Vom Seelengemälde zum Rätselbilchen

vom Krimiblogger

Der vierte Mörder
Thomas Kastura: Der vierte Mörder
Der psychopathische und gleichzeitig sympathische Mörder meuchelt munter durch die Kriminalliteratur. Spätestens seit Patricia Highsmith hat der nette Typ von nebenan, der freundlich und unauffällig durchs Leben streift, dabei aber gehörig einen an der Waffel hat, auch in höhere literarische Kreise Einlass erhalten. Was bei Highsmith noch als Symptom einer Welt ohne Moral erdacht wurde, hat durch die nachfolgenden Adepten zahlreiche Variationen und kuriose Kombinationen erfahren. Eine der aktuellen Kuriositäten stammt von dem Bamberger Autor Thomas Kastura, dessen neuer Roman „Der vierte Mörder“ die Perspektive des Täters und einer Gruppe Verdächtiger als aufwendig inszeniertes Seelengemälde ausbreitet, um dann durch einen unsauberen Strich als harmloses Rätselbildchen zu enden.

Köln in der Vorweihnachtszeit: Die Polizei sucht einen Mann, der Behörden und Bevölkerung mit Drohbriefen in Angst und Schrecken versetzt. Zitate aus Schillers „Glocke“ kündigen einen Brandanschlag auf die U-Bahn am Tag vor Heiligabend an. Parallel dazu sorgen Brandstiftungen und Morde an den ehemaligen Mitgliedern der Rockband „Barbarossa“ für Unruhe. Komissar Klemens Raupach, strafversetzt ins Polizeiarchiv, und seine Kollegin ermitteln zunächst im Geheimen. Während Raupach einige Tage braucht, um auf die Spur des Täters zu kommen, wissen die Leser längst, wer hinter den Drohbriefen und den Morden an den Musikern steckt.

Die Drohbriefe stammen von Johan Land, ein unauffälliger Buchhändler, der unter Folie à deux, dem „Wahnsinn zu zweit“ leidet. Seine Frau Marta, eine Videokünstlerin, litt unter paranoider Schiziophrenie und „steckte“ ihren labilen Mann damit an. Marta ist tot, sie starb vor drei Jahren, als sie von einem Unbekannten vor die U-Bahn gestoßen wurde. Ihr ungesühnt gebliebener Tod lässt Johan zu einem Racheengel werden.

Rache ist auch das Motiv für die Morde an den Bandmitgliedern. Valerie Braq, wie es der Zufall so will eine Nachbarin von Johan, war mit dem Bandleader von „Barbarossa“ liiert. Der starb vor einem Jahr angeblich an seinem Erbrochenen – der Leser erfährt jedoch bald, das Valerie seinem Tod nachgeholfen hat. Valeries 13-jährige Tochter Sheila startet zusammen mit dem Türsteher Luzius einen Rachfeldzug gegen die ehemaligen Bandmitgliedern, denn Sheila wurde von allen Musikern vergewaltigt. Am Ende des Romans wird Kommissar Raupach jedoch jemand ganz anderen als Mörder verhaften.

Zweifelhafte Wendung

Thomas Kastura verwebt in seinem dritten Kriminalroman auf komplexe Weise die tragischen Lebensgeschichten von vier Personen. Johan und Valerie treffen im Laufe des Romans aufeinander, Sheila stößt gleich zu Beginn des Buches auf die ermittelnden Polizisten. Der Zufall feiert bei Kastura fröhliche Urstände. Jeder ist jedem schon mal über den Weg gelaufen, die persönlichen Verflechtungen und flüchtigen Begegnungen sind in der anonymen Großstadt ausgeprägter, als man gemeinhin denken mag. Erzählt wird dies alles durch die wechselnden Perspektiven der Figuren. Nach und nach lässt Kastura seine Charaktere ihre Verbindungen aufdecken – bis es schließlich zur Auflösung kommt. Was als fragiles und differenzierte Geflecht gesponnen und in einem ruhigen, fast meditativen Ton beschrieben wurde und bis dahin spannend zu lesen war, zerstört Kastura mit einer zweifelhaften Wendung und präsentiert einen Täter, dessen Motive in wenigen Zeilen abgehandelt werden. Wozu treibt Kastura bis kurz vor Schluss ein exzellentes Verwirrspiel um Täter und Opfer und entwirft fesselnde Psychogramme, um dann dem eigentlichen Täter kaum Raum in seiner Erzählung zu zusprechen?

Es zeigt sich, dass die Kombination aus psychologischer Figurenzeichnung, Darstellung polizeilicher Arbeit und schlichtem Rätselkrimi bei Kastura nicht funktioniert. Ein Vergleich mit Patricia Highsmith, die Kastura in einem Interview erwähnt, deutet an, woran das liegt: Es sind zu viele Perspektiven, die dem Autor hier aus den Händen gleiten. Konzentrierte sich Highsmith etwa bei ihren bekannten „Ripley“-Romanen weitgehend auf eine Ansicht, sind es bei Kastura gleich zwei Täterduos, dazu noch die Perspektive der Polizisten, die hier in einem Wechselspiel zu Wort kommen. Was Kastura über fast 500 Seiten an Spannungsbögen, Verschleierungen und Andeutungen zu einem logischen Ermittlungsende führen will, bei dem der Leser auch immer mit raten darf, verliert sich in einer Überfrachtung von Motiven, die den tragischen Lebensumständen der Figuren entspringen.

In seinem Scheitern zeigt Kastura allerdings auf ein Problem, mit dem viele psychologische Krimis und Thriller kämpfen: Wie vorhersehbar ist das Verhalten von Tätern, die unter schweren, psychischen Störungen leiden? Wie glaubwürdig sind die Täterprofile der unzähligen Profiler, der selbstverständlich auch bei Kastura auftaucht, die in Psychokrimis ihr Analysen präsentieren? Wie psychologisch fundiert und wie realistisch sind psychologische Krimis und Thriller?

Thomas Kastura: Der vierte Mörder / Roman. – München : Droemer, 2006
ISBN-10: 3-426-19726-X
ISBN-13: 978-3-426-19726-4
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