Wiederentdeckung eines Meisterdiebes

vom Krimiblogger

Die Gräfin von Cagliostro
Maurice Leblanc: Die Gräfin von Cagliostro oder Die Jugend des Arsène Lupin

Die frühe französische Kriminalliteratur hat hierzulande immer ein wenig im Schatten ihrer angloamerikanischen Schwester gestanden. Edgar Allan Poe, Arthur Conan Doyle oder Gilbert K. Chesterton und ihre Figuren scheinen präsenter zu sein als etwa Eugéne Sue oder Gaston Leroux. Auch Maurice Leblanc und sein Arsène Lupin standen im Bücherregal wohl eher in der zweiten oder dritten Reihe. Der Berliner Verlag Matthes & Seitz sorgt nun für Abhilfe und veröffentlicht einige Romane Leblancs neu. Von den bislang drei geplanten Büchern ist der erste Band „Die Gräfin von Cagliostro oder Die Jugend des Arsène Lupin“ im letzten Herbst erschienen. Ein gelungener Auftakt, denn Leblanc schrieb seinem Helden Lupin mit diesem Roman eine Jugendgeschichte, deren Lektüre lohnenswert ist.


Als „La Comtesse de Cagliostro“ zwischen 1923 und 1924 als Vorabdruck in der Zeitschrift „Le Journal“ erschien, da hatte der Meisterdieb und Gentleman-Gauner Arsène Lupin schon einige Abenteuer überstanden. Bereits 1905 erblickte Lupin in der Erzählung „L’Arrestation d’Arsène Lupin“ das Licht der literarischen Öffentlichkeit. Ein französischer Robin Hood, ein charmanter Anarchist und weltgewandter Lebemann – so wird Arsène Raoul Lupin oft charakterisiert. Was ihm in den ersten Erzählungen und Romanen jedoch fehlte, war ein Hintergrund, eine Entwicklungs- und Lebensgeschichte – kurz: die Erziehung des Herzens. Diese lieferte Leblanc eben in seinem Roman „La Comtesse de Cagliostro“ nach. Es ist, wie Richard Schroetter in seinem Nachwort betont, die Initiationsgeschichte des jungen Lupin in die Welt der Verbrecher, der Verschwörung und der Liebe.

Raoul D’Andrésy, wie sich der junge Lupin aus Scham über den Namen seines Vaters hier noch nennt, wird zufällig Zeuge, als Baron Godefroy d’Etigues zusammen mit anderen Banditen die schöne und mysteriöse Josésphine Balsamo, Gräfin von Cagliostro, gefangen nimmt. Aus Rachsucht verurteilen sie ihre Gefangene zum Tode. Lupin, angetan von der überwältigenden Schönheit der Dame, rettet sie aus den Klauen ihrer Häscher und flieht mit ihr fortan durch Frankreich. Gemeinsam begeben sie sich auf die Suche nach dem sagenumwoben Schatz der normannischen Mönche, verfolgt von Baron d’Etigues und seinen Freunden, die den wertvollen Edelsteinen ebenfalls auf der Spur sind. Ein atemberaubender Wettlauf zum unbekannten Versteck hat begonnen, in dessen Verlauf Lupin sich immer mehr in die schöne Gräfin verliebt. Doch leider entdeckt er nach und nach auch ihr wahres Gesicht: Josésphine Balsamo ist ein eiskalte Frau, die, wie ihre Gegner, über Leichen geht. Mord jedoch ist etwas, was Lupin verabscheut. So steht Lupin plötzlich nicht nur mit den Banditen um d’Eutiges im Rennen, er will auch vor der Gräfin den Schatz finden. Es folgt eine rasante Verfolgungsjagd, mit Kutschen, Booten und Fahrrädern und schließlich ein Höhepunkt, gegen den so manche Schlußszenen moderner Action-Reißer wie Kindertheater ist.

Arsène Lupin von Falk NordmannWandlungsfähiger Anarchist

Leblanc hat mit seinem Arsène Lupin einen kriminalistischen Archetyp geschaffen, der weit über seine Zeit hinaus wirkt. Eine Typus, der im starken Kontrast zu Sherlock Holmes stand – nicht nur, weil der eine ein Dieb, der andere ein Detektiv war. Sehr zum Missfallen von Arthur Conan Doyle lies Maurice Leblanc seinen Lupin in dem bereits 1908 erschienen Roman „Arsène Lupin contre Herlock Sholmès“ gegen Holmes sogar antreten. Hier der geschickte Meisterdieb und lasterhafte Frauenheld, dort der eher biedere und gleichzeitig brilliante Logiker Holmes. Gemeinsam ist beiden jedoch ihre Meisterschaft in der Maskerade, ihre Wandlungsfähigkeit und ihre Weltgewandtheit.

Der junge Lupin erscheint im Rückblick durchaus als eine politische Figur, ein Anarchist, der allerdings im Spätwerk immer mehr zu einem Erfüllungsgehilfen der Polizei mutiert. Ganz anders als jener Held, der etwa zur gleichen Zeit auf der Bildfläche erschien: Der finstere Fantomas, Schrecken der französischen Staatsmacht. Gegen ihn erscheint Lupin wie ein Chorknabe. Stilistisch allerdings sind die Romane und Erzählungen Leblancs weitaus eleganter und durchdachter als die oft schnell verfassten Fantomas-Geschichten von Pierre Souvestre und Marcel Allain. Leblancs raffiniert aufgebaute Erzählstränge, die farbenfroh zwischen Phantastik, Abenteuer und Kriminalroman changieren, und seine elegant geformten Figuren sind facettenreicher und manchmal auch zwielichtiger, als der dann doch recht eindimensionale Fantomas.

Wer sich davon überzeugen will, hat durch die Neuedition bei Matthes & Seitz jetzt eine schöne Gelegenheit dazu. „Die Gräfin von Cagliostro“ ist eine gelungene Ausgabe, die neben Nachwort und klugen Anmerkungen auch durch die eindrucksvollen Illustrationen von Falk Nordmann zu überzeugen weiß. Ein kriminalliterarischer Genuss, der unbedingt in der ersten Reihe im Buchregal stehen darf. Oder noch besser: Aufgeschlagen vor den Augen begeisterter Krimileser.

Maurice Leblanc: Die Gräfin von Cagliostro oder Die Jugend des Arsène Lupin / Aus dem Französischen von Erika Gebühr, überarbeitet und mit Anmerkungen versehen von Nadine Lipp. Mit einem Nachwort von Richard Schroetter und Illustrationen von Falk Nordmann. – Berlin : Matthes & Seitz, 2007
ISBN 979-3-88221-610-3

Originalausgabe: Maurice Leblanc: La Comtesse de Cagliostro, erschienen als Fortsetzungsroman in „Le Journal“ 1923/24

Buch bestellen bei:
» amazon.de » libri.de » buch24.de » buecher.de

Links:
→ arsenelupin.de – Seite zur Neuausgabe bei Matthes & Seitz
→ Falk Nordmann – Illustrator der Neuausgabe
→ Internetseite zum Wohnhaus von Maurice Leblanc (franz.)
→ Ein Wissensspiel rund um Arsène Lupin (franz.)
→ Bibliographie (franz.)