Nackte Zahlen
vom Krimiblogger
Anteil der verkauften Kriminalromane in der Warengruppe Belletristik im Jahr 2005: 22,5 Prozent. Im Vergleich zum Vorjahr wurden 2005 4,5 Prozent mehr Kriminalromane verkauft, obwohl der Absatz von Belletristik insgesamt stagnierte. Sagt der Branchen-Monitor des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Und Krimis sind beliebte Ostergeschenke und begehrte Urlaubslektüre, jedenfalls hat das der Branchen-Monitor schon im letzten Jahr festgestellt.
Einer unserer Großbuchhändler hier in Hamburg hat auch schon reagiert: Die Verkaufsfläche für Kriminalromane wurde vor einigen Wochen vergrößert, die Tische mit den Neuerscheinungen und die Regale mit der Backlist sind proper bestückt. Schade nur, dass dies dem restlichen Kulturbetrieb immer noch gepflegt am Allerwertesten vorbei geht.
Kommentare
Nackte Zahlen, mein Lieber? Also ich finde sie reichlich verhüllt. Um wieviel Prozent ist der Ausstoß an Schafskrimis gestiegen? Oder der an Dan-Brown-Klonen? Welchen Marktanteil haben dagegen Charles Willeford, Astrid Paprotta oder Jean Amila? Dass Krimis als Ostergeschenke heiß begehrt sind – na ja, schön für die Branche. Aber für den Leser? Nee, ich freue mich erst, wenn die Verkaufszahlen von Kriminalromanen jenseits der Harmlosigkeit gestiegen sind. Und kleine, mutige Verlage auf den nun größeren Verkaufsflächen ihr Eckchen haben.
bye
dpr
Lieber Ludger,
würde der Krimi besser werden, wenn er im Feuilleton der ZEIT oder anderen Zeitungen besprochen würde (wie wir wissen, wenn es passiert, nicht unbedingt von Spezialisten) oder wenn er in den Literatur-Fachbereichen unterrichtet würde ? NEIN. Im Gegenteil, wir hätten plötzlich einen Haufen „Belletristiker“, die sich als Krimiautoren versuchen würde. *grusel*Und das ist gar keine gute Idee, jedenfalls recht selten. Der Krimi hat in D-land das Glück eine sehr sehr große Nische zu haben. Und seine Spezialisten : Ihr Blogger und Webseitenbetreiber, einige Verlage, das Syndikat und Criminale (von soviel Angebot träumen wir auslands!!!). Warum noch hinter einer fragwürdigen Anerkennung hinterherrennen?
Ludger, Kopf hoch, übe den aufrechten Gang : der Krimikulturbetrieb seid Ihr !
Liebe Grüße
barb
Genau: Du bist Krimi-Deutschland!
Sorry, sehr platt, aber mir gefallen die Zahlen. Ob der Kriminalroman (weiter) vom Feuilleton oder von Literatur-Sendungen im öffentlich rechtlichen Fernsehen ignoriert wird – barb, gerade DIE ZEIT mit Tobias Gohlis bringt den Krimi durchaus ins Feuilleton! – sei’s drum. Das Interesse besteht und das ist gut so.
Lars,
ich lebe seit 15 Jhren im Ausland. Die ZEIT war damals kein Vorreiter in Sachen Krimi.
Wieder was dazu gelernt, danke.
barb
Hallo,
meine Anmerkungen der Reihe nach:
Nee, ich freue mich erst, wenn die Verkaufszahlen von Kriminalromanen jenseits der Harmlosigkeit gestiegen sind. Und kleine, mutige Verlage auf den nun größeren Verkaufsflächen ihr Eckchen haben.
Ja, lieber dpr, darüber würde ich mich auch freuen. In der Tat finden sich bei diesem Großbuchhändler zumindest alle Titel, die auf der KrimiWelt-Bestenliste vertreten sind und die dort auch aushängt. Wenn „Tannöd“ mal wieder lieferbar ist, wird es sicher auch dort liegen. Das halte ich schon mal für einen Schritt in die richtige Richtung. Was die kleinen, mutigen Verlage betrifft – es gibt einige (Nautilus ist da nur ein Beispiel, Argument ein anderes und es wären noch einige mehr zu nennen), die viel mehr Verkauf verdienen. Die auch die Knochenarbeit machen, die Autoren aufbauen und dann werden sie, sofern sich die Autoren am Markt durchsetzen, von den größeren Verlagen weggekauft. Das ist für die kleinen mehr als ärgerlich, es kann sie ihre Existenz kosten. Das wurmt mich auch, aber das ist der knallharte Markt.
Es gibt aber auch viele kleine Verlage, die sich mit billig geschriebenen, billig lektorierten und billig gemachten Krimis an irgendwelche Trends anhängen. Namen nenne ich jetzt nicht, aber ich denke, jeder wird wissen, wen es da so gibt.
Diese Zahlen sagen nichts über die Qualität der verkauften Krimis aus, stimmt. Das Einzige, was man daraus lesen kann, ist, wie Lars feststellt, dass es ein Interesse an Kriminalliteratur gibt. Auf Seiten der Leser, die die Bücher kaufen. Wieviel Anteil Dan Brown & Konsorten an diesem positiven Trend haben, kann man natürlich nicht sagen, vermutlich ist er schon groß. Aber ein größeres Interesse an Kriminalliteratur kann auch, wenn es gut läuft, den kleinen, mutigen Verlagen mit ihren großen, mutigen Autoren zugute kommen.
Begleitend kann da das Feuilleton seinen Beitrag leisten, den man aber auch nicht überschätzen sollte. Ich glaube auch nicht, liebe Barb, dass das Feuilleton dafür da ist, Kriminalromane besser zu machen, es kann höchstens auf bestimmte Autoren und Bücher hinweisen oder die Schlechten benennen. Aber das deutsche Feuilleton fasst Kriminalromane immer noch mit gespreizten Fingern an, Ekkehard Knörer hat das neulich sehr treffend beschrieben. Vor allem eben, weil dort Leute über Krimis schreiben, die ahnungslos sind, die alten, längst überholten Dogmen anhängen, einfach kein Interesse haben oder schlichtweg denkfaul sind.
Der Krimi hat in D-land das Glück eine sehr sehr große Nische zu haben. Und seine Spezialisten : Ihr Blogger und Webseitenbetreiber, einige Verlage, das Syndikat und Criminale (von soviel Angebot träumen wir auslands!!!). Warum noch hinter einer fragwürdigen Anerkennung hinterherrennen?
Diese Sicht, liebe Barb, kann ich verstehen, da Du die ganze „Szene“ von außen betrachtest. Ich empfinde diese Nische leider als nicht ganz so groß und angesichts der Zahlen auch nicht für groß genug, offensichtlich ist Krimi eben nicht nur ein Nischenprodukt, der eben mehr Aufmerksamkeit verdient. Ich kann natürlich nicht beurteilen, wie die Krimiszene in Kanada ist, da hast Du viel, viel mehr Einblick. Ich schaue halt nach GB, in die USA, nach Frankreich und mir erscheint dies schon als eine etwas größere Nische. Wenn die CWA durch einen Sponsor in diesem Jahr einen Preis vergeben kann, der mit 20.000 Pfund dotiert ist, dann sagt das schon etwas über den Stellenwert aus, der der Kriminalliteratur dort eingeräumt wird.
Zum Syndikat und seiner Rolle möchte ich mich nicht mehr äußern, aber ich glaube, da überbewertest Du die Möglichkeiten und vor allem den Willen dieser Vereinigung. Ich sage das ganz ohne Häme, die Grenzen des Syndikats sind sehr, sehr eng gesteckt. Gleiches gilt für die „Criminale“. Da zeigen Veranstaltungen wie ein Münchener Krimifestival oder eine LitCologne einfach mehr Weitblick (auch in Bezug auf deutschsprachige Autor/innen) und sind abwechslungsreicher.
Was nun die Zeit und Tobias Gohlis betrifft, so bin ich sehr dankbar dafür, dass es seit einem Jahr diese KrimiWelt-Bestenliste gibt, die eben auf gut geschriebene KriminalLITERATUR aufmerksam machen möchte. Wobei festzuhalten gilt, dass die Zeit keinen Anteil an dieser Liste hat: Es sind Welt, NordwestRadio und Arte, die diese Liste ermöglichen. Warum das so ist, weiß ich nicht.
Über einzelne Titel auf der Liste kann man getrost streiten, insgesamt ist es aber das Verdienst von Gohlis und seinen Kolleg/innen, dass Kriminalliteratur wieder etwas mehr in den Mittelpunkt rückt, ein bisschen mehr Aufmerksamkeit bekommt. Ich weiß nicht, ob einer der dort vorgestellten Titel im letzten Jahr den Sprung auf die Bestsellerliste geschafft hat, aber erfreulich ist doch, das z.B. Andrea Maria Schenkels „Tannöd“ in der ersten Auflage vergriffen ist (und nachgedruckt wird), das David Peace hierzulande bekannter wurde, Reginald Hill ein Comeback erlebt und und und. Ohne diese Liste hätten es diese Autorinnen und Autoren (mit Ausnahme vielleicht von Hill) wesentlich schwerer gehabt, wären vermutlich eher durchgerutscht, auch in einer Nische.
Jedenfalls zeigt diese Liste, dass Feuilleton schon etwas in Bewegung setzen kann, wenn es will, wenn es interessant gestaltet wird und – ganz wichtig – wenn es kluge Leute gibt, die da zu Wort kommen. Dadurch wird nicht zwangsläufig ein guter Kriminalroman mehr verkauft und ein schlechter Kriminalroman stürzt deshalb auch noch nicht aus den Bestsellerlisten. Aber es weckt Aufmerksamkeit, Interesse, Neugier. Ein erster Schritt auf etwas zu, dass man irgendwann mal als „Krimikultur“ bezeichnen könnte.
Das Du uns, liebe Barb, als „Krimikulturbetrieb“ siehst, freut mich und ich nehme dieses Kompliment gerne an. Aber – für mich gesprochen – leider nur ein sehr kleiner Betrieb, eine Ein-Mann-Werkstatt, glücklicherweise vernetzt mit anderen Werkstätten, in Essen, im Saarland und wo sie sonst noch stehen. Ich wünsche mir mehr solcher guten Werkstätten, ich wünsche mir aber auch die druckenden und sendenden Großkonzerne, die eigene, gut gepflegte Abteilungen für Kriminelles haben und die das offensichtlich vorhandene Interesse aufnehmen. Die Großkonzerne gibt es zwar, nur leider sind die oft mit eitler Nabelschau beschäftigt und merken gar nicht, dass ihnen da gerade etwas entgeht. Dumm für sie, gut für uns.
Liebe Grüße
Ludger
Was das Feuilleton betrifft, liebe Barb, lieber Lars, bin ich eine gespaltene Persönlichkeit. Einerseits schon richtig: Wir haben ganz nette Informationsnetze ausgeworfen und wer sich für Krimis interessiert, wird fündig. Es sind sicher nur ein paar hundert Leutchen, von einer großen „Nische“ kann man also nicht reden, da hat Ludger recht. Ich brauche jetzt auch nicht das Feuilleton, um mehr Leute für Krimis zu „sensibilisieren“. Aber wer in Feuilletons über Literatur schreibt, hat zumeist eine entsprechende Uni-Karriere hinter sich – und da wirds brisant. Die Literaturwissenschaft ignoriert den Krimi als LITERATUR nachwievor, da sollten uns auch einige Arbeiten nicht täuschen, die es in den letzten Jahren zum Thema gegeben hat. Zumeist wurde dort der Krimi als Teil der „Trivialliteratur“ vereinnahmt (was er ja auch häufig ist; aber nicht nur, nicht immer). Und die Folge: Als Teil des literarischen Lebens kommen Krimis nur vor, wenn sie von „Voll-Literaten“ geschrieben wurden. Konsequenz: Es gibt keine Krimi-Geschichtsschreibung. Der Krimi in der Weimarer Republik? Gabs da überhaupt was? Früher?
1906 hat die amerikanische Übersetzerin Grace Isabel Cobron im Zusammenhang mit der österreichischen Krimiautorin Auguste Groner (die sie Augusta Gröner nennt) folgendes festgestellt:
»The best writer of detective stories in Germany to-day is undoubtedly Augusta Gröner, of Vienna. Her name is never mentioned in the magazines that set a standard of criticism, and the essayists who discourse on modern literature know not her fame. This is natural, for detective stories are not literature, according to German ideas.«
Diese Aussage gilt bis heute. Und hier beginnt der Teufelskreis: Ignoriert von den literaturwissenschaftlichen Seminaren – ignoriert im Feuilleton und der Schule, wo sie 16jährige mit dem Faust traktieren, aber niemals auf die Idee kämen, einen Krimi zu lesen. Ergo: Krimi als Tagesgeschäft, ex und hopp.
Dagegen kämpfen wir schon ein bisschen an, der Ludger und ein paar andere und ich, zwar auf verlorenem Posten, aber was solls.
bye
dpr