Von der Femme fatal zum Flittchen

vom Krimiblogger

True Crime Detective MagazineEric Godtland: True Crime Detective Magazines 1924 – 1969

Ob sensationslüsterne Nacherzählung möglichst blutiger Verbrechen in so genannten Crime-Dokus oder behäbige Öffentlichkeitsfahndung der Polizei à la “Aktenzeichen XY” – “wahre” Verbrechen sind im deutschen Fernsehen echte Hingucker. Gemeinsam sind diesen Sendungen ihre frühen Vorgänger. Die US-amerikanischen True Crime Detectives Magazine bedienten bereits in den 1920er Jahren die Sensationslust ihrer Leser. Selbst diese Magazine über “wahre” Verbrechen haben ihre Vorläufer, die bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreichen. Der Taschen-Verlag hat jetzt einen eindrucksvollen Bildband vorgelegt, in dem auf über 330 Seiten der Optik der True Crime Detective Magazines gehuldigt wird.

Die Berichterstattung über “wahre” Verbrechen hat ein aufklärerisches und erzieherisches Moment – so sieht es jedenfalls Eric Godtland in seinem Begleittext. Schließlich seien es wahre Verbrechen gewesen, die die ungebildeten Schichten zum Kauf von Zeitungen animiert haben und die sie dazu bewegten, Lesen zu lernen. Dabei gilt die National Police Gazette als die Mutter dieser True Crime Magazine in den USA. 1845 erstmals erschienen, berichtete sie ausführlich über Sexualdelikte, Gewalt und all dem anderen Abschaum der Großstadt. Entscheidend für den Erfolg dieser Hefte waren schon damals die entsprechende Optik. “Wenn sie nicht lesen können, gebt ihnen reichlich Bilder” soll Richard K. Fox, der 1876 die Gazette übernahm, gesagt haben. Freilich kamen die True Crime Detective Magazine erst in den 1920er Jahren auf, durchschritten in den 1930er Jahren ihr “goldenes Zeitalter”, um schließlich in den 1980er Jahren den Niedergang zu erleben.

George Gross OriginalErfolgreich seien diese Magazine mit ihren bunten Covern vor allem deshalb geworden, weil sie schon früh alles unter einen Hut brachten, was wir auch von heutigen Reality-Formaten kennen. Die Magazine streiften das menschliche Laster, “aber nie lang genug, um sich selbst die Finger allzu schmutzig zu machen”. Godtlands Fazit: “Ehe es irgendwann entartete, bot das Detective-Genre eine sichere Warte, von der aus man das menschliche Drama betrachten konnte.” Dabei muss man festhalten, dass der Begriff “Detective Magazin” eher irreführend ist. Detektive oder Polizisten erschienen selten in den Heften. Der Leser selbst wird hier zum Ermittler oder zumindest zum Begleiter des Ermittlers.

Jahrzehnt für Jahrzehnt durchschreitet Godtland eine beachtliche Bildergalerie von Heftcovern. Ausgangspunkt für seine historischen Bildbetrachtungen ist das Magazin True Detective Mystery, dass 1924 erstmals bei Macfadden veröffentlicht wurde. Enthielten diese frühen Magazine teilweise noch fiktive Geschichten, drängten die “realen” Verbrechen die Fiktion immer mehr zurück. Die Motive dieser frühen Hefte erscheinen heterogen: psychopathisch erscheinende Männer, ängstlich dreinschauende Frauen oder hässlich aussehende Gangster zieren die Cover. In den 1930er Jahren kamen dann Bilder von realen Verbrechern wie Al Capone dazu. Frauen blieben zunächst in ihrer Opferrolle, werden von Männern bedroht, festgehalten oder gewürgt. Sie schauen erschreckt und verängstigt den Leser an. Eine entscheidende Wende erfährt die Darstellung von Frauen in den 1940er Jahren. Immer öfter ziert eine Femme fatal die Cover, lasziv räkeln sich die Damen mehr oder weniger leicht bekleidet auf den Heften. Besonders beliebt: Der rauchende und aufreizende Vamp. Frauenbilder zwischen weiblichem Selbstbewusstsein – immerhin sorgten die Frauen in den Kriegsjahren dafür, dass Fabriken und Firmen daheim weiter liefen, während die Männer an der Front starben – und Objekt sexueller Begierde der männlichen Betrachter.

Eine Bildergeschichte von Sex, Gewalt und Tod

Startling Detective Der Fall der “schwarzen Dahlie” im Januar 1947 sorgte nach Kriegsende für eine Neubelebung des Detective-Genres. Der brutale Mord an Elizabeth Short, einem Starlett aus Hollywood, schlug sich nicht nur in den Schlagzeilen der Tageszeitungen nieder. Die Story hatte auch reichlich von der Kombination zu bieten, die, nachdem die Kriegsschrecken allmählich verblassten, wieder die Leser ansprach: Sex und Gewalt. Der sexuelle Aspekt drängte sich schließlich in den 1950er Jahren immer mehr in den Vordergrund: Aus Vamps wurden Schlampen, aus der Femme fatal das Flittchen, das die Männer übers Ohr haut und hintergeht. Immer öfter prangten zudem Fotos statt gemalter Bilder auf den Titelseiten der Magazine. Eine Entwicklung, die sich in den 1960er Jahren fortsetzte, als die Hefte mit der immer größer werdenden Konkurrenz des Fernsehens zu kämpfen hatten. Doch die cleveren Verleger der True Crime Detective Magazine fanden eine Lücke, die das Fernsehen – zumindest damals – nicht ausfüllen konnte: schlüpfrige Geschichten und Lustmorde, die im TV nicht bis ins Detail gezeigt werden durften – in den True Crime Magazine fanden sie statt. Die Berichterstattung über Kriminalfälle wandelte sich zu einer schauerlichen Beschreibung von Sex und Gewalt.

Der eigentlich Abstieg jedoch begann in den 1980er Jahren. Marc Gerald, einst Autor für das Magazin True Detective und ehemaliger Mitarbeiter bei der Sendung America’s Most Wanted führt den Grund auf, der zum Ende der meisten True Crime Detective Magazine: das fehlende Geld aufgrund von zurückgehenden Leserzahlen und mangelnder Qualität bei den Texten. Traditionsreiche Verlage wurden geschluckt oder mussten schließen. Damit ist man als Leser des Bildbandes zwar bei dem Ende der Zeitschriften angelangt, längst aber noch nicht am Ende des Buches. Umfangreiche Listen informieren über die Grafiker, Autoren und Verlage, die für so viele Jahre das Bild des “wahren” Verbrechens in den entsprechenden Magazinen prägten.

Line Up DetectiveEric Godtland und die Herausgeberin Diane Hanson haben nicht nur eine umfangreiche Sammlung der Cover von True Crime Detective Magazines zusammengetragen, gekonnt zusammengestellt und attraktiv aufbereitet. Sie setzen die Bilder auch immer in den historischen Kontext der US-amerikanischen Geschichte, insbesondere der Kriminalgeschichte. Der Band bietet mehr, als nur bunte Bilder: Es ist eine spannende Ikonographie eines wichtigen Teils der populären Kultur in den USA. Ein Land, in dem Gewalt, Kriminalität und die Verfolgung der Verbrecher eine so große Rolle spielen, ist es wichtig zu schauen, wie diese “realen” Verbrechen verarbeitet und inszeniert werden. Und zwar nicht nur in der fiktiven Kriminalliteratur, sondern auch und gerade in der non-fiktionalen Darstellung. Wie wird Wirklichkeit publikumsgerecht verfremdet? Wie werden Mörder und Opfer dargestellt, welche ästhetischen Formen werden genutzt? Wer Antworten auf diese Fragen sucht, sollte in diesen Bildband schauen, der in den klugen Texten von Godtland und in den faszinierenden Bildern der Magazine eine amerikanische Geschichte von Sex, Gewalt, Tod und Moral erzählt. Eine Geschichte, die mal zwiespältig, mal grell, mal oberflächlich, aber manchmal auch sehr hintergründig ist.

Eric Godtland: True Crime Detective Magazines 1924 – 1969 / by Eric Godtland. Edited by Diane Hanson. – Hong Kong [u.a.] : Taschen, 2008
ISBN 978-3-8228-2559-4

Mehr Bilder gibt es unter → www.taschen.com

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