Wer war’s?
vom Krimiblogger
Es gibt einen Satz in Thomas Wörtches aktueller Glosse → „Was hilft, viele Bücher zu verkaufen?“, der das akute Dilemma der deutschen Krimiwelt auf den Punkt bringt:
»Denn die hunderten von „neuen“ deutschen Autorinnen und Autoren aus dem Regionalsektor, die Retro-Manie, die Kombi-Manie (…) die ganze wahnsinnige Überproduktion funktioniert ja u.a. auch, weil die qualitativen Warnsysteme außer Kraft sind.«
Das ist ein wahrer Satz. Bis diese Aussage im Text fällt, folgt man zunächst ausführlichen Erläuterungen über die Werbung und Ausrichtung von Texten ans nebulöse Zielpublikum, das ja leider oft nicht so will, wie es Verlage, Autoren und Kritiker gerne hätten. Nun wollen diese vielen Sätze eigentlich nur eines sagen: Werbung ist Werbung. Und sie tut das, was Werbung immer tut – potentielle Kunden, in diesem Fall Leser und Leserinnen, umwerben, zum Kauf des Produktes – hier ist es der „Krimi“ – animieren. Erkenntnisgewinn und Neuigkeitswert halten sich bei diesen langen Ausführungen in Grenzen.
Die folgenden Abschnitte über den Verlust jeglicher Qualitätsunterschiede bereiten den entscheidenden Nebensatz vor: „… weil die qualitativen Warnsysteme außer Kraft sind.“
Ein kluger Leser dürfte sich an dieser Stelle fragen, wen oder was Wörtche denn mit den „qualitativen Warnsystemen“ meint? Den Finger richtet er jedenfalls nicht auf die, auf die er eigentlich gerichtet werden müsste. Wörtche findet bequeme, weil inadäquate, Schuldige: Die Autoren der „→ Krimi-Couch.de“, die „mit Pseudokritiken die Illusion von Kompetenz verbreiten“ und der Blogger, der „Pseudokritiken grammatisch unsicher aus fremden Text- und Denkmilieus verständnislos“ zusammenstückelt – wahlweise auch in der Variation des feingeistigen Mediziners, „der Wortfolgen, die er vermutlich in einschlägigen Werken zur Genretheorie aufgeschnappt hat, mit großer Geste und keiner Ahnung reproduziert und sich so literaturwissenschaftlich zu argumentieren wähnt.“
Natürlich kann man als gestandener und erfahrener Kritiker wunderbar auf die „Rezensionen“ der „Krimi-Couch“ hinabschauen und einprügeln. Dort schreiben (nach der → Auskunft des Krimi-Couch-Herausgebers Lars Schafft) zwei festangestellte und etwa 50 frei Mitarbeiter(1) die Kritiken – da wird schon der Richtige, zur Not auch alle, die Schläge abbekommen. Das die Texte bei der „Krimi-Couch“ durchaus qualitativ unterschiedlich sind, dürfte eigentlich auch Thomas Wörtche nicht entgangen sein. Nein, und ich rede jetzt nicht vom Forum auf der angesprochenen Seite.
Dann sind da natürlich noch die Blogger, von denen es im deutschsprachigen Bereich gar nicht so viele gibt. Mir ist der sich als „abgebrühter Profi ausgebende unbedarfte Krimiliebhaber“ oder der „feingeistige Mediziner“ jedenfalls noch nicht über den Weg gelaufen – und ich traue mir zu, einen guten Überblick über die deutschsprachige und eher kleine Krimiblog-Szene zu haben.
Wörtche greift hier die Schwächsten in der Kette der kriminalliterarischen Multiplikatoren an. Wen er aber interessanterweise völlig ausspart und nicht mit einem Wort erwähnt – das sind seine Kolleginnen und Kollegen. Die „großen“ Kritiker – die, die für „Welt“, „Zeit“ und „Frankfurter Rundschau“ schreiben, die man bei „NDR“, „HR“ und „Deutschlandfunk“ hören kann. Leute, die angesichts der Reichweite ihrer Medien weit mehr Einfluss haben (oder dies zumindest glauben), als die „Krimi-Couch“-Autoren oder Blogger. Diejenigen, die unter anderem in der Jury der KrimiWelt-Bestenliste sitzen. Sie wissen nicht, wer dazu gehört? → Hier sind sie zum Beispiel aufgezählt.
Und da ich nicht alle über einen Kamm scheren möchte, frage ich mich nur, welche besondere kritische Leistung in Bezug auf Kriminalliteratur etwa ein Volker Albers, eine Michaela Grom, ein Hendrik Werner oder eine Margarete von Schwarzkopf vorweisen können? Ein paar Rezensionen genügen wohl kaum den hohen Anspruch von Thomas Wörtche, ein „qualitatives Warnsystem“ zu sein. Wo sind die all notwendigen kritischen Stimmen im deutschsprachigen Feuilleton? Wo finden sich – statt der ewigen Lobhudeleien – die fundierten und qualitativ guten Verrisse? Wo sind die lesenswerten Kritiken? Wo ist der kompetente Krimikolumnist bei „Spiegel“, „FAZ“ oder „RBB“? Und wo ist eigentlich die deutschsprachige Literaturwissenschaft? In Bezug auf Kriminalliteratur ist sie so gut wie nicht existent.
Was aber noch entscheidender ist: Während sich „Krimi-Couchler“ und Blogger offen dem Diskurs, der Kritik und dem Gespräch über Kriminalliteratur stellen, verweigern die „großen“ Kritiker genau diesen Diskurs. Natürlich kann man sich leicht über die Qualität der Diskussionen, etwa bei der „Krimi-Couch“, lustig machen. Immerhin existieren dort Ansätze zum Gespräch. Die „großen“ Kritiker hingen spucken ihre Texte wie Autisten in die Welt und scheren sich einen Dreck um Reaktionen. Öffentlich zugängliche Diskussionen? Fehlanzeige. Und selbst ein Thomas Wörtche bietet bei seiner neuen Krimi-Kolumne „Samstag ist Krimitag“ beim → „Titel-Magazin“ zwar lesenswerte Beiträge (wenn man sich nicht an diesem furchtbar unruhigen Hintergrund stört, der das Lesen längerer Texte fast unmöglich macht) – aber die Möglichkeit der Interaktion – Kommentare, Forum, Chat, all das, was im Netz eine Diskussion ermöglicht – sucht man dort vergebens. Warum auch? Kriminalliterarische Qualitätskontrolle hat eben – so scheint es – von oben nach unten zu erfolgen. Hier stimmen die Hierarchien noch. Einspruch oder gar Widerspruch des dummen Publikums ist nicht erwünscht.
Mit Dank an → dpr, der den Artikel entdeckt hat.
1.) Die Anzahl der freien Mitarbeiter bezieht sich auf alle vier von der Literatur-Couch GmbH betriebenen Internetportale (siehe Kommentar 1)
Kommentare
Lieber Ludger,
schöne Antwort auf TWs Artikel, zu dem ich keine große Lust habe, mich zu äußern. Ich stimme Dir jedenfalls zu, dass Online-Berichterstattung bzw. -Kritik (leider) nicht den Einfluss hat, den TW uns offensichtlich zugesteht. TV, Funk, Print und vor allem die stationären Buchhandlungen – vor allem die Ketten – können mit Sicherheit eher einen (ungebründeten?) Hype auslösen als wir im Netz.
Regio ist natürlich in der Quantität kein schöner Effekt, aber wo lesen wir denn dazu hochjubelnde Kritiken im Netz? Nicht auf den angesprochenen Seiten. Und von Retro-Manie zu reden, weil ein paar der HCCs oder eine kleine Reihe wie von Frank Göhre Relaunches sind – weiß nicht, ob daraus schon ein Massenphänomen abzuleiten ist.
Gestatte bitte noch eine kleine Korrektur, weil Du auf den Artikel über mich in der WAZ verweist: Die Anzahl an Mitarbeitern ist korrekt, bezieht sich aber auf alle vier Couchen (eben auch Phantastik-, Histo- und Kinderbuch-Couch), nicht nur auf die Krimi-Couch. Ganz so dick drin sind wir vielleicht doch nicht …
Schönes Wochenende!
Lars
Danke, lieber Lars. Auch für die Korrektur bei den Mitarbeitern, das werde ich noch mal kurz erläutern.
Auch Dir ein schönes Wochenende!
Ludger
Hallo Lars,
das ging mir schon beim ersten Text so. Der Text erinnerte mich an einen Henryk-M.-Broder-Text.
Hallo Ludger,
volle Zustimmung zu deinen Zeilen.
Ein friedliches Wochenende wünscht
Axel
Hallo Axel,
bei aller Abneigung gegen die Texte von Henryk M. Broder – der nennt in der Regel Ross und Reiter. TW bleibt bei Personen, die er eigentlich angehen will, unkonkret. Die Angesprochenen mögen sich zwar erkennen, den meisten Außenstehenden bleiben aber seine Andeutungen unverständlich.
Ebenfalls ein friedliches Wochenende
Ludger
Lieber Ludger Menke,
für alle Bestenlistenjuroren und sonstige Kollegen kann ich nicht sprechen, aber aus meinem Alltag als textspu(c)kender Autist heraus vielleicht ein paar Motivationen klarstellen.
Ich lobhudle vorsätzlich. Weil ich nicht glaube, dass sich die Kernlesergruppen bestimmter Retortenprodukte von meinen Missfallensbekundungen irgendwie beeinflussen lassen. Und weil ich vermute, dass Leser, die mit meinen Wertungskriterien halbwegs was anfangen können, wenig davon haben, wenn ich ihnen von den hundert neuen Titeln des Monats vier oder fünf zum Wegstreichen vorschlage. Und mehr davon, wenn ich stattdessen ein paar zur Lektüre empfehle, mit einem hoffentlich verständlichen Hinweis, warum mir dieses Buch lohnend scheint.
Das ist der viel gescholtene Servicejournalismus, gewiss, keine Tätigkeit als „qualitatives Warnsystem“. Wenn mir jemand vorführt, wie er sich die Leser aus Lehm formen und backen kann, die große kritische Essays in dichter Folge noch lesen wollen, sind ihm meine ehrliche Bewunderung und mein Zuspruch zum Weitermachen gewiss.
Was nun die öffentliche Diskussionsverweigerung angeht: man hat als Journalist in den klassischen Medien mit der „großen Reichweite“, also mit der unterstellten Macht zur Meinungslenkung, schlicht das Gefühl ungehöriger Eitelkeit, wenn man sich in Diskussionen im Netz drängt. Man kommt sich vor, als wolle man die Gegenöffentlichkeit, den Widerpart zur eigenen Arbeit, auch noch mitbestimmen, hemmen, einfärben. Man hat ja schon durch einen ziemlichen Verstärker trompetet, lässt also jetzt die zu Wort kommen, denen dieser Verstärker nicht zur Verfügung steht, und hält einfach mal die Klappe.
Dass unsere Hausmedien die Möglichkeit zum Dialog auf den eigenen Plattformen entweder nur spärlich anbieten oder verweigern, nicht richtig begriffen haben, manchmal gar fürchten, das ist fürwahr ärgerlich. Aber das liegt eben nicht in der Verantwortung der einzelnen Autoren.
Schöne Grüße,
tkl
Hallo Ludger,
deshalb „erinnerte“.
Grüße von Metropole zu Metropole
Axel
Lieber Herr Klingenmaier,
vielen Dank für Ihre Reaktion und die Korrektur beim „spucken“. Das sind diese kleinen, peinlichen Fehler, die mir immer wieder im Eifer des Gefechts passieren, bitte entschuldigen Sie.
Ich verstehe Ihre Motivation sehr wohl, aber machen Sie es sich als Kritiker nicht ein wenig einfach, wenn Sie behaupten, Kernlesergruppen bestimmter Retortenprodukte seien nicht (mehr) beeinflussbar? Wohl aber diejenigen, denen Sie nach Ihren Maßstäben „gute“ oder „lesenswerte“ Bücher empfehlen. Warum muss oder soll publikumsnahe Literaturkritik (ich möchte das von der wissenschaftlichen Kritik unterscheiden, die in der Tat ein eher kleines Publikum hat), hier genauer die Kritik von Kriminalliteratur, nur im „positiven“ Sinne funktionieren? Gerade ein Thomas Wörtche tritt da mit seinen sehr guten Texten den Gegenbeweis an.
Das Publikum, das die großen kritischen Essays lesen will, ist sehr wohl vorhanden, allerdings wird es nicht von den großen Zeitungen oder Zeitschriften bedient. Dafür zum Beispiel von Blogs wie Watching The Detectives.
Was die ungleiche „Machtverteilung“ und das Gefühl „ungehöriger Eitelkeit“ angeht – das spricht für sich. Es geht mir übrigens nicht nur um die Kommunikation zwischen Kritiker und Leser – etwas, was durchaus funktionieren kann, wenn man als Kritiker die Fähgigkeit hat, seine Eitelkeit im Zaum zu halten – es geht ja auch um die Diskussion zwischen den einzelnen Kritikern.
Zum Schluss: Es ist auch sehr bequem als Mitarbeiter eines Medienbetriebes immer auf die Verantwortlichen, auf die Chefredaktion oder den Verwaltungschef zu zeigen, die etwa den Dialog auf der eigenen Plattform verweigern. Klar, gibt es, kenne ich aus eigener Erfahrung. Da braucht es dann harte und manchmal auch länger Überzeugungsarbeit. Kein einfacher Weg, er kann sich aber lohnen.
Herzliche Grüße
Ludger Menke
Ich habe ca 3500 Ktrimis deutschsprachiger Autoren (seit Müllner “ Der Kaliber“) im Keller.90 %% taugen nichts und da hat sich seit 1830 nicht viel geändert. Aber Krimileser, die Noll und Schenkl für große Krimiautorinnen halten, haben es nicht besser verdient.Peter
lieber herr menke,
wie ich anderenorts lese, fragen sie sich „nur, welche besondere kritische Leistung in Bezug auf Kriminalliteratur etwa ein Volker Albers, eine Michaela Grom, ein Hendrik Werner oder eine Margarete von Schwarzkopf vorweisen können?“
pinkeln sie bitte die bestallten kritiker nicht dergestalt nassforsch und blödlings an. denn besagte menschen, denen sie, rhetorisch einmal mehr allenfalls bescheiden geschickt, indirekt die lizenz zum kritisieren absprechen, weisen nur und immerhin jene bescheidene leistung vor, eine gottlob einschaltquotengesegnete öffentlichkeit für ein literatursegment zu schaffen, an dem sich eine selbst ernannte gegenöffentlichkeit wie die ihre reiben, abarbeiten und vor allem profilieren kann. ist das nichts, ist das gar nichts? bisweilen hege ich die befürchtung, als ob, zumal unter krimiliebhabern, der schleichende wahn gepflegt würde, man müsse krampfhaft zwischen den reichweitoffiziellen (kolumne, kritik) und den inoffiziellen, semianonymen lesern und website-betreibern unterscheiden. muss man? wollen sie ernstlich meinen job machen? wie weit reicht ihr fachlich fraglos gerechtfertigtes sendungsbewusstsein?
lesen sie, bitteschön, herbert marcuse, den einzig wahren in ihrem sinne subversiv-soziologisch-tauglichen krimigenius. er wird ihnen soufflieren, dass das außerparlamentarische, subversiv gewähnte gemurmle (blog vs. printmedien) auch nur so lange lustig und befriedigend ist, als man sich einbilden kann, man stünde ganz weit und vor allem ganzganz erhaben draußen. um nicht zu fragen: lieben wir nicht alle den nämlichen stoff? und müssen wir einander angesichts von dessen vielfalt wirklich befehden?
die schärfsten kritiker der elche. herzlichbittere grüße – ihr hendrik werner
Lieber Hendrik Werner,
bisweilen hege ich die befürchtung, als ob, zumal unter krimiliebhabern, der schleichende wahn gepflegt würde, man müsse krampfhaft zwischen den reichweitoffiziellen (kolumne, kritik) und den inoffiziellen, semianonymen lesern und website-betreibern unterscheiden.
Wie Öl es meinen Rücken ‚runterläuft.
Herzlich-heitere Grüße