„Ich beschreibe Realität“

vom Krimiblogger

Lena Blaudez - copyright protected
Eine Begegnung mit Lena Blaudez

Sie ist eine schlanke, große Frau mit einem wachen Blick. In elegantes Schwarz gekleidet kommt Lena Blaudez freundlich lächelnd auf mich zu. Für das Interview können wir uns in das leere und ruhige Hotelrestaurant zurückziehen. Angesichts der hoch politischen Bezüge ihrer zwei Kriminalromane „Spiegelreflex“ und „Farbfilter“, fällt der Einstieg ins Gespräch nicht schwer. Schließlich ist der deutsche Bundespräsident erst kürzlich durch einige Länder Afrikas gereist und hat festgestellt: „Wir im Norden brauchen Afrika.“ Doch ist dies nicht eine reichlich späte Einsicht, möchte ich von der Autorin wissen, die lange Zeit in verschiedenen afrikanischen Ländern gelebt und gearbeitet hat.

„Ich denke, die Einsicht kommt extrem spät und natürlich brauchen wir Afrika. Natürlich hängen wir schon ganz lange mit dem afrikanischen Kontinent zusammen. Heute erscheint mir das eher wie eine Art Notbremsung, nachdem erkannt wird, dass die gigantischen Probleme dieses Kontinents uns auf negative Art und Weise jetzt auch betreffen. Also ist Handlungsbedarf, also wird Afrika „entdeckt“. Aber in Wirklichkeit, denke ich, ist es die Politik, die total hinterher ist. Die Wirtschaft hat Afrika schon lange entdeckt. Die Rohstoffe sind immens, der Reichtum dieses Kontinents ist gigantisch und seit Jahrzehnten, seit man von diesen Rohstoffen weiß, wird sich darum bekriegt und werden die Kriege, die in diesen Staaten stattfinden, auch eben von Großmächten und Industrienationen letztendlich mit verursacht. Durch Finanzierung, durch Kampf um Einflusssphären und eben Kampf um die Bodenschätze. Das heißt, Afrika ist in puncto Wirtschaft nie nicht entdeckt gewesen. Das ist jetzt nur die Politik und die öffentliche Meinung, die eigentlich hinterher hinken und etwas darstellen wollen, was so überhaupt gar nicht ist. Wenn wir zum Beispiel sehen, was in Südspanien und in Nordmarroko passiert, weil uns plötzlich die Probleme überrennen, wird auf einmal davon geredet. Da ist es schon immer gewesen und immer ganz nah.“

Lena Blaudez selbst hat schon als Kind den afrikanischen Kontinent für sich entdeckt. „Ein bisschen war es wie eine frühkindliche Prägung.“ sagt sie. „Ich hatte ein wunderschönes Kinderbuch, das hieß â€žIm Schatten des Baobab“ (Anm.: Autor ist Alex Wedding). Dieses Buch enthält ganz herrliche, philosophische Parabeln um den Spinnenmann Kwaku Anansi. Die haben mich als Kind total fasziniert, ich liebte dieses Buch. Ich hatte schon immer, ganz, ganz früh, diesen Wunsch nach Afrika. Ich nehme mal an, dass es damit zusammenhängt. Ich konnte das nicht realisieren, weil ich in der DDR groß geworden bin und dann 1985 ausreisen konnte. Dank einer Scheinheirat mit einem Franzosen, der so nett war. Schon ein knappes Jahr später bin ich dann das erstemal in Afrika gewesen. Danach immer wieder und immer länger. Das hat mich schlagartig fasziniert, dass ich davon nicht mehr los gekommen bin.“

Ada Simon heißt die Hauptfigur in den Romanen von Lena Blaudez. Ada ist in verschiedenen westafrikanischen Ländern als Fotografin unterwegs und gerät immer wieder in gefährliche Situationen. Zuviel Zufall, lautet eine oft gehörte Kritik an ihren Romanen. Doch wie stark spielt der Zufall wirklich eine Rolle und ist es für Europäer wirklich so gefährlich? „Nein, natürlich ist es nicht so gefährlich, sondern man kann dort wunderbar leben.“ lautet ihre energische Antwort. „Ich habe viele Jahre in Afrika gelebt und hatte, außer in Lagos, wo ich mal in eine ziemlich zugedröhnte Millitärpatroullie geraten bin, keine lebensbedrohlichen Erlebnisse, die von außen kamen, außer Krankheiten. Bei Ada Simon habe ich das ein bisschen überspitzt dargestellt. Der Zufall hat immer eine große Rolle gespielt. Ich denke, weil sie sich immer in eine bestimmte Richtung bewegt, insofern ist es gar nicht so sehr Zufall, sondern entwickelt sich ein wenig schicksalshaft, weil sie auf die Dinge und Probleme zugeht. So sucht sie im zweiten Band zum Beispiel einen Umweltschützer, der sehr große Problem hat, weil er solche Aktionen macht und damit sehr bedeutenden und wichtigen Menschen auf die Füße tritt. Sie weiß schon, worauf sie sich einlässt. Das es immer etwas überspitzt und drastisch zu geht, ist einfach das Genre Krimi. Das macht auch Spaß und gehört für mich auch dazu. Doch die Linie, der rote Faden sind nicht Zufälle, die sich häufen. Die Dinge passieren aufgrund von Adas Art und Weise, wie sie an das Land, die Probleme und die Leute herangeht, wie sie Kontakte mit Leuten knüpft, also doch nicht so ganz zufällig.“

Spiegelreflex
„Schon gar nicht mit dem erhobenen Zeigefinger“

Dennoch wurde manchmal moniert, in ihren Romanen sei zu wenig Logik. Wo doch gerade der Krimi im klassischen Sinn ein Genre ist, das viel mit Logik zu tun hat. Also möchte ich von Lena Blaudez wissen, ob dies nicht vielleicht eine sehr westliche Sichtweise auf Kriminalliteratur sei?

„Das sollte jedem selbst überlassen bleiben.“ meint Lena Blaudez. „Krimi ist nicht ein Metier, wo man sagt, da geht es los, dass ist A, B, und C, einer ist böse, bringt einen um und dann wird es aufgeklärt, sondern es gibt Tausende von Möglichkeiten, Geschichten zu erzählen. Ich wollte Geschichten erzählen, die in Afrika spielen, in verschiedenen afrikanischen Ländern und wo aufgrund der Dynamik der einzelnen Menschen, die Ada dort kennenlernt, sich immer wieder etwas entwickelt. Ich finde, das kann man so betrachten, dass es sich so entwickeln kann. Man kann überspitzen, trotzdem den roten Faden verfolgen und alle Sachen, die geschehen, klären sich irgendwann, irgendwie auf. Es ist nicht so, dass einfach etwas passiert und Schluss. Insofern denke ich, man kann es mögen oder nicht mögen, das ist Sache des Betrachters.“

Betrachter ist ein gutes Stichwort, denn ihre Heldin Ada Simon ist Fotografin. Ein starkes Bild: Jemand, der den Blick durch die Kamera wirft und dadurch eine gewisse Distanz zu dem hat, was sie durch den Sucher sieht. Also habe sie Ada ganz bewusst diesen Beruf gegeben. Schließlich hätte Ada ja auch, wie Lena Blaudez selbst, Entwicklungshelferin sein können, frage ich nach.

„Ganz genau.“ stellt Lena Blaudez fest. „Sie ist Fotografin und sie ist auch zunächst distanziert und das ist eine Art Symbol für mich. Als Weiße ist man dort distanziert, man fällt immer auf, man ist immer ein bisschen außerhalb. Auch die Entwicklung der Person Ada Simon ist so: Gerade durch ihre Kamera ist sie erst distanziert, bewegt sich dann aber im Laufe der Bücher immer mehr auf die Leute zu. Sie gibt ihre Distanzhaltung auf und verändert ihren Charakter ganz stark. Das finde ich, ist eine wichtige Sache. Dadurch, dass sie die Leute und ihre Probleme dort kennenlernt und Freundschaften schließt, verändert sie sich notgedrungen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Anderseits habe ich auch gedacht, das gerade dieses fotografische Herangehen mir entspricht in der Art des Schreibens. Ich beschreibe etwas. Ich beschreibe ein Bild, ich beschreibe Realität. Der Betrachter guckt sich das an und empfindet etwas dabei. Das ist seine subjektive Sicht auf dieses Bild. Ich will nicht irgend etwas erklären oder sagen das ist gut, das ist schlecht, sondern ich möchte es zeigen, wie Bilder, die aneinander gereiht, eine Geschichte ergeben. Insofern passt das Metier Fotografie sehr gut.“

Bereits in einem Interview mit Thomas Wörtche hatte Lena Blaudez auf diese Schreibhaltung hingewiesen. Die Moral soll im Auge des Betrachters liegen. Also möchte sie in ihren Büchern nicht kommentieren, hake ich nach. „Möglichst nicht. Ich denke, hin und wieder ist es mir dann doch durch gerutscht – ich musste viel streichen nach dem ersten Buch – aber, das möchte ich überhaupt nicht. Natürlich ist es immer subjektiv, was man schreibt, trotzdem möchte ich so weit wie möglich einfach darstellen, wenig erklären und nichts erläutern und schon gar nicht mit dem erhobenen Zeigefinger sagen, so hat es auszusehen.“

Bleibt die Frage, wie sie schreibt. Es ist immer wieder beeindruckend, wie gekonnt Lena Blaudez scharfe Kontraste setzt. Da ist zum Beispiel das langsame Leben in der drückenden Hitze im Gegensatz zu der fast ruhelos wirkenden Ada. Ob sie diese Kontraste bewusst setzt oder passiert dies einfach beim Schreiben, möchte ich wissen. „Vieles ereignet sich einfach so beim Schreiben.“ antwortet sie. „Ich habe es nicht von vorne bis hinten durch gestylt, das passiert beim Schreiben. Gegensätze finde ich immer sehr spannend, ob es nun das Klima und die Aktion von einzelnen Personen ist oder auch verschiedene Charaktere. Gegensätze sind immer sehr spannend, daraus entsteht ja immer irgend etwas. Deswegen reizt mich das auch sehr, diese Gegensätze darzustellen. Außerdem ist es einfach so, wenn man dort ist, das die Hitze und das Leben so drastisch anders ist, als das, was man in Europa gewöhnt ist. Es drängt sich förmlich auf, diese Gegensätze darzustellen. Es macht ja auch was mit dir, wenn du dich dort bewegst.“

„Das sind mafiöse Strukturen.“

Dabei spannt sie in ihrem zweiten Roman einen weiten Bogen von Mecklenburg-Vorpommern bis nach Kamerun. Also sind ihre Romane auch ein Beitrag zum „global Crime“, zum weltweit vernetzten Verbrechen?

„Ja, ganz genau.“ erklärt Lena Blaudez. „In meinen Krimis geht es sich nicht so sehr darum, dass ein böser Mensch ein Verbrechen begeht und das wird dann aufgeklärt. Sondern es ist vielmehr ein Konglomerat von ganz verschiedenen Sachen, die dazu führen, das viele Verbrechen geschehen. Es ist ein Netzwerk, gerade wenn man Afrika betrachtet und besonders die rohstoffreichen Länder. Es ist eine globale Geschichte. Es geht nicht um Einzelne, es geht um ein Netzwerk von einheimischen Politikern, von Militärs, von multinationalen Konzernen, die eine Rolle spielen, von internationalen Geschäftsmännern und Firmen, die zusammen letztlich dafür sorgen, dass es globalisiertes Verbrechen gibt. Das ist nicht leicht zu durchschauen und aufzuklären, weil es die Wirtschaft ist. Die Wirtschaft ist politisch sanktioniert, da kann man nicht sagen, einzelne Verbrechen – einzelne Auflösung. Es gibt einen UNO-Bericht, gerade über die Situation im Kongo und dem Erzschmuggel mit Coltan, der ja auch im Krimi vorkommt, der spricht von Elitenetzwerken, die am Wirken sind. Das sind mafiöse Strukturen, die alles durchziehen. Das ist heute so: globalisierte Welt und globalisiertes Verbrechen. Das wollte ich auch darstellen.“

Somit ist dieses globale Verbrechen auch ein Thema für den Kriminalroman, was ihn auch wieder verändern kann, wenn man auf die Anfänge der Kriminalliteratur schaut, werfe ich ein.

„Ich denke auf jeden Fall, weil es eben so ist. Dass Drahtzieher in Mecklenburg sitzen, ist zwar fiktiv, aber dass der Handel von Coltan aus dem Ostkongo über Kigali nach Deutschland, USA und andere Länder illegal läuft, ist real. Da stecken ganz viele drin: Militärs, die Rebellengruppen, die Steuern abziehen, wenn sie das Coltan verkaufen, da stecken einheimische Politiker ganz dick mit drin, weil sie Unmengen verdienen, das ist eine unvorstellbare Menge Geld und Profit, das durch Coltan verdient wird, das sind gigantische Zahlen. Da geht es um Finanzierung des Militärs, das von Ruanda gesteuert den Ostkongo besetzt, um an diese ganzen Erze, an Gold und Diamanten heran zu kommen. Es geht auch um die rechtlichen Bedingungen: Wie kann es sein, dass dieses illegal herausgeholte Coltan über Militär, politische Unterstützung, Geschäftsleute, bei uns in Deutschland ankommt und verarbeitet wird? Es gibt diverse Firmen. Wir kaufen schöne, billige Handys und kein Mensch weiß, wie das alles zustande kommt. Genauso ist es beim Tropenholz: Es gibt, glaube ich, weltweit kein einziges Land, das klare gesetzliche Richtlinien hat, die verhindern, das Tropenholz illegal außer Landes geschafft wird. Insofern ist alles nah beieinander: Deutschland, Kamerun, Kongo, Ruanda hängen eng zusammen. Ohne die Einwirkung von außen würde es nie zu solch verherrenden Kriegen in Zentralafrika kommen, wie sie jetzt zur Zeit auch noch stattfinden. Das vergisst man oft. Natürlich werden von Großmächten immense Geldmittel und militärische Unterstützung in einzelne Länder gesteckt. Der Rohstoffhandel natürlich auch, der heizt den Krieg extrem an, nur dadurch ist er möglich.“

Farbfilter
„Der Staat existiert nicht mehr“

Es sind sehr realistische Kriminalromane, die Lena Blaudez schreibt. Dies gilt auch für den Vodou, der in ihren Romanen auftaucht.

„Als ich das erste Mal nach Benin, der Wiege des Vodou, kam, dachte ich: Ist ja verrückt, dieser Aberglaube.“ erzählt sie. „Aber im Laufe der Zeit habe ich immer mehr Respekt davor bekommen. Weil es mich so umgehauen hat, das Leute aus allen Schichten an Vodou glauben, egal ob es Leute sind, die in Paris oder wo auch immer studiert haben, oder eben Bauern, die nie aus ihrem Dorf herausgekommen sind. Es geht durch alle Schichten. Es spielt jeden Tag eine ganz immense Rolle. Peu à peu habe ich mich dem ein wenig angenähert und habe mitbekommen, dass Vodou eine gewollte Struktur oder Methode ist, die das Soziale aufrecht erhält. Vodou ist ein Riesenbegriff. In jedem Dorf, in jeder Region, selbst in ganz kleinen Ecken, gibt es verschiedene Gottheiten, verschiedene Regeln, welche die soziale Struktur aufrecht erhalten. Priester sind oft starke, enorme Persönlichkeiten, die sehr viel Wissen haben und die das auch steuern. Das hängt ganz tief mit der Gesellschaft zusammen. Es ist beeindruckend, das zu sehen. Andererseits denke ich, gibt es neben dem Vodou diverse Glaubensrichtungen, der Hexenglauben, der Geisterglauben, und auch viele christlich-fundamentalistische Freikirchen, die mich ein wenig erschreckt haben, und die ein Riesengeschrei machen, den Weltuntergang prognostizieren und die auch einen enormen Zulauf haben. Die ganzen diversen Richtungen sind sehr stark ausgeprägt. Ich denke, das hängt auch damit zusammen, dass soviele Menschen in so einer hoffnungslosen Situation sind. Das kennt man auch in Europa, das Sekten einen enormen Zulauf haben, wenn Menschen verunsichert sind, keine Arbeit haben, Kriege drohen oder sehr arm sind und Existenzängste haben. Dann haben solche Richtungen enormen Zulauf. Ich denke, das hängt auch damit zusammen. In Afrika ist es nicht verwunderlich. In Westafrika, wo ich war – Togo, Benin, Nigeria, Kamerun – ist der Vodou sehr präsent. Aufgrund der Situation ist das verständlich.“

Trotz vieler realistischer Bezüge bleiben die Romane von Lena Blaudez wunderbar spannende und erfundene Geschichten. Geschichten, die ein sehr vielschichtiges Bild von Afrika zeigen, die aber reale Kriminalität nicht ausblenden. „Das Verbrechen, um dass es mir geht, ist eben die Rohstoffkriminalität und was damit zusammenhängt.“ stellt sie noch einmal klar. „Wenn man zum Beispiel Interviews mit Manganos, den Coltan-Schürfern im Kahuzi-Biega-Nationalpark, liest, dann ist das unvorstellbar. Der Staat existiert nicht mehr, er kann nicht mehr eingreifen. Es gibt nur noch Kriminalität, Drogen, Prostitution, Alkohol, Mord – es ist außer Rand und Band. Es gibt keine Märkte, es gibt keine Landwirtschaft, Schüler und Lehrer graben nach dem Zeug, weil sie eben so viel verdienen, wie sie nie verdient haben. Das Gleiche gilt für Gold- oder Diamantenmienen. Wir nutzen dieses Zeug, es kommt irgendwie, auf dubiosen Wegen, nach Europa und wir leben auch davon. Diese Struktur ist das Verbrechen, dass ich auch darstellen möchte und was ganz real ist, bis in die Einzelheiten, wie die Wege verlaufen.“

Die Bücher von Lena Blaudez:

Lena Blaudez: Spiegelreflex : Ada Simon in Cotonou. – Zürich : Unionsverlag, 2005
ISBN: 3-293-00344-3

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Lena Blaudez: Farbfilter : Ada Simon in Douala. – Zürich : Unionsverlag, 2006
ISBN-10: 3-293-00357-5
ISBN-13: 978-3-293-00357-6

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