Butter bei die Fische
vom Krimiblogger
Jetzt wird es drollig. Reaktionen auf → diesen Artikel von Thomas Wörtche. Der wird von uns Lesern, wie der gute dpr wieder einmal feststellt, → nicht richtig gelesen. Ein solcher Vorwurf kommt ja nicht das erste Mal aus dem Saarland. Wir können einfach nicht richtig lesen! Wir sind zu dusselig folgenden Kernsatz und Kernaussage aus Wörtches Aufsatz herauszufiltern:
»… aber hardboiled ist und bleibt eine Einstellung zur Welt.«
Eine Aussage, die in dieser Kürze eben umstritten sein kann, was der Sinn einer Glosse ist oder sein sollte. Vor allem aber kann sie in dem von Wörtche gesetzten Kontext schlicht missverständlich sein. Denn „hardboiled“ wurde und wird auch als Bezeichnung für ein „Subgenre“ benutzt. Das mag falsch sein, allerdings weiß jeder ernstzunehmende Kritiker um die Schwierigkeiten und Stolperfallen der Genre- und Subgenre-Definitionen und wie sinnvoll oder wie unsinnig sie sein können. Dementsprechend vorsichtig sollte er damit als Autor umgehen. Darum vernebelt auch der Nachsatz » Blutströme reichen da nicht, postmodernes Gezappel à la David Peace genauso wenig wie ästhetisch karg vermittelte gesellschaftspolitische Regression.« mehr, als er wirklich erhellt. Welche Autoren/Romane vermitteln zum Beispiel ästhetisch karg gesellschaftspolitische Regression? Oder wie sagt man bei uns im Norden: Butter bei die Fische!
Es mag ja sein, dass wir alle zu dumm sind, den rapiden und rasanten Ausführungen zu folgen. Bedenklich finde ich allerdings, dass Thomas Wörtche mittlerweile einen Exegeten braucht, damit ihn das gemeine Krimivolk versteht. Wie wäre es mit Texten, die dort gekonnt verkürzend sind, wo es zum Thema passt und wo die Schwerter so scharf sind, das sie trotzdem stechen. Wo aber solche Texte klare Aussagen treffen wollen, sollten sie dies auch deutlich und unmissverständlich tun. Denn es ist nicht immer der Leser, der versagt.
Kommentare
Ja, Ludger, jetzt wirds drollig. Erstens: TW braucht keinen Exegeten. Zweitens: Ich bin auch gar keiner. Drittens: Seit wann bedeutet „Subgenre“, dass etwas festgeschrieben ist und sich nicht mehr entwickeln darf? Viertens: Man muss nicht groß exegetisch tätig sein um festzustellen, dass TW den Begriff „retro“ im Zusammenhang eines ahistorisch festgeschriebenen Genrebegriffs verwendet. Oder noch deutlicher: Ein längst überholter Status von Hardboiled feiert als endgültige, nostalgisch verbrämte, beliebig reproduzierbare Definition fröhliche Urständ. Und sobald dies mal jemand sagt, beginnen die Kinderchen mit den Fingerchen zu zeigen: Dududu hast doch auch so’n alten Krempel rausgegeben! Keine Differenzierung, kein gar nichts mehr. Schade. Eine (durchaus kontroverse) Diskussion beispielsweise um die Weiterentwicklung von hardboiled, wie sie der zitierte Satz von TW nahelegt, findet aus lauter Eingeschnapptheit wieder mal nicht statt.
bye
dpr
Hast Du, mein Lieber, bei mir irgendwo gelesen, dass ich TW vorwerfen würde, er hätte alten Krempel herausgegeben? Du solltest nicht etwas lesen, was ich gar nicht geschrieben habe (mal die andere Variante). Was ich bei Wörtche kritisch sehe, ist, dass er auf einer Ebene formuliert und dann – entschuldigung – fahrlässig mit „unscharfen“ Begriffen um sich wirft, diese aber gleichzeitig neu/anders besetzten / erweitern / modifizieren will. Das kann eine solche Glosse nicht leisten, das kann nicht gut gehen – dazu bedarf es einfach eines längeren Textes. Das sollte ihm – der zu Recht ja immer auf die Schwierigkeiten der Genredefinitionen hinweist – eigentlich klar sein, dass er dies nicht mit einem so verkürzten Text leisten kann. Aufgrund eines solchen – begrifflich verwirrenden und verwirrten – Textes kann keine ernsthafte Diskussion um eine Weiterentwicklung von hardboiled entstehen.
Liebe Grüße
Ludger
Und ein kleiner Nachsatz sei mir erlaubt: Eine kontroverse Diskussion setzt voraus, dass man unterschiedlichen Lesern unterschiedliche LesARTEN und Verständnisse zubilligt und ihnen nicht immer sagt, sie hätten nicht richtig gelesen. Es gibt nämlich kein „richtiges“ Lesen.
Liebe Grüße
Ludger
Nein, Ludger, sorry: Nicht bei dir steht das mit dem alten Krempel. Aber ich sehs halt jetzt mal alles in einem. Dass Glossen gerade bei solchen Themen missverständlich sein können: okay, is so. Nun sehe ich aber nicht, wo TW etwas „neu definiert etc“ hätte. Er wendet sich gegen einen „Retrotrend“ und sagt auch, warum. Und das ziemlich deutlich. Würde man bei HCC vergriffene Klassiker des Hardboiled veröffentlichen – ausschließlich veröffentlichen, die Reihe wäre durchaus lobenswert. Das Problem sind die aktuellen Nachahmer. Ich hab ja nichts dagegen, wenn man etwa Bruen / Starrs „Flop“ oder Guthrie witzig findet. Ich hatte persönlich nur nach wenigen Seiten wieder mal die Nase voll von diesem Abnudeln anachronistischer Musterlein. Im Grunde diskreditieren solche Sachen das gesamte Subgenre als harmlose Spielwiese.
bye
dpr
Richtig, Ludger. Jedenfalls kein richtiges Lesen im falschen.
bye
dpr
Ich kann Wörtches Kritik an Guthrie oder Bruen/Starr zwar nachvollziehen, allerdings teile ich sie so nicht. Das ist in meinen Augen ein Spielen mit dem „Genre“ oder mit „Genregrenzen“. Wenn es halt Blümchentapete ist, meintewegen. Am Wochenende rannten hier wieder Hunderttausende zu Schlagern und in Schlaghosen über den Kiez – da muss man sich dann entweder reinwerfen, den Verstand kurz abschalten und drin suhlen, oder einen großen Bogen drum machen. Ähnlich ist das mit diesen „hardboiled“-Dingern von Bruen/Starr.
Natürlich liegst Du und liegt auch TW richtig damit, wenn es darum geht, Definitionen, wie Du es so schön formuliert hast, nach zu justieren. Dein „Langwellen“-Artikel veranschaulicht das sehr schön. Genau so etwas fehlt mir manchmal bei Wörtche – die Plastizität, die er, wie ich finde, seiner verkürzenden, rabiaten Art oder manchmal auch der akademischen Art opfert. Deine Texte sind oft viel „greifbarer“, „plastischer“ und dadurch – nach meiner Lesart – „verständlicher“.
Liebe Grüße
Ludger
Ist schon ein bisschen witzig, diese ganze Geschichte. Da laufen Titel unter Hard Case Crime, die pauschalisiert als „hardboiled“ in die Schublade gepackt werden (von Verlegern, Herausgebern, Kritikern anyway). So lange ist es noch gar nicht her, dass auch der Terminus Brit- oder Tartan-Noir Verwendung gefunden hat, deutlich mehr in Anlehnung an Derek Raymond und McIlvaney denn an Mickey Spillane. Was passiert, wenn wir den so gescholtenen Peace zu den Brits packen? Und den Guthrie auch? Und sagen, dass ein Brit-Noir hardboiled sein kann, ein Hardboiled aber eher auf Spillane zurückgeht denn auf Raymond?
Und vor allem: Was kümmert es den Leser oder Kritiker, was der Verlag an Lizenzkosten zahlt?
Ich gebe Ludger recht, das ist alles sehr über einen Kamm geschert und „schlecht gemacht“ ohne Erläuterung vielleicht nicht wirklich aufklärend.
Noch einen: Für eine Glosse fehlt mir in Wörtches Text der Humor – oder ich erkenne ihn nicht.
Als mir neulich in einem anderen Zusammenhang der Begriff „Torture Porn“ über den Weg lief, hab‘ ich mich kurz gewundert und gedacht „Wieder mal was, was Du nicht mitgekriegt hast“. Letztlich sind dies Etiketten, die immer wieder abblättern oder verrutschen. Mal von außen verändert, mal weil sie sich überlebt haben. Da liegt dpr, wie gesagt, sehr richtig. Und für „hardboiled“ lassen sich sicher in diversen Lexika unterschiedliche Definitionen finden.
Ich habe in dem Text unterschwellig eine gewisse Verärgerung gelesen. Ich vermute (!) das TW schon ein wenig verärgert war, dass er in der Vorschau als Pressestimme ausgerechnet bei Spillane herangezogen wird. Das ist entweder unsensibel oder eine kleine, gezielte Spitze. Ich mag mich aber auch ganz täuschen und dem guten Wörtche geht das am Allerwertesten vorbei.
Naja, und Humor, lieber Lars, der ist bei Wörtche, glaube ich, sehr speziell 😉
Liebe Grüße
Ludger
Du unterstellst da dem guten TW ein wenig Unsachlichkeit in der Argumentation, oder? 😉
Nein, ich vermute ja nur. Ich war jedenfalls verwundert, als in der Rotbuch-Vorschau sein Name auftauchte. Unsachlichkeit? Nein, berechtigter Ärger, würde ich mal sagen.
Liebe Grüße
Ludger