Platzpatrone: Gefährliches Vakuum

vom Krimiblogger

Der Chinese von Henning MankellHenning Mankell: Der Chinese

Einen neuen Roman von Henning Mankell zu rezensieren lohne sich eigentlich nicht – diese Meinung vertreten einige Kritiker. Schließlich hat → Jan Christian Schmidt schon vor einigen Jahren festgestellt, dass Mankells Prosa “furztrocken“ und die Plots “bis zur Schmerzgrenze unplausibel“ seien. Es handle sich bei Mankells Büchern um nichts anderes als “Trivialliteratur für sozial-romantische Bedenkenträger… “. Obwohl dieses – aus meiner Sicht richtige – Urteil schon 2001 gefällt wurde, trifft es auch weitgehend für die nachfolgend erschienen Kriminalromane des Schweden zu. Warum also sollte man sich Gedanken über sein neuestes Werk mit dem Titel “Der Chinese“ machen? Der Grund liegt in der fatalen Wirkung, die das Werk von Henning Mankell auf die Wahrnehmung von Kriminalliteratur hierzulande leider und immer noch hat. Entscheidender ist aber das Schweigen über dieses Buch.

Da schreibt ein 60-jähriger Autor über ein Massaker in einem schwedischen Kaff und zieht diesen Massenmord bedeutungsschwanger auf die große globale und geschichtliche Ebene. Der Mord an 19 Menschen, darunter ein Kind, als vorläufiger Höhepunkt einer zwangsläufigen Entwicklung, die schon vor über einem Jahrhundert mit der Ausbeutung von chinesischen Sklaven beim Bau der Eisenbahn in den USA sowie bei der Unterdrückung des chinesischen Landvolkes durch die Mandarine begonnen hat. Mit der üblichen Unglaubwürdigkeit lässt Mankell seine Protagonistin, die Richterin Birgitta Roslin, Nachforschungen anstellen, die sie von Schweden bis nach Peking führen. Grund für ihre Recherche, die vom Autor mit jenem diffusen Gefühl von permanenter Beunruhigung begleitet wird, sind die Pflegeeltern ihrer Mutter. Denn sie sind unter den Opfern des Massakers.

Ein von Roslin zufällig gefundenes Tagebuch schafft die dürftige Verbindung zum chinesischen Erzählstrang, der im Jahre 1863 mit drei Brüdern beginnt, die der Armut ihres Dorfes entfliehen wollen, ins großstädtische Kanton gelangen und dort von Häschern gekidnappt und anschließend als Sklaven in die USA verschifft werden. Nur einer der drei Brüder kann nach Jahren wieder chinesischen Boden betreten. Er ist der Vorfahre der Geschwister Hong Qui und Ya Ru, die im heutigen, modernen China leben. Hong Qui ist eine hohe Beamtin und Kader der kommunistischen Partei Chinas. Sie ist als Traditionalistin eng der Lehre Maos verhaftet. Ihr Bruder Ya Ru hingegen ist einer dieser jungen Männer, denen nach der wirtschaftlichen Öffnung Chinas jegliche moralische, philosophische oder religiöse Orientierung abhanden gekommen ist. In ihm personalisiert sich der Raubtierkapitalismus chinesischer Prägung – weil weder Mao noch Moral eine Grenze setzten. Entsprechend verfechtet Ya Ru, wie uns Mankell in einer unendlich langweiligen Abhandlung erklärt, einen modernen Kolonialismus.

Millionen von chinesischen Bauern sollen nach Simbabwe und ins benachbarte Mosambik umgesiedelt werden, um so die sozialen Spannungen im chinesischen Mutterland unter Kontrolle zu bekommen. Damit schafft Mankell auch gleich den Bogen zu Afrika und der – aus westlicher Sicht – unheilvollen oder bedrohlichen Zusammenarbeit zwischen China und vielen Ländern Afrikas. In Mosambik erfüllt sich dann auch das Schicksal der Chinesin Hong Qui, die während einer Reise von ihrem Bruder heimtückisch ermordet wird. Doch Hong Qui, die auch Birgitta Roslin während ihres Peking-Aufenthalts kennen gelernt hatte, hat Nachrichten an ihre Nachwelt hinterlassen. Das blutige Schicksal der Familie endet schließlich in London, wo der Sohn Hong Quis Rache für den Tod seiner Mutter nimmt.

Ein Schlag ins Gesicht

Wenn es um die Auswirkung von Politik auf die einfachen Menschen geht, wenn die Folgen von Machtmissbrauch, Korruption und Krieg dargestellt werden sollen, die sie auf normale Bürger haben, dann bedarf es des großen Epos, in dem Familiengeschichte mit historischen Ereignissen verwoben wird – und leider scheitern Schriftsteller oft daran. Henning Mankell setzt allerdings noch etwas darauf: Eine unverhohlene und grässlich belehrende politische Botschaft, die er penetrant in seine hochgequirlte Geschichte mischt: Es lebe der humane Maoismus. Was vom Verlag als “internationaler Thriller“ verkauft wird, ist im Grunde eine staubtrockene politische Streitschrift, die zudem – wie üblich bei Mankell – in einem grauenvoll schlechtem Stil verfasst wurde, der im besten Falle lächerlich wirkt, im schlimmsten Fall ein Schlag ins Gesicht jedes Lesers ist, der von einem Roman einen guten, einen passenden oder doch zumindest grammatikalisch richtigen Stil erwartet. Was Autor, Übersetzer und Lektorat hier abliefern (einige Beispiele aus den ersten Kapiteln finden sich → hier, es sind keine Einzelfälle) ist eine Frechheit, für die jeder Leser sein Geld zurück verlangen sollte.

Wie aber reagiert das deutsche Feuilleton auf diesen gedruckten Müll? In der → Frankfurter Rundschau wird der Roman mit der hohlen Phrase “Mehr als ein Krimi“ angepriesen. In der → Süddeutschen Zeitung kritisiert Martin Bauer – Mitarbeiter am Hamburger Instituts für Sozialforschung (!) – immerhin die politische Botschaft des Romans, geht aber kaum auf stilistische und erzählerische Elemente ein. Ein „Glanzstück“ deutscher Krimikritik ist die Meinung von Kerstin Strecker in der → Welt. Dort darf man dann solche Aussagen lesen: “Mankells Bücher sind immer auch sozialkritisch, und Der Chinese bildet da, schon ob des Themas, keine Ausnahme. Allein die Schilderung der fünfstündigen Rede eines hohen chinesischen Parteifunktionärs zum Engagement seiner Regierung in Afrika und die Überwachung der Richter Birgitta bei ihrem Besuch in Peking sind beklemmend zu lesen.“ – Wirklich beklemmend ist es, wie es ein Romanautor schafft über so viele Seiten langweilige Propaganda zu schreiben.

Angesichts solcher Kritiker-Dummheit wundert es nicht, dass Der Chinese schon seit einigen Wochen auf den oberen Rängen der SPIEGEL-Bestsellerliste vertreten ist. Wenn literarischer Müll den Segen des Feuilletons bekommt, greift man gerne zu – und wacht nach der Lektüre mit einem Lesekater auf. Schlimmer jedoch das beredete Schweigen all jener großen Krimikritiker, die es natürlich nicht nötig haben, sich irgendwie zu diesem Machwerk zu äußern. Warum auch? Das Argument, Zeitungen, Magazine, Radio- und TV-Sender bevorzugen eben positive Kritiken und haben halt nicht soviel Platz, ist schnell bei der Hand. Dabei ist dies das Dämlichste, was ein ernsthafter Kritiker von sich geben kann. Verschweigen Welt, Zeit oder Deutschlandradio Kultur demnächst auch jegliche Katastrophen, weil es keine “guten“ Nachrichten sind? Die Nichtreaktion auf diesen Dreck zeigt vor allem auch, wie beschränkt der Horizont der deutschsprachigen Krimikritik ist.

Nicht zu vergessen, dass sich ein solches Vakuum von mehr oder minder gewieften PR-Künstlern schnell füllen lässt: Zum Beispiel mit der Einschätzung, wenn es im Kriminalroman um Politik gehe, dann sei das irgendwie gut und wertvoll, gar realistisch. Das ist dann ernsthafte Literatur, weil sie sich mit wichtigen und komplexen Dingen beschäftigt. Man könne ja anderer Meinung als Herr Mankell sein, aber es gäbe doch Denkanstöße zum Zustand der Welt. Das ist bequem. So bequem, dass man sich mit den realen Gegebenheiten in China, in Simbabwe oder in Schweden nicht weiter beschäftigen muss. Es gibt ja Henning Mankell – der nebenbei ganz geschickt das Interesse an den bevorstehenden Olympischen Spielen in Peking ausschlachtet. Von seiner Verklärung des Machthabers Robert Mugabe, die sich ebenfalls in diesem Roman findet, ganz zu schweigen. Ich finde so etwas nur widerlich.

Henning Mankell: Der Chinese / Roman. – Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt. – Wien : Zsolnay, 2008
ISBN 978-3-552-05436-3

Originalausgabe: Henning Mankell: Kinesen. – Stockholm : Leopard, 2008

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