Misstrauen oder nur die Nerven behalten
vom Krimiblogger
Der Züricher Tages-Anzeiger hat sich, wie einige Zeitungen vor ihm, Blogs zugelegt. Darunter jetzt auch ein Krimiblog. Darin veröffentlicht die Autorin Sabina Altermatt einen „Online-Krimi“ mit dem Titel „Nervengift“. Wer sich ab und zu in der Blogsphäre rumtreibt weiß, wie allergisch einige Blogger auf solche Versuche reagieren. Grundsätzlich halte ich die Idee, einen Fortsetzungsroman als Blog zu veröffentlichen, nicht für verwerflich. Kann man machen, ist aber auch nicht gerade sehr originell. Zweifelhaft wird das alles, wenn es so passiert, wie in Zürich.
Dort steht unter der Kommentarfunktion:
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Im Klartext: Kommentare werden vor Veröffentlichung geprüft und damit zensiert. Wer will denn nachprüfen, welche Kommentare durchgehen und welche nicht? Die Redakteure misstrauen ihren Leserinnen und Lesern, also misstraue ich den Redakteuren. Die Leser/innen könnten ja was Rassistisches, Sexistisches oder gar Gewaltverherrlichendes (beim Krimi nie auszuschließen!) ablassen, weil die ja sonst nichts zu tun haben und im Netz immer nur auf der Suche nach armen, kleinen Blogs sind, wo sie ihren unappetitlichen Dreck ablegen können. Um nicht missverstanden zu werden: Ich will solches Zeug auch nicht. Sollte so etwas hier erscheinen, fliegts kommentarlos raus. Nachdem es veröffentlicht wurde. Ich halte nur diesen Vorwand „Rassismus, Sexismus, Gewaltverherrlichung“ für eben dies: einen Vorwand. Eine geistige Vorsorgeimpfung für etwas, was zu 95 Prozent nie passieren wird. Ein Restrisiko bleibt immer. Aber dieses Verfahren ist einfach hysterisch.
Nach über fünf Jahren Forenerfahrung und etwas über einem Jahr Bloggerei kann ich sagen, dass ich nie etwas löschen musste, was unter die oben genannten Kriterien fiel. Natürlich bin ich nicht der Tages-Anzeiger und die Internetseite einer solchen Tageszeitung hat zehntausendmal mehr Besucher als meine kleinen Seiten. Dass darunter auch mal ein Nazi, ein Frauenhasser oder sonstige Psychopathen sind, ist nicht auszuschließen. Aber sind wir denn alle so schwach, dass wir vor deren Dreck im Netz geschützt werden müssen? Können wir uns nicht selbst dagegen wehren? Müssen wir vor jedem Spinner geschützt werden? Darf ich noch auf die Straße gehen? Hinter der nächsten Ecke könnte ja ein Meuchelmörder hocken, der mir sein Messer in den Bauch rammt. Diese selbstgezüchtete Paranoia vor den Rassisten, Sexisten und Gewaltverherrlichern im Netz ist schlichtweg lächerlich. Oder sie ist gewollt. Denn sie zerstört jegliche Spontanität und tötet jede Diskussion schon von vornherein.
Kommentare
Ganz so verwerflich finde ich dieses Verhalten nicht. Ich sehe ja auch hier in Deinen Kommentaren, dass die ganz gerne mal zugespammt werden mit Keywords zu irgendwelchen Sexualpraktikten, von denen ich noch nie gehört habe. Das gleiche hatte ich auf der Krimi-Couch und der Kinderbuch-Couch auch, bis ich mir eine nette Blacklist gebastelt hatte.
Nur: Für Dich stellt es kein Problem dar, mal eben in einem Rutsch 20 Kommentare zu löschen, für mich auch nicht. Und wir sehen das wohl beide so locker, dass Müll notfalls mal einen halben Tag online steht. Auf der anderen Seite kann ich verstehen, dass manch anderer Beitrage diesen Müll nie auf seiner Seite stehen haben möchte. Und sich auch nicht stundenlang mit Löschungen beschäftigen muss.
Trotzdem: Auch ich bin ein Verfechter der Auffassung, dass ein Großteil der User sich an die Richtlinien hält, die eine Site inhaltlich und durch ihre Sprache vorgibt. Will sagen: Schimpft man selbst nicht und behält man selbst ein gewisses Niveau, tun dies auch die User mit ihren Kommentaren. Und dass man nachträglich mal etwas weglöschen muss – nun ja, das gehört dazu, oder?
Gruß,
Lars
Kein Frage, dieser (mechanische) Spam nervt und trotz so mancher Schutzmechanismen und Blacklists, die WordPress-Plugins bieten, rutscht hier auch so etwas durch. Löschen gehört, wie Du schon schreibst, eben dazu.
Selbstverständlich ziehen solche Massenmedien auch mehr Spinner an. Wenn man als Zeitung oder als anderes Massenmedium solche interaktiven Angebote wie Blogs macht, muss man sie halt auch betreuen. Stefan Niggemeier (der Bildblog mitgegründet hat) hat dazu einen – wie ich finde – interessanten Artikel geschrieben.
Ich glaube einfach, in vielen Redaktionen ist nicht klar, was Blogs können und was nicht. Was sie dann machen, ist oftmals lieb- und phantasielos. Ist gerade Hype, also machen wir da mal mit. Auf Seiten der Redaktionen ist viel Angst im Spiel, u.a. auch die Angst, eine Plattform für Psychopathen zu bieten. Aber ich glaube, diese Angst ist entweder übertrieben oder sie wird bewusst geschürt.
Bei meinem alten Arbeitgeber habe ich ca. drei Jahre neben der Zuschauerredaktion gesessen, bekam also hautnah mit, was für Leute angerufen oder geschrieben haben. Darunter war in den ganzen Jahren nur ein wirklich krasser Fall, wo explizit Morddrohungen vorkamen und der ist dann auch ein Fall für die Polizei geworden. Dann gab es noch ungefähr fünf oder sechs Fälle, wo gewisse Herren meinten, die moderierenden Mädels mit Liebesbekundungen zu beglücken, zwei davon standen dann auch mal vor der Redaktion (kamen aber nicht rein). Auch nicht schön, will man auch nicht und zur Not muss dann die Polizei oder die Gerichte Klartext sprechen. 95 Prozent aber waren entweder Leute, die ganz brav nach Zusatzinfos gefragt haben, ihre Geschichte erzählen wollten oder einfach nur Kritik oder Lob los werden wollten. Hätte man das auf einer Internetseite zeitgleich veröffentlicht, wäre das meiste harmlos gewesen.
Klar: Im Internet mögen es Rassisten und Konsorten einfacher haben. Ein sinnfreier Kommentar ist halt schnell geschrieben. Dennoch kann man damit leben und es auch wieder löschen. Es kommt ja auch darauf an, welche Themen bestimmte Foren oder Blogs haben. Das ein Politikforum oder -blog anfälliger für bestimmte Spinner ist als zum Beispiel ein Krimiforum oder -blog, ist sicherlich auch verständlich. Eine Vorkontrolle, wie sie zum Beispiel der Tages-Anzeiger vornimmt, ist vermutlich auch nicht wesentlich arbeitsintensiver als das nachträgliche Löschen.
Dennoch glaube ich, dass Interaktivität und Spontanität die Stärken des Internets sind. Wenn man da nur angstbelastet ran geht, sollte man es lieber lassen. Oder bei Blogs zum Beispiel gar keine Kommentare zulassen. Auch das kann ich verstehen, finde es persönlich aber langweilig.
Liebe Grüße
Ludger
Disclaimer: wir sind die Blogprovider des Tagi.
Beim Tagi gabs ja lange keine „moderierten“ Kommentare, will heissen, da war alles immer offen. Und die Praxis hat gezeigt, dass da auch einiges an „Schrott“ kommentiert wurde. Und mit „Schrott“ meine ich jetzt nicht mal Rassistisches bzw. Sexistisches, sondern Kommentare, die absolut nichts mit dem Post zu tun hatten und auch für die meisten Leser der Kommentare einfach nur mühsam waren. – Mit Angst hat das nichts zu tun.
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Beim Hugo Stamm Blog (http://hugostamm.kaywa.ch) wurden dann erstmals „moderierte“ Kommentare eingesetzt.
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Das Switchen von offenen zu moderierten Kommentaren und zurück ist ja nur ein Knopfdruck entfernt und ich verstehe durchaus, dass man als Autorin nach einigen ersten unschönen Kommentaren jetzt mal auf Nummer sicher geht.
Weiter ist die Vormoderation auch aus Zeitgründen einiges einfacher und praktischer , als das löschen im nachhinein.
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Ich bin der Ansicht, das muss jeder selbst entscheiden: keine, moderierte oder offene Kommentare.
Es gibt Argumente für offene, für moderierte oder für ausgeschaltete Kommentare, keine Frage. Natürlich soll das jeder, der ein Blog anbietet, selbst entscheiden können. Das Argument, man will sich als Autor oder Autorin vor geistigen Übeltätern schützen, halte ich aber schlichtweg für übertrieben.
Ich erinnere mich an alte Fernseh-Talkshows, wo zum Beispiel Fritz Teufel Hans Matthöfer mit Zaubertinte bespritzte. Ziemlich sinnfrei, ist trotzdem live über den Sender gegangen. Wer sich heute an alte Talkshows erinnert, dem werden vor allem diese Ausrutscher in den Sinn kommen. Fürstin Gloria, die von „schnackselnden“ Afrikanern rassitisch daher sabbelte, Burkhard Driest offensiv Romy Schneider anbaggerte oder Klaus Kinski die Moderatorin begrabschte.
Mittlerweile wird jeder, der irgendwie im Fernsehen auftritt oder in anderen Massenmedien erscheint, zum Beispiel als Kommentator in einem Blog, im Vorfeld kontrolliert, damit es bloss nicht zu spontanen Aktionen oder Äußerungen kommt, wie sinnvoll oder sinnlos die auch sein mögen. Ich finde das einfach langweilig.
Mir ist auch bewusst, dass Promis und ihre Peinlichkeiten in Talkshows klar zu erkennen sind, während man sich im Netz hinter einem Pseudonym verstecken kann. Aber auch das Verstecken hinter einem Pseudonym sagt dann etwas über den jeweiligen Kommentator aus und verdeutlicht, wie wichtig man als Leser eine solche Aussage nehmen muss.
Was das Blog von Sabina Altermatt betrifft, schöpft sie bzw. der Tages-Anzeiger nicht wirklich die Möglichkeiten aus, die ein Blog bietet. Ein Fortsetzungskrimi, so wie er dort gerade erscheint, braucht in dieser Form nicht unbedingt ein Blog. Es fehlen einfach die offenen Möglichkeiten der Aktion und Reaktion.
Herzliche Grüße
Ludger
Lieber Ludger,
ich finde ebenso wie Sie, dass Menschen sich nicht hinter einem Pseudonym verstecken müssen, sondern zu ihrer Meinung stehen sollten.
Über das Löschen entscheidet jeder, der einen Blog betreibt, selbst. Das zu diskutieren finde ich müßig.
Übrigens: das „Nachtbuch“, Ihr Krimi-Blog, gefällt mir sehr gut. Mein Kompliment! (Auch wenn ich nicht mit allen Kritiken und Rezensionen einverstanden bin).
Sie zu lesen ist amüsant.
Mit herzlichen Grüßen
Olivia Kroth