Keine Empfehlung für die Leser

vom Krimiblogger

Alle Jahre wieder im Frühling vollzieht sich ein merkwürdiges Ritual: Hunderte von deutschsprachigen Krimiautor/innen rotten sich irgendwo zusammen, um auf Kosten der gastgebenden Kommune und ortsansässiger Sponsoren zu feiern und vor allem um die Besten ihrer Zunft zu küren. Das eine nennt sich „Criminale“, das andere ist die Verleihung des Friedrich-Glauser-Preises. Der wichtigste Krimipreis im deutschsprachigen Raum beteuert das „Syndikat“, die Autorengruppe deutschsprachiger Kriminalliteratur, die sowohl die „Criminale“ wie auch den „Glauser“ ausrichtet. Also ein Krimipreis, der auch für Leser interessant sein sollte.

Vor einigen Tagen – noch vor der offiziellen Bekanntgabe der diesjährigen Preisträger – machte sich Ulrich Noller Gedanken, vor allem zu der Entscheidungsfindung innerhalb der Jury. „Undurchschaubar“ nannte Noller diese Entscheidungen. Auf den ersten Blick scheint dieser Vorwurf nicht gerechtfertigt, bemüht sich das „Syndikat“ doch um Transparenz. Die Regeln sind auf den ersten Blick klar und sollen hier nur kurz angerissen werden: Ein Roman, der ausgezeichnet werden soll, muss eine deutschsprachige Originalveröffentlichung aus dem letzten Jahr, diesmal also aus dem Jahr 2005, sein. Der Roman muss in einem „richtigen“ Verlag erschienen sein (also kein BoD oder Verlage mit Druckkostenzuschuss seitens des Autors). Ausgeschlossen von der Teilnahme sind Übersetzungen aus anderen Sprachen, Neu- oder Wiederauflagen, Storysammlungen mehrere Autoren, True Crime oder Sekundärliteratur. Ist es die erste Veröffentlichung des Autors oder der Autorin, kann der Roman auch in der Kategorie „Debüt“ teilnehmen. Ebenfalls wichtig: Die Verlage müssen die Romane innerhalb des Jahres (im aktuellen Fall also bis zum 31.12.2005) im Sekretariat des Syndikats abgeliefert haben. Wer nichts schickt, kann auch nicht nominiert werden.

Aus diesen Einsendungen, in diesem Jahr waren es 177 gültige Titel in der Kategorie Roman, 54 in der Kategorie Debüt, wählt eine namentlich bekannte, jährlich wechselnde Jury, die durch die Syndikatsmitglieder bestimmt wird, fünf Nominierte, aus denen dann der jeweilige Siegertitel bestimmt wird. Es gibt also im Vorfeld zwei Listen: Eine lange Liste, auf der jeder Kriminalroman erscheinen kann, der rein formale und nachvollziehbare Vorgaben erfüllt und eine kurze Liste, in der dann nur noch rein inhaltliche Kriterien zählen. Spätestens ab dieser kurzen Liste wird es düster. Die Kriterien, die hier angelegt werden, bleiben so finster wie der Geschmack der jeweiligen Juroren. Sind es literarische, genrespezifische, sprachliche, dramaturgische Kriterien, die angelegt werden, ist es ein – wie auch immer entstandener und erlernter – Geschmack, oder doch Bestechung? Niemand außerhalb der Jury weiß es und soll es wohl auch nicht wissen. Was bleibt, ist eine Liste mit jeweils fünf Titeln, aus denen der Siegertitel ausgewählt wird. Auch hier keine Transparenz: Vergeben die Juroren Punkte oder Schulnoten für die jeweiligen fünf Titel, die dann am Ende zusammengezählt werden und so ein „bester“ Kriminalroman ausgewählt wird? Oder gibt es nächtelange Diskussionen, in denen darum gefeilscht wird, welcher Titel denn nun den „Glauser“ bekommen soll? Wird gehandelt („wenn Autor A in der Kategorie Roman gewinnt, dann muss aber Autor B beim Debüt das Rennen machen“), wird geschachert oder nüchtern gezählt? Oder wird vorher überlegt, auf welchen Titel man denn die schönste Laudatio schreiben kann und steht er deshalb dann auf dem Siegertreppchen? Müssen es in diesem Jahr mal wieder Frauen sein, weil im letzten Jahr die Männer die Preise abgeräumt haben? Niemand – außer der Jury – weiß es.

Wenig Erhellendes gibt es auch über die Jury. Sie besteht ausschließlich aus Autor/innen, wird durch Syndikatsmitglieder bestimmt und wechselt jährlich. Die Begründung dafür: Es soll nicht der Verdacht aufkommen, dass jemand, der länger als ein Jahr in der Jury sitzt, irgendeinen Schmu begehen könnte. Angeblich sei dies kein Job, um den sich innerhalb des Syndikats viele reißen, schließlich müssen stapelweise Bücher – in diesem Jahr eben 177 – gelesen oder doch zumindest überflogen werden. Wer auch nur halbwegs die Produktion deutschsprachiger Krimis kennt, weiß, dass es wahrlich einen schöneren und sinnvolleren Zeitvertreib gibt. Dennoch finden sich immer wieder aufopferungsvolle Menschen, für den diesjährigen Glauser waren es Paul Ott, Stefan Slupetzky, Anke Gebert, Christoph Spielberg und Richard Lifka, die diese Bürde auf sich genommen haben. Aber wer sind diese Juroren? Wer ein wenig nachschaut, zum Beispiel im Lexikon der deutschen Krimi-Autoren, wird den einen oder anderen Namen dort finden. Stefan Slupetzky zum Beispiel nicht, obwohl der doch im letzten Jahr den Debüt-Glauser erhalten hat und spätestens seit diesem „wichtigsten deutschen Krimipreis“ eigentlich dort rein gehört. Sei es drum, Google & Co. finden Informationen auch zu Stefan Slupetzky und zu den Autoren, die in diesem Lexikon nicht vertreten sind.

Durch theoretisches Wissen über Kriminalromane sind die diesjährigen Jurymitglieder bislang nicht aufgefallen – bis auf Paul Ott, der unter anderem eine Geschichte des Schweizer Kriminalromans veröffentlicht hat. In der Regel aber sind in der Jury (nicht nur in diesem Jahr) die Praktiker am Werk, Autoren, die über andere Autoren urteilen. Ab diesem Punkt wird es unredlich und albern. Welche Befähigung hat zum Beispiel Stefan Slupetzky, der zwei Kriminalromane veröffentlicht hat und sich, wie seiner Vita zu entnehmen ist, vor allem mit Theater beschäftigt hat? Oder eine Anke Gebert, die zwar einige Krimis und Kurzgeschichten vorweisen kann, aber eben auch zahlreiche Drehbücher (u.a. für eine Folge von „Für alle Fälle Stefanie“), Kinderbücher oder Sachbücher verfasst hat? Das eine mag zwar das andere nicht ausschließen, eine inhaltliche, tiefergehende Beschäftigung mit Kriminalliteratur in all ihren Facetten findet sich in den meisten Biografien der Jurymitglieder jedoch nicht.

Zudem beteuern nicht wenige Krimiautoren, dass sie nur selten Krimis anderer Autoren lesen. Den einen fehlt die Zeit oder Lust, andere möchten sich nicht bewusst oder unbewusst in ihrer eigenen Kreativität beeinflussen lassen, um nicht in den Verdacht des Plagiats zu geraten. Nachvollziehbare Gründe, dennoch verlangt die Arbeit einer Jury genau das: Wissen über Kriminalromane und zwar nicht nur aus einem Jahr. Ein entscheidendes Moment, will man einer Jury und einer Juryentscheidung wenigstens einen Hauch Glaubwürdigkeit verleihen.

Es geht, wie von Seiten einzelner Syndikats- und Jurymitglieder behauptet wurde, vor allem um Geschmacksurteile, auch beim Glauser. Nun ist Geschmack und Geschmackssicherheit ein nicht greifbares Element, dass sich aber erhellt, wenn der Leser weiß, wer ihm da was als „besten“ Kriminalroman empfiehlt. Bei Rezensenten, die regelmäßig Kriminalromane in Zeitungen, Zeitschriften, Funk, Fernsehen und anderen Medien besprechen, lernt ein Leser mit der Zeit, wie dieser oder jener Rezensent „tickt“, ob für ihn als Leser diese Rezensionen hilfreich sind, ob er sich ärgern oder freuen kann, ob er regelmäßig konträr zur Meinung des Rezensenten geht. Kurz: Es gibt Empfehlungen, auf die man sich als Leser, wenn auch nicht blind, so doch mit einer gewissen, erfahrungsbedingten Sicherheit, verlassen kann oder die ihn als Leser herausfordern. Auf das Urteil einer vollkommen unbekannten Jury, die zudem auf jegliche, inhaltliche Transparenz verzichtet, mag man sich, zumindest als anspruchsvoller Krimileser, nicht verlassen.

So rückt das Rätsel der diesjährigen Glauser-Entscheidung in ein anderes Licht. Es wurden zwei Romane ausgezeichnet, die konträrer nicht sein könnten. In der Kategorie „Roman“ erhielt die Frankfurter Autorin Astrid Paprotta für ihren Roman „Die Höhle der Löwin“ den mit 5.000 Euro dotierten „Glauser“. Angesichts der vier anderen Titel, die in dieser Kategorie ebenfalls nominiert waren, eine fast unausweichliche Entscheidung. Die Qualität der Romane Paprottas (nicht nur des ausgezeichneten Bandes) dürfte selbst den unbedarftesten Jurymitgliedern ins Auge gefallen sein. Wer diese nicht erkennt, der sollte sich bitte einem anderen Genre zuwenden und möglichst auch keine Kriminalromane schreiben.

Kein Verständnis bringe ich der Entscheidung in der Kategorie „Debüt“ entgegen. Dass Leonie Swann mit ihrem belämmerten, dumm-dreist geschriebenen, schlampig lektorierten und vollständig sinnfreien Schafskrimi „Glennkill“ ausgezeichnet wurde, und dafür auch noch ein Preisgeld von 1.500 Euro erhält (eine Summe, über die sie angesichts des regen Lizenzverkaufs ins Ausland sowie der Dauerplatzierung auf der Spiegel-Bestenliste wohl eher müde lächeln dürfte) muss an einer unbedarften und unfähigen Jury liegen. Einen anderen Grund für eine solche Entscheidung kann es nicht geben – will man der Jury nicht irgendein Gemauschel unterstellen, was angesichts der fehlenden Transparenz unredlich wäre.

Nein, auf ein solches Urteil sollte man sich als Leser nicht verlassen, man darf es nicht, will man nicht seine Intelligenz und seine eigene Urteilskraft in Frage stellen. Das einzige, was hier in Frage gestellt werden muss, ist die Arbeit und Zusammensetzung der „Glauser“-Jury. Das fast vollständig unbekannte Autor/innen über andere Autor/innen urteilen, mag zwar legitim sein. Gerne wird an dieser Stelle von Syndikats-Leuten eingeworfen, in anderen Ländern und bei anderen Krimipreisen sei dies doch auch so. Nur weil es in anderen Ländern Fehler gibt, müssen die ja nicht importiert werden.

Solange sich an der Arbeit, der Transparenz und der Zusammensetzung der Glauser-Jury nichts ändert, bleibt dieser Preis für die Leser, die ernsthafte Orientierung suchen, nutz- und wertlos. Der „Glauser“ bleibt auch in diesem Jahr ein Preis von Autoren für Autoren. Leserinteressen spielen nicht die geringste Rolle, sie sind, im Gegenteil, lästig. Das sollte man sich deutlich vor Augen führen, wenn demnächst wieder die Aufkleber mit den Schlagwort „Glauser-Gewinner“ auf den Büchern prangen. Solche „Empfehlungen“ oder Kaufanreize sind ungefähr so relevant, wie die Restaurantvorschläge eines Menschen, der seit seiner Kindheit den Geschmacks- und Geruchssinn verloren hat. Von Stefan Slupetzky, Anke Gebert, Christoph Spielberg und Richard Lifka lasse ich mir jedenfalls keine Kriminalromane empfehlen, weder die guten von Astrid Paprotta, noch die trivialen Tierschmöker einer Leonie Swann.