Munteres Geplapper

vom Krimiblogger

Carlo Fruttero: Frauen, die alles wissen

Er habe genug gehabt “von all den Commissari und Carabinieri” – so wird der italienische Autor Carlo Fruttero im Klappentext zu seinem aktuellen Roman “Frauen, die alles wissen” zitiert. “Auf dem Krimi-Genre lasten so viele Klischees, dass man neue Wege gehen muss” behauptet der 81-jährige Schriftsteller, der einst zusammen mit seinem Kollegen Franco Lucentini so doppelbödige und spannende Kriminalromane wie “Die Sonntagsfrau”, “Wie weit ist die Nacht” oder “Die Wahrheit über den Fall D.” verfasst hat. Lucentini starb 2002, nun also schickt sich Fruttero alleine an möglichst neue Pfade im Krimi-Genre zu beschreiten. Seine Weggefährtinnen: Zunächst sieben, später dann acht Frauen, die alle etwas zu dem Mordfall an der jungen Rumänin Milena Masserano zu sagen haben.

In Frutteros Roman haben diese Frauen alle ihre eigene, individuelle Stimme: Die Hausmeisterin Covino, die die Leiche der jungen Milena in einem Straßengraben entdeckt hat, die Barbesitzerin Mara, die ebenfalls am Fundort der Leiche gesehen wurde sowie die Carabiniera Rita, die sich in der männerdominierten italienischen Polizei durchkämpfen muss und in dem Fall der Toten ermittelt. Dabei gerät auch die angeheiratete Familie von Milena ins Visier der Polizistin und auch hier reihen sich einige Damen ein, die etwas zu sagen haben: Camilla, Tochter eines angesehenen Bankiers, mit dem die tote Milena verheiratet war. Außerdem Beatrice, eine Freundin des Hauses und – wie sich später herausstellt – Geliebte des Bankiers. Dazu kommen noch eine Fernsehjournalistin, die für ein Boulevard-TV-Magazin allzu gerne im Dreck anderer Leute wühlt und Lucia, eine ehrenamtlich Mitarbeiterin eines kirchlichen Rehabilitationszentrum, in dem die ermordete Milena einst Zuflucht gefunden hatte. Denn Milena hatte in ihrem kurzen Leben das Schicksal erlebt, dass leider vielen Frauen aus dem ehemaligen Ostblock widerfährt, wenn sie sich auf den Weg in den angeblich gelobten Westen machen: Sie ging auf den Strich.

Lucia und ihre Kollegen vom Rehabilitatinoszentrum schafften es, Milena von der Straße zu holen und als Kindermädchen in die vornehme Bankiersfamilie zu vermitteln – natürlich ohne etwas über Milenas Vergangenheit als Prostituierte zu verraten. Zu dumm, dass ausgerechnet auf ihrer pompösen Hochzeit mit dem Bankier ihr ehemaliger albanischer Zuhälter hereinplatzt und Milena als Nutte beschimpft. Der Skandal in der feinen Turiner Gesellschaft ist perfekt. So perfekt, dass offenbar nur ein Mord die Schande tilgen kann und die Tote so aufgefunden wird, als sei sie gerade vom Anschaffen gekommen. Je mehr die sieben Frauen über Milena, den Mord und seine Vorgeschichte sprechen, desto mehr kommt scheinbar Licht in die Sache – bis eine geheimnisvolle achte Frau (fast) alles über den Haufen wirft.

Kein Erneuerer

Die neuen Wege, die Fruttero beschwört, sucht man in seinem Roman “Frauen, die alles wissen” vergebens. Einen Mordfall und seine Aufklärung aus mehreren Perspektiven zu betrachten und zu erzählen mag kein ausgetrampelter Pfad sein, eine wirklich neue Richtung schlägt der italienische Autor damit aber auch nicht ein. Immerhin schafft es Fruttero seinen acht Frauen durch innere Monologe einprägsame, eigene Stimmen zu verleihen – allerdings führen diese Monologe durch schnelle Perspektivwechsel und kurze Kapitel zu einer richtungslosen Kakophonie. Oder um es kurz zu sagen: Acht Frauen plappern und schnattern munter durcheinander. Das ist ganz amüsant, sicher aber keine literarische Offenbarung. Zudem lässt nicht nur dieses Geplapper den Roman eher blass erscheinen. Es ist vor allem auch Frutteros Plot, der schlichtweg viel zu dünn und dürftig ist. Eine ehemalige Prostituierte, die durch eine Hochzeit in die feine Gesellschaft aufsteigt und dadurch Neid und Begehrlichkeiten bei anderen Frauen weckt, ist auf der kriminalliterarischen Landkarte nun wirklich ein platt und breit getrampelter Weg.

Man kann nur mutmaßen: Vielleicht hat Carlo Fruttero durch den Tod seines ehemaligen Schreibpartners etwas die Orientierung oder den Schwung verloren, was verständlich wäre. Immerhin hat das Duo mehr als 20 Bücher innerhalb von fast vier Dekaden veröffentlicht. Das literarische Gewicht, das zeigt der aktuelle Roman, ist auf jeden Fall geringer geworden. Ein Erneuerer der Kriminalliteratur ist Carlo Fruttero heute nicht mehr.

Carlo Fruttero: Frauen, die alles wissen / Aus dem Italienischen von Luis Ruby. – München : Piper, 2008
ISBN 978-3-492-05139-2

Originalausgabe: Carlo Fruttero: Donne informate sui fatti. – Mailand : Arnoldo Mondadori Editore S .p.A., 2006

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