Kubanische Aufklärung

vom Krimiblogger

José Lezama Lima und Virgilio Pinera 1974Leonardo Padura: Labyrinth der Masken

»Todsünde, gesellschaftlich schädliche Abnormität, psychische und physische Krankheit, nirgendwo auf der Welt ist es leicht, schwul zu sein, mein Freund, Herr Polizist, das kann ich Ihnen sagen. «

Reinaldo Arenas, Severo Sarduy, José Lezama Lima und Virgilio Piñera dürften bei uns in Deutschland nur wenigen Lesern und Leserinnen bekannt sein. Gemeinsam ist diesen vier Autoren, dass sie Kubaner und homosexuell waren. Das Foto links zeigt übrigens José Lezama Lima zusammen mit Virgilio Piñera im Jahre 1974. José Lezama Lima, der „Dicke“, wie er auch spöttisch genannt wurde, dürfte wohl der bekannteste von den vier Autoren sein. Sein monumentaler Roman „Paradiso“, ein barockes, wucherndes Sprachkunstwerk, wurde immerhin im Zuge des „Booms“ lateinamerikanischer Literatur in den 1970er und 1980er Jahren ins Deutsche übersetzt. Sein unvollendetes Werk „Oppiano Licario“ wurde erst im letzten Jahr den deutschsprachigen Lesern und Leserinnen in einer Übersetzung zugänglich gemacht.

Mit Reinaldo Arenas und Severo Sarduy dürfte es da schon schlechter aussehen: Areanas hat vor allem in der schwulen Szene mit seiner wütenden Autobiographie „Bevor es Nacht wird“ für Furore gesorgt. 2000 wurde diese Biographie auch unter dem englischen Titel „Before Night Falls“ verfilmt. Ein Film, in dem unter anderem Sean Penn und Johnny Depp kurze Gastauftritte hatten und der bei Kritikern ein geteiltes Echo auslöste. Severo Sarduy wurde ebenfalls eher in der schwulen Szene bekannt, als seine beiden Romane „Kolibri“ und „Woher die Sänger sind“ in der kleinen Edition diá erschienen. Bereits 1968 wurde der Band „Bewegungen“ mit Erzählungen Sarduys und ein Jahr später „Flamenco“, eine Sammlung von Gedichten, veröffentlicht.

Literarisches Denkmal

Richtig düster ist es jedoch um den Autor Virgilio Piñera, laut Kennern der kubanischen Literatur einer der wichtigsten Dramatiker des Landes im 20. Jahrhundert, bestellt. Gerade mal sein Roman „Kleine Manöver“ liegt in einer (vergriffenen) Übersetzung vor. Nun mag sich mancher fragen: Ja, und? Es gibt viele, vergessene Autoren und Autorinnen – erst recht aus Lateinamerika. Immerhin: Virgilio Piñera erhält durch den neusten Kriminalroman von Leonardo Padura ein Stück der Reputation zurück, die er vermutlich verdient hätte. Padura setzt seinem schwulen Landsmann in „Labyrinth der Masken“ (span.: „Máscaras“) ein literarisches Denkmal und spürt haargenau den Repressionen nach, denen homosexuelle Männer in Castros Kuba ausgesetzt waren und sind.

Labyrinth der Masken
Padura erzählt die Geschichte vom Mord an dem jungen Alexis Arayán, Sohn eines hohen Diplomaten, der am 6. August, am Tag der Verklärung Jesu, im Stadtwald von Havanna erwürgt aufgefunden wird. Arayán ist als Frau, genauer gesagt als Electra verkleidet, eine Figur aus dem Stück „Electra Garrigó“ von eben diesem Virgilio Piñera. In Arayáns After finden die Ermittler zwei Geldstücke, die sie vor ein Rätsel stellen: Warum ermordet jemand einen schwulen Transvestiten und „bezahlt“ ihn dann auf diese groteske Weise?

Dem Rätsel nachspüren muss der mürrisch-melancholische Mario Conde, Lesern und Leserinnen bereits aus den ersten beiden Bänden von Paduras „Havanna-Quartett“ – „Ein perfektes Leben“ und „Handel der Gefühle“ – gut bekannt. Nach einer Schlägerei ist Teniente Conde eigentlich strafversetzt, doch sein Chef, Mayor Antonio Rangel, hat zu wenig Personal, also soll Conde, zusammen mit seinem Kumpel Sargento Palacios, den Fall möglichst schnell lösen. Keine leichte Aufgabe für den bekennenden Schwulen- und Tuntenhasser Conde. Weibische Männer sind ihm zuwider, doch dummerweise spielen gleich zwei schwule Männer eine wichtige Rolle bei der Ermittlung. Da ist zunächst der Maler Salvador K., ein verheirateter Mann, der vermutlich eine Liebesbeziehung zu Alexis Arayán unterhielt und nach einem ersten Verhör durch Conde wie vom Erdboden verschwunden scheint.

Poetisches Portrait und politische Positionierung

Die zweite, zentralere Figur ist jedoch der Dramaturg Alberto Marqués, das Alter Ego Virgilio Piñeras im Roman. Bei ihm hat der Ermordete zuletzt gewohnt und in ihm findet Mario Conde, der Möchtegern-Dichter, einen Lehrer. Zwar ist Conde der alternde Dichter zunächst ein Gräuel, aber im Laufe der Ermittlungen weckt Marqués in Conde erneut die Leidenschaft fürs Schreiben und die Abneigung des Machos weicht der Erkenntnis, einen wunderbaren, respektablen und eigensinnigen Menschen getroffen zu haben.

In Rückblenden – ein Kunstgriff, den Padura meisterlich beherrscht – erzählt Marqués von seinen bewegten Zeiten, als sein Stern als Dramaturg immer höher stieg, er in Paris mit Jean Paul Satre und Simone de Beauvoir verkehrte und das anrüchige Nachtleben an der Seine genoss. Leider einmal zu viel, denn als ein schwuler Freund von Marqués bei einer nächtlichen Orgie von der Polizei aufgegriffen wird, bekommt die kubanische Botschaft davon Wind. Kaum nach Havanna zurückgekehrt, erfährt auch Marqués, wie die kubanischen Sozialisten mit „dekadenten, bürgerlichen“ Feinden der Arbeiterklasse umgeht: Seine Theatergruppe schließt Marqués aus und er muss schließlich Frondienst in einer Bibliothek leisten. Dennoch brechen die Repressionen nicht seinen Willen, Marqués schweigt und schreibt heimlich, wie er später Conde beichtet, weiter.

Der Kriminalroman als aufklärerisches Instrument – bei Leonardo Padura funktioniert dies wunderbar. Nicht nur sein sehr poetisches Portrait des alternden Dichters Alberto Marqués respektive Virgilio Piñera verleihen diesem Kriminalroman Tiefe und Bedeutung. Es ist auch Paduras klarer und scharfer Blick auf die Unterdrückung von „andersartigen“ Menschen, von Außenseitern in der sozialistischen Gesellschaft Kubas. Ein Kapitel, das gerne in der geschichtlichen Betrachtung vergessen wird, bei Padura bekommt es jedoch Gewicht, Aufmerksamkeit und eine wohltemperierte, durchdringende Stimme. Gerade die Homophobie eines Mario Condo lassen den Roman so real, so echt erscheinen, und seine Wandlung, sein Blick hinter die Fassaden der Transvestiten auf die Menschen machen diesen Roman zu einem bewegenden Stück Kriminalliteratur. In den geschminkten Gesichtern der Ausgestoßenen und Verwunschenen spiegelt sich auf erschreckende, schmerzhafte Weise die Absurdität des kubanischen Machismo und die Menschenverachtung des sozialistischen Systems. Paduras Verdienst kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Leonardo Padura: Labyrinth der Masken : Das Havanna-Quartett »Sommer« / Aus dem kubanischen Spanisch von Hans-Joachim Hartstein. Mit einem Nachwort von Thomas Wörtche.
Zürich : Unionsverlag, 2005
ISBN 3-293-00323-0
(metro – Spannungsliteratur im Unionsverlag)

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