Abschiedsvorstellung

vom Krimiblogger

Vita NuovaMagdalen Nabb: Vita Nuova : Guarnaccias vierzehnter Fall

Er ist eine dieser Krimifiguren, die einem über die Jahre ans Herz wachsen: Maresciallo Salva Guarnaccia, der die kleine Carabinieri-Station im Palazzo Pitti in Florenz leitet. Der Mann aus Sizilien, den seine kranke Schwester als „Tyrann von Syrakus“ aufzieht, ist in seinem vierzehnten Fall „Vita Nuova“ weit davon entfernt, ein Despot zu sein. Guarnaccia hat es mit dem Mord an einer Tochter einer wohlhabenden Familie zu tun. Ein Mordfall, der zunächst ausschaut wie ein aus dem Ruder gelaufener Raubüberfall, bei dem sich dann allerdings die heile Welt der Familie des Opfers als leicht bröckelnde Fassade herausstellt. Ein Fall, bei dem sich der Traum von einem „neuen Leben“, wie es der Titel verspricht, gleich bei mehreren Figuren als Trugschluss herausstellt.

Der Tod steht am Anfang: In einer noblen Villa auf den Hügeln über Florenz wird die Leiche von Daniela Paoletti gefunden. Die junge Frau ist durch mehrere Schüsse ermordet worden. Mutter und Schwester der Toten stehen fassungslos vor der Bluttat, der Vater des Opfers, Signor Paoletti, liegt zur Tatzeit im Krankenhaus. Ein verunglückter Raubfall – daran glaubt auch der an den Tatort geeilte Staatsanwalt De Vita. Doch dann kommen dem melancholischen Maresciallo erste Zweifel. Vor allem der Journalist Nesti, der sich Zutritt zur Villa der Familie Paoletti verschafft hat, führt Guarnaccia auf neue Fährten. So soll der Hausherr Paoletti einst ein Zuhälter gewesen sein. Mittlerweile habe er sich zwar auf eine seriöse Personalvermittlung spezialisiert, schon bald jedoch führt Nesti den Maresciallo in einen zwielichtigen Club und in ein Stundenhotel, in denen Paoletti immer noch das Sagen hat. Nicht nur das: Seine Vermittlungsagentur bietet ihm offenbar einen guten Denkmantel für florierenden Menschenhandel. Junge Frauen aus Osteuropa, die sich ein neues, wohlhabendes Leben im Westen erhoffen, werden von Paolettis Schergen als Prostituierte missbraucht. Vielleicht könnte also die Mafia – ob nun russisch oder italienisch – dem Menschenhändler, der nach außen den braven Bürger spielt, ein Denkzettel verpasst haben.

Als der Maresciallo weiter forscht, stellt sich heraus, dass sich unter den Kunden Paolettis auch ehrenwerte Herren der Florentiner Gesellschaft befinden. Guarnaccia wird die Sache zu heiß â€“ und das liegt nicht nur an der brütenden Augusthitze in Florenz. Er sorgt sich ernsthaft um sich und seine Familie, die zu allem Unglück gerade auch noch seine krebskranke Schwester auf Sizilien besucht und versorgt. Mit sorgenvollem Blick in die Zukunft reicht der Maresciallo seine Kündigung bei der Armee ein. Er grübelt darüber nach, wie ein “neues Leben” für ihn und seine Familie aussehen könnte. Allerdings hat er nicht mit seinem Vorgesetzten gerechnet, der Guarnaccia einen Strich durch seine Pläne macht.

Alltägliche Dramen

Magdalen Nabb by Ludger Menke Nabbs vielschichtiger Roman, der sich als tragische Familiengeschichte, als unaufgeregter und dennoch spannender Kriminalfall und zugleich auch als Porträt florentinischer Gegensätze lesen lässt, spielt auch auf Dante an. “Vita Nuova” heißt das Jugendwerk des großen Dichters aus Florenz, in dem dieser seine Liebe zu Beatrice besungen hat. Es ist die Liebe, die ihm ein “neues Leben” schenkt – und durch den Tod der Geliebten auch wieder nimmt. Bei Nabb hingegen versiegt das „neue Leben“, bevor es überhaupt beginnen kann. Junge Frauen aus Osteuropa, die als Sexsklavinnen enden, eine Frau aus reichem Hause, deren Träume mit dem Tod enden oder ein grübelnder Maresciallo, der sich um seine Familie sorgt – ihnen allen scheint ein „neues Leben“ nicht vergönnt zu sein.

Einfühlsam schildert Magdalen Nabb die Geschichte ihres Maresciallo, einem kantigen Menschenskenner, einem Zuhörer. Er ist einer, bei dem sich ältere Damen über verschmutzte Gullis beschweren. Die angeblich großen Verbrechen – Mafia, Menschenhandel, Mord – werden bei ihr auf grandiose Weise herunter gebrochen auf das, was sie wirklich sind: alltägliche, menschliche Dramen. Nabbs wunderbare Beobachtungsgabe und ihr lakonischer Schreibstil bewahren sie davor, in Kleinbürger-Romantik abzugleiten. Nabb war – wie ihr Maresciallo – eine gute Zuhörerin, die ihre Geschichten aus der Wirklichkeit bezog und die sie in eine glaubwürdige, kriminalliterarische Geschichte führen konnte. Ihre Krimis sind keine “Reißer”, keine aufgepeppten Psycho-Schocker, es sind anschaulich erzählte Geschichten aus dem Leben. Dies gilt besonders für “Vita Nuova”, in dem sich die Thematik von Anfang und Ende, Neubeginn und Abschied in vielen glanzvollen entworfenen Facetten wie ein roter Faden durch die Geschichte zieht, die übrigens mit einer weiteren Toten endet.

Besonders traurig stimmt jedoch, dass dieses Buch sehr wahrscheinlich der letzte Roman von Magdalen Nabb ist. Die Autorin starb im August 2007 im Alter von 60 Jahren in Florenz. Somit ist – so makaber es klingt und sofern es nicht noch Entdeckungen im Nachlass gibt – das „neue Leben“ zugleich die Abschiedsvorstellung des Maresciallo. Als Trost bleiben uns vierzehn wundervoll erzählte Kriminalromane und darüber hinaus die Erinnerung an ein großartige Autorin.

Magdalen Nabb: Vita Nuova : Guarnaccias vierzehnter Fall / Aus dem Englischen von Ulla Kösters. – Zürich : Diogenes, 2008
ISBN 978-3-257-86168-6

Originalausgabe: Magdalen Nabb: Vita Nuova. – New York : Soho Press, 2008.
ISBN 978-1-56947-493-8

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Links:
→ „Es ist nicht wahr“ – Eine Begegnung mit Magdalen Nabb (Interview vom April 2006)
→ Rezension von „Eine Japanerin in Florenz“
→ Florenz mit Maresciallo Guarnaccia (Interaktive Karte beim Diogenes-Verlag)