Ein deutsches Krimimärchen

vom Krimiblogger

Brüderchen komm stirb mit mir von Rainer Martin Mittl Rainer Martin Mittl: Brüderchen komm stirb mit mir

Es gibt erzählerische Tricks in Kriminalromanen, die sind einfach nicht tot zu kriegen, obwohl sie uralt sind und Generationen von Autoren sie bereits hundertfach durchgenudelt haben. Zum Beispiel bei einem klassisch erzählten Wer-war-es-Krimi, bei dem die Ermittler schon früh eine Aussage oder einen Aspekt als richtig oder wahr annehmen und weitgehend ihre ganze Ermittlung darauf aufbauen, um dann kurz vor Schluss feststellen zu müssen, dass sie sich gleich am Anfang geirrt haben oder einer Fehleinschätzung aufgesessen sind. Dementsprechend verquer laufen oft die Ermittlungs- und Handlungsstränge in solchen Romanen und nicht selten wird es abstrus. „Brüderchen komm stirb mit mir“von Rainer Martin Mittl ist so ein Roman. Der zweite Krimi des 1960 in Stuttgart geborenen Autors wartet mit einer reichlich wirren Rachephantasie auf, die ihre Spannung vor allem daraus schöpfen kann, dass die beiden Ermittler gleich zu Beginn eine Zeitangabe nicht ausreichend hinterfragen.

Frieder Kindlein und Konrad Morgenthaler heißen diese beiden Ermittler, arbeiten bei der Mannheimer Mordkommission und haben es mit einem verstümmelten, männlichen Leichnam zu tun. Im alten Strandbad wird der Tote entdeckt und recht schnell identifiziert: Es handelt sich um Frank Bahlbach, Besitzer einer Großbäckerei, die er von seinen Eltern übernommen hat. Kindlein und Morgenthaler befragen, wie es sich gehört, Bahlbachs Frau und seine beiden Eltern. Auch die Mitarbeiter seiner Firma werden vernommen und die Polizisten erhalten so ein Porträt von Frank Bahlbach, das wenig schmeichelhaft ist. Kaum hatte er die väterliche Bäckerei übernommen, schmiß er langjährige Mitarbeiter raus und verwandelte den gemütlichen Familienbetrieb zu einem gewinnorientierten Unternehmen. Feinde schuf sich Bahlbach aber nicht nur als widerlicher Chef, auch privat kriselte es zwischen ihm und seiner Frau.

Mögliche Mörder gibt es also zur Genüge, dumm nur, dass Kindlein und Morgenthaler den Hinweis des Gerichtsmediziners nicht ganz so ernst nehmen, wie sie vielleicht sollten. Der datiert den Todeszeitpunkt wesentlich früher und auf jeden Fall noch vor der Zeit, zu der Frank Bahlbach von mehreren Personen noch lebend gesehen wurde. Aber auch Gerichtsmediziner können schließlich mal irren und so tappen Kindlein und Morgenthaler munter in die falsche Richtung, während der Mörder seinen Racheplan weiter ausführen kann. Er terrorisiert die Familie des Verstorbenen mit gruseligen Gaben, wie einer abgeschnittenen Hand oder einem Foltervideo, auf dem der Tote zu sehen ist. Dann jedoch meldet sich ein vermeintlich Verrückter im ländlichen Buchen, der behauptet ein Freund von ihm sein entführt und ermordet worden. Was hat dieser Verschwundene mit dem toten Bahlbach zu tun? Morgenthaler und Kindlein forschen weiter und decken die perfide Vergeltungsaktion, bei der unter anderem eine ungewollte Schwangerschaft, eine frustrierte Krankenschwester, eine Vergewaltigung sowie eine geheime, lesbische Liebe eine Rolle spielen, nach und nach auf.

Sympathische Polizisten, ins Gespräch vertieft

Das sind Geschichten, wie sie das Leben nur selten schreibt, dafür aber deutsche Kriminalschriftsteller. Immerhin muss man Rainer Martin Mittl zugestehen, dass er seine abstruse Story von Liebe und Rache so konsequent durchzieht, dass es wirklich mutig ist. Man könnte allerdings auch sagen, er habe sich verrannt und ist diesem uralten Trick, wie bereits oben erwähnt, einfach auf dem Leim gegangen. Sicherlich war das vom Autor gut gedacht, da wird schließlich ein „Twist“ nach dem anderen abgeliefert. Was soviel bedeutet, dass es immer wieder neue Wendungen im Fortgang der Geschichte gibt, die für den Leser völlig unerwartet um die Ecke kommen. Dumm ist es dann allerdings, wenn man die Lösung mehr oder weniger schon im Titel verrät. Von wegen „Brüderchen“ und so.

Verschlimmert wird das alles noch durch die penetrant gute Botschaft, die Mittl so gnadenlos platt einfließen lässt. Globalisierung ist einfach irgendwie blöde, macht sie doch aus harmlosen Söhnen verbiesterte Chefs von Großbäckereien, die charakterlich einfach nur verkümmern können. Wenn wundert es da noch, dass die irgendwann zerstückelt im alten Strandbad liegen. Wie schön, dass man über all diese kapitalistischen Auswüchse dann auch noch zwei super sympathische Polizisten philosophieren lassen kann und zwar in Dialogen, die vermuten lassen, dass der Autor von Lehrbüchern für angehende Ordnungshüter und deren trockener Juristensprache inspiriert wurde. Die Andeutung von polizeilicher Wirklichkeit bleibt dem Leser – Gott sei Dank! – weitgehend erspart, dafür ist das Buch ein ganz klein wenig splatterig, herrlich altbacken gestrickt – Christie und Co. hätten es nicht besser hingekriegt – und vor allem immer politisch korrekt. Deutsche Krimimärchen sind halt nicht tot zu kriegen.

Rainer Martin Mittl: Brüderchen komm stirb mit mir. – Köln : Emons, 2007
ISBN 978-3-89705-488-2
(Der Badische Krimi; 10)

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