Geschichten eines Grenzgängers

vom Krimiblogger

Tijuana Blues
Gabriel Trujillo Muñoz: Tijuana Blues

Der sogenannte Boom lateinamerikanischer Literatur in den 70er und frühen 80er Jahren des letzten Jahrhunderts brachte die Werke zahlreicher Autoren und Autorinnen in deutschen Übersetzungen über den Atlantik. Vom magischen Realismus eines Gabriel Garcia Márquez über die barocke Sprachkunst eines José Lezama Lima bis hin zu der experimentellen Literatur eines Julio Cortázar reicht dabei die scheinbar unerschöpfliche Vielfalt. Kriminalliteratur war damals allerdings kaum vertreten, sieht man von Ausnahmen wie dem argentinischen Altmeister Jorge Luis Borges ab, der zudem eher der phantastischen Literatur zugerechnet werden kann. Erst in den letzten Jahren erreichte immer mehr lateinamerikanische Kriminalliteratur in Übersetzungen den deutschen Sprachraum.

Wesentlichen Anteil an dieser Entdeckung hat bis heute der Herausgeber der metro-Reihe im Unionsverlag, Thomas Wörtche. Als „literarisches Trüffelschwein“, wie er sich selbst in einem Vortrag nennt, hat er Autoren wie den Kubaner Leonardo Padura, den Brasilianer Rubem Fonseca oder den Kolumbianer Jorge Franco für deutsche Leser aufgespürt. Mit dem mexikanischen Autor Gabriel Trujillo Muñoz, dessen Romansammelband „Tijuana Blues“ just in der metro-Reihe erschienen ist, setzt Wörtche einen weiteren, neuen Akzent in dieser Reihe.

„Tijuana Blues“ enthält vier Kurzromane des 1958 in Mexicali geborenen Autors Trujillo Muñoz. Mexicali ist neben Tijuana die Stadt im Norden Mexikos, unmittelbar an der Grenze zu den USA gelegen, in der die Gegensätze zwischen Arm und Reich, zwischen angloamerikanischer und hispanoamerikanischer Kultur aufeinander prallen. In diesem Grenzgebiet sind auch die vier Kurzromane von Trujillo Muñoz angesiedelt, fest verwurzelt in dieser Umgebung, die geprägt ist von Menschenschmugglern und verarmten Immigranten, Drogen- und Organhandel, Korruption sowie grenzüberschreitender Kriminalität. Hauptfigur aller vorliegenden Romane ist Miguel Ángel Morgado, seines Zeichens Rechtsanwalt für Menschenrechte. Morgado, wie sein Autor in Mexicali geboren, lebt eigentlich in Mexiko Stadt, wird aber immer wieder in den Norden von Baja California gerufen, um dort zu ermitteln.

Alte und neue Verbrechen

So beauftragt ihn in dem Roman „Mezquite Road“ die Witwe des ermordeten Heriberto die Hintergründe der Tat aufzuklären. Ihr Mann, zu Lebzeiten Verwalter der Ranch Los Mezquites, soll bei einem Drogendeal erschossen worden sein. Doch die Witwe ist sich sicher, dass ihr Mann nie etwas mit Drogen zu tun hatte. Heribertos hoffnungslose Spielsucht führt Morgado dann auch auf eine andere Spur und zu einem länger zurückliegenden Verbrechen, das seinen Ausgang auf eben jener Ranch Los Mezquites genommen hat. Eine Spur, die ihn schließlich in einem blutigen Show-down gipfelt, bei dem er nur knapp mit dem Leben davon kommt.

Ein länger zurückliegendes Verbrechen steht auch im Mittelpunkt des Romans „Tijuana City Blues“. Der Kunsttischler Güero bittet Morgado, das Verschwinden seines Vaters Timothy Keller aufzuklären. Keller, gebürtiger Amerikaner, lebte in den 1950er Jahren in Mexiko und gehörte mit zu der Gruppe des Beatnik-Dichters William S. Burroughs, der 1951 auf einer Party in Mexiko Stadt seine Frau Joan im Alkoholrausch erschoss, als er die Wilhelm-Tell-Szene nachstellen wollte. Zwei Wochen nach der Tat wurde Burroughs aus dem Gefängnis entlassen, da die mexikanische Justiz darin einen Unfall sah. Hier setzt nun die Fiktion ein: Burroughs fährt zu Keller nach Tijuana und bittet diesen, an der Grenze von einem Freund für ihn Geld zu holen. Burroughs Freund übergibt Keller an der Grenze ein Päckchen, doch in Tijuana kommt es zu einer Schießerei und Keller ist seitdem verschwunden. Morgado stürzt sich in die Ermittlung und kann zusammen mit seinem Freund Harry vom FBI den Fall aufklären.

Der Roman „Loverboy“ spielt hingegen in der Gegenwart. Morgado macht sich auf die Suche nach einem skrupellosen Ring von Organhändlern, die mexikanische Kinder von der Straße entführen, um ihre Organe für harte Dollar an reiche, amerikanische Eltern zu verkaufen. Der letzte Roman „Laguna Salada“ führt Morgado in die Gluthitze der mexikanischen Wüste. Hier findet der Anwalt, der eigentlich illegale Grenzgänger vor dem Verdursten schützen will, einen Schädel im heißen Wüstensand. Wieder verknüpft Trujillo Muñoz meisterlich aktuelles Geschehen mit einem länger zurückliegenden Verbrechen, dessen Ursprung im Kalten Krieg und in Spionagetätigkeiten zu suchen ist.

Üppig und farbenfroh

Die Stärke des Autors liegt zum einen in der kunstvollen Verknüpfung von neuen und alten Verbrechen, die sein Morgado aufzuklären hat. Trujillo Muñoz tut dies in einer geschickt zusammengebauten Melange aus amerikanischer Hardboiled-School und mexikanischer Erzähltradition. Kurze, straffe Dialoge, nüchtern erzählte Actionszenen und symbolhafte Beschreibungen der Landschaft – wie man sie etwa auch bei Juan Rulfo finden kann – treffen in diesem heißen Schmelztiegel aufeinander und bilden eine sehr spannende Symbiose. Nicht zufällig kann Morgado seine Fälle oft nur dann zum Abschluß bringen, wenn ihn sein Freund Harry vom FBI, der Gringo, mit geheimen Informationen versorgt. Gegensätze prallen hier nicht nur einfach aufeinander, sondern es entsteht etwas Verbindendes, bestimmt von dem gemeinsamen Wunsch nach Gerechtigkeit, egal, auf welcher Seite der Grenze man lebt.

Zum anderen gelingt es Trujillo Muñoz in einer dichten Sprache und mit glaubhaft gezeichneten Figuren ein lebendiges, realitätsnahes Porträt dieser Grenzlandschaft und seiner Bewohner zu entwerfen. Sein Verdienst ist es, die mexikanische Kriminalliteratur weg vom Moloch der Hauptstadt zu führen, hin zu der Grenzregion, die bisher in der mexikanischen Kriminalliteratur kaum zu finden war. Auch hier ist augenfällig, dass sein Grenzdetektiv Morgado eigentlich in Mexiko Stadt lebt, seine Ermittlungen aber in Baja California, im Norden Mexikos, durchführt.

Insgesamt sind diese vier Kurzromane exzellente, üppige und farbenfrohe Geschichten eines interessanten Grenzgängers, lokal verankert aber mit einem klaren Weitblick. Ein Autor, der nicht nur spannend erzählt, sondern der auch etwas zu erzählen hat.Gabriel Trujillo Muñoz ist eine tolle und lesenswerte Entdeckung!

Gabriel Trujillo Muñoz: Tijuana Blues / Aus dem Spanischen von Sabine Giersberg. – Zürich : Unionsverlag, 2006
ISBN-10: 3-293-00359-1
ISBN-13: 978-3-293-00359-0
Der Band enthält die vier Kurzromane Mezquite Road, Tijuana City Blues, Loverboy, Laguna Salada

Originalausgabe: Die spanische Originalfassung der vier Kurzromane ist enthalten in: Gabriel Trujillo Muñoz: El festin de los cuervos. – Mexiko-Stadt : Norma Ediciones, 2002

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Link:
Block de hojas amarillas – das Blog von Gabriel Trujillo Muñoz