Die Wunden der Geschichte

vom Krimiblogger

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Gaetano Savatteri: In der Sache Maddalena Pancamo

Das Manko vieler historischer Kriminalromane ist, dass sie die Vergangenheit, die Geschichte, nicht ernst nehmen. Oftmals erscheint die historische Kulisse eben nur als das: Kulisse, Pappmache, möglichst schillernd ausgemalt. Zusätzlich auftretende Anachronismen – etwa bei bestimmten Ermittlungsmethoden – befördern solche Romane in den Bereich der Phantastik. Wie es anders geht, zeigt der italienische Autor Gaetano Savatteri, dessen Roman „In der Sache Maddalena Pancamo“ auf fabelhafte Weise Vergangenheit und Gegenwart miteinander verschmelzen lässt und der dabei ein interessantes Bild sizilianischer Geschichte entwirft.

Der junge Bibliothekar Leonardo Lo Nardo glaubt an Zufälle. So ist es wohl ein Wink des Schicksals, als ihn ein zufällig gefundener Artikel über den rätselhaften Tod der jungen Maddalena Pancamo nicht mehr los lässt. Die Frau stürzte im September 1985 während der Überfahrt von Palermo nach Neapel über Bord und ertrank. Ihre Leiche wurde erst Monate später gefunden. Unfall oder Mord? Der damals zuständige Richter Fanara legte den Fall als Unfall zu den Akten. Kurze Zeit später schied er aus dem Richteramt aus. Leonardo sucht ihn auf, um mehr über die Sache Maddalena Pancamo in Erfahrung zu bringen.

Der Richter wird nicht der Letzte sein, den der junge Bibliothekar zu dem Fall befragt. Besessen macht er sich auf die Suche nach der Wahrheit und riskiert dabei die Ehe mit seiner Frau, die eifersüchtig sein Treiben beobachtet. Nach und nach kommt er den Todesumständen der jungen Frau auf die Spur und unternimmt dabei eine Reise in die sizilianische Vergangenheit. Eine uralte Fehde zwischen den einflussreichen sizilianischen Familien Pancamo, deren letzte Nachfahrin Maddalena war, und den Pintacorona ist der Schlüssel. Um ihn zu finden, hilft ihm wie selbstverständlich der Zufall und er trifft unter anderem auf einen verschrobenen Historiker, einen verängstigten Journalisten und auf die letzten Mitglieder der zerstrittenen Familien. Als er endlich die Wahrheit weiß, will er sie nur noch vergessen. So erfährt er auch nicht, dass die Zufälle, die ihn Stück für Stück dem Geheimnis näher brachten, gar keine waren.

Kleine Mosaikstücke

Der 1964 in Mailand geborene Gaetano Savatteri hat sich intensiv mit der Geschichte Siziliens beschäftigt. In seinem Roman verarbeitet er dieses Wissen auf geschickte Weise: Alternierend präsentiert er Dokumente wie etwa Zeitungsartikel, historische Dokumente von Zeitzeugen oder Rückblenden, um dann wieder in die Gegenwart zu Leonardo und seiner Suche zu springen. Trotz dieser Sprünge wirkt der Roman niemals abgehackt, vielmehr ist es Savatteris leichter und humorvoller Erzählstil, der einen geschmeidigen Takt vorgibt und durch den Vergangenheit und Gegenwart exzellent miteinander verwoben werden. Die Bruchstücke, die Savatteri zusammenfügt, kommen dabei aus unterschiedlichen Bereichen: Literatur, Gesellschaft und Politik.

Wie eng Savatteri Fiktion und Wirklichkeit verbindet, deutet bereits der italienische Originaltitel „La ferita di Vishinskij“, zu Deutsch „Wyschinskis Wunde“, an. Stalins rechte Hand, Andrej J. Wyschinski, hat in der Tat 1943 einen sizilianischen Kommunisten besucht. Savatteri erfindet im Roman dann einen Schusswechsel, bei dem Wyschnski angeblich verletzt wurde. Niemand hat diese Wunde gesehen und dennoch hängt von ihr auch die Aufklärung von Maddalenas Tod ab. Ähnlich verfährt der Autor mit anderen, historischen Ereignissen, bei denen die Grenze zwischen Fiktion und Realität durchlässig und löchrig wird. Die sizilianische Mafia spielt selbstverständlich auch eine Rolle, ohne aber zu dominieren. Die Nacherzählung oder das Ausschmückung von historischen Fakten oder gar Klischees steht nicht im Vordergrund. Es geht dem Autor nicht nur um eine historische Kulisse, Savatteri zeigt auch eindringlich, wie Geschichte fort wirkt, wie sehr die Gegenwart in der Vergangenheit verankert ist und welche Folgen dies für die lebendig gezeichneten Figuren hat. Das ist geistreich und faszinierend geschrieben, mit kleinen Andeutungen und Mosaikstückchen, die erst zusammen ein vielschichtiges Bild Siziliens ergeben. Ein kluger und raffinierter Kriminalroman.

Gaetano Savatteri: In der Sache Maddalena Pancamo / Aus dem Italienischen von Annette Kopetzki. – Stuttgart : Klett-Cotta, 2006
ISBN-10: 3-608-93738-2
ISBN-13: 978-3-608-93738-1

Originalausgabe: Gaetano Savatteri: La ferita di Vishinskij. – Palermo : Sellerio, 2003

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Link:
Ein Porträt über Gaetano Savatteri bei „Camilleri Fans Club“ (ital.)