genug von Leichen kriegen?“

Nathalie stutze. Nur weil sie jeden Tag mit Toten zu tun hatte, durfte sie keine Krimis lesen? Vorurteile, nichts als Vorurteile. „Leichen auf dem Papier sind mir immer noch lieber als die, die ich jeden Tag auf dem Tisch hab.“ patzte sie zurück.

„War nicht so gemeint, sorry.“ entschuldigte sich Tim und zeigte ihr seinen besten Dackelblick. „Krimis lese ich auch gerne.“ meinte Tim. „Fast so gerne wie Blogs von Krimiautoren. Die machen sich aber noch ziemlich rar in Kleinbloggershausen. Kennst Du Christopher G. Moore? Der mit seinem Vincent Calvino in Thailand? Toller Typ. Der hat auch ein Blog, wirklich interessant, was er so über sein Leben in Bangkok zu erzählen hat. Darüber liest Du bei Spiegel oder in der Taz keine einzige Zeile.“

„Werde ich mir mal anschauen.“ versprach Nathalie. „Was gibt es denn sonst noch?“

„Klasse finde ich auch S.J. Rozan. Die kennt hier ja kaum einer. Bei ihr im Blog geht’s auch politisch her, sie nimmt kein Blatt vor den Mund und kommentieren kannst Du auch. Ganz lustig ist Lewis Perdue, der wettert in seinem Blog kräftig gegen Dan Brown und diesen ganzen „Illuminati“-Schwachsinn.“

„Gibt’s denn keine deutschen Krimiblogs?“

„Naja, ein paar gibt es schon. Ziemlich schräg ist das Blog von Max Reinartz, Privatdetektiv und Opernfan. Solltest Du mal reinklicken. Richtig schick ist das Blog von Astrid Paprotta. Sieht gut aus und sie schreibt meistens so kleine Alltagsgeschichten und Gedankenfetzen rein. Keine platte Werbung für ihre Bücher. Gefällt mir.“

„Schreiben die denn da keine Krimis rein?“ fragte Nathalie verdutzt.

„Kaum einer. Muss aber auch nicht sein. Die kannst Du ja in den Büchern lesen. Ich find’s spannender, wenn sie über sich schreiben, über ihren Alltag, was sie erleben. Kleine Schnippsel oder witzige Fundsachen aus dem Netz. Da sind Krimiblogger nicht anders als andere. Ist dieser „Schau-mal-hier“-Effekt. Anne Chaplet macht das auch, nennt das aber Tagebuch. Wohl, weil sie nicht so oft schreibt. Muss jeder selbst wissen.“

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„Und wie ist das mit den Kommentaren? Ich meine, wenn Du kommentieren kannst, dann müsste es doch dort voll sein mit Meinungen von stinknormalen Lesern. Muss doch toll sein für so einen Krimiautor?“ wollte Nathalie wissen.

Tim wurde nachdenklich. „Weißt Du, ich glaube, die trauen sich nicht. Könnte ja auch mal was Schlechtes stehen, enttäuschte Leser sind ziemlich lästig. Jan Zweyer hat neulich gesagt, er wolle kein „richtiges“ Blog, weil er keine Zeit hat und weil sich da ja doch nur die üblichen Verdächtigen tummeln. Ein Dutzend Leute, die überall beim Thema Krimi auftauchen. ‘Es scheint also so zu sein, dass Blogs im Bereich der (Kriminal)Literatur (noch) kein wirkliches Kommunikations- und Diskussionsforum der Leser geworden sind. Also lassen wir das mit dem „richtigen“ Blog zunächst und warten auf bessere Zeiten.‘ meinte er. Ist natürlich Quatsch. Wenn keiner anfängt, wird’s wohl nie bessere Zeiten geben. Warten kann jeder. Ganz davon abgesehen: Wieviel Leute stellen bei Lesungen Fragen und diskutieren mit den Autoren? Ein Dutzend, wenn es hoch kommt. Ich finde diese Kommentarnummer eh’ übertrieben. Ich muss doch auch nicht zu jedem Zeitungsartikel, den ich lese, meinen Senf abgeben. Wenn’s mir wichtig ist, mache ich das, sonst lasse ich es bleiben. Bei Blogs ist das ähnlich. Sie sind wie kleine Versuchsballons: Mal interessiert es Leute, mal langweilt es sie.“

„Ja, leuchtet ein“, meinte Nathalie. „Aber ist das schon alles, was man mit Blogs machen kann?“

„Nein, natürlich nicht.“ antwortete Tim. „Die richtigen Möglichkeiten werden ja noch gar nicht genutzt. Michael Connelly zum Beispiel, bei dem kriegst Du Podcasts aus seinen Büchern oder Interviews. Ist zwar ziemlich kommerziell aufgezogen, aber warum nicht? Auf jeden Fall bessere und direktere Werbung als großformatige Anzeigen in Zeitungen. Da klicken Leute rein, die sich wirklich für Connelly und seine Bücher interessieren. Die echten Fans eben. Und die, die ihn noch nicht kennen kriegen einen ersten Eindruck. Aber daran traut sich wohl noch keiner. Wundert mich überhaupt, warum die deutschen Verlage noch nicht auf den Trichter gekommen sind. Warum lassen Sie ihre Autoren nicht Blogs schreiben, über sich, über’s Leben, über Krimischreiben? Ich dachte ja immer, Schreiben ist der Job von Autoren und wo sonst könnten sie ihre eigene, persönliche Note betonen? Was könnte man nicht alles machen: Texte, Tagebuch, Interviews, Bilder, Fotos, Skizzen, Podcasts, Filme, gemeinsame Autorenblogs und und und… Die Verlage selbst denken ja leider nur in Hunderttausenden. Ein paar hundert oder tausend Visits in einem Blog zählen nicht. Dabei sind das die Leute, die wirklich ein Interesse daran haben. Außerdem sind ihnen abgeschriebene PR-Texte im Feuilleton lieber als ehrliche und eigenständige Kritiken.“

„Du meinst, man kann das auch werbemäßig nutzen?“

„Ja, warum nicht.“ erklärte Tim. „Stefan Niggemeier – das ist der, der das Bildblog mitgegründet hat – der hat neulich zum Thema Fernsehen geschrieben, dass in der Zukunft die Produzenten zu den Gewinnern gehören ‚die es schaffen, Inhalte herzustellen, die eine bestimmte Zahl von Leuten wirklich sehen will – und deshalb bereit ist, dafür Zeit oder Geld zu investieren.‘ Bei den Blogs ist das nicht anders. Von diesen Allround-Angeboten darf man sich langsam verabschieden. Der Sportteil einer Zeitung interessiert mich nicht, ich muss ihn aber mitbezahlen, auch wenn ich nur den Kulturteil lese. Weil die Medienmacher das aber nicht gerne sehen, machen sich die Blogger ihre Spezialseiten eben selbst. Da lesen und sehen die Leute dass, was sie wirklich interessiert. That’s it.“

„Aber ist das nicht ziemlich eingegrenzt? Ich meine, wie sollen die Autoren und die Verlage die Leute erreichen, die vielleicht gar nicht wissen, dass es diesen oder jenen Autor gibt?“

„Das eine tun und das andere nicht lassen. Natürlich bleiben Buchhandlungen wichtig – es gibt übrigens auch schon erste Buchhandlungs-Blogs – und natürlich wird es weiter Mundpropaganda geben. Aber die kannst Du halt auch ins Internet verlegen. Fände ich nicht schlecht.“

„Interessant“, meinte Nathalie. „Du meinst also, da geht noch was?“

„Jau, da geht noch was. Die Krimiautoren werden dass auch noch herausfinden. Wo können Sie sonst so günstig und gut ihre jetzigen und künftigen Leser erreichen? Da können Sie zeigen, was sie drauf haben. Ich werde sie im Auge behalten.“

Nathalie schaute nachdenklich in ihr leeres Glas. Sie warf einen raschen Blick auf ihre Uhr. Kurz nach halb zwei. „Ich muss nach Hause. Morgen muss ich fit sein für das tote Blog, das wahrscheinlich an Langeweile gestorben ist. Vielleicht kann ich es ja reanimieren. Mal schauen…“