Eine postmoderne Verwirrung

vom Krimiblogger

Das letzte BuchZoran Živković: Das letzte Buch

Das Lesen von Romanen ist eine verdammt gefährliche Tätigkeit. Mal schweben die Figuren des Romans in Lebensgefahr und sind abhängig von der Geschicklichkeit des Lesers, wie etwa in Giwi Margwelaschwilis letztem Roman „Officer Pembry“. Mal ist es der Autor, der von seinen Figuren an den Abgrund des Todes geführt wird, wie im jüngsten Kriminalroman “Und dann gab’s keinen mehr” des Briten Gilbert Adair, der auf wunderbar versponnene Weise die Hassliebe zwischen Autor und Figur thematisiert. Dritter in diesem – sehr lockeren – postmodernen Bunde ist der Serbe Zoran Živković, der hierzulande ein ähnliches Geheimtipp-Schicksal führt wie die beiden anderen Autoren. “Das letzte Buch” ist sein kurzer Roman betitelt, der in diesem Herbst in deutscher Übersetzung erschienen ist und in dem es um die tödliche Macht des Lesens geht. Im Falle von Živković sind es die Leser selbst, die durch ihre Lektüre in Gefahr geraten, denn hier wird Lesen zu einer absolut todbringenden Angelegenheit.

Ungeklärte Todesfälle in der kleinen Buchhandlung “Papyrus” rufen Kommissar Dejan Lukić auf den Plan. Eigentlich hat er Literatur studiert und ist nur bei der Polizei gelandet, weil es dort Arbeit gab. Nun kommt ihm sein Studium zupass, denn gemeinsam mit der Buchhändlerin Vera Gavrilović versucht er den Grund für die gehäuften Todesfälle in der Buchhandlung zu finden. Eine Buchhandlung, die weit entfernt ist von der literarischen Massenabfertigung à la Hugendubel oder Thalia. Eine Buchhandlung mit Seele, in der die Bücher nach Titeln sortiert werden und in deren engen Gängen zwei verschrobene Buchhändlerinnen sonderbare Kunden bedienen, die sie “Patienten” nennen. Einige von diesen “Patienten” sterben – ein alter Klavierlehrer, eine alleinstehende Frau, ein junger Student. Die Gerichtsmediziner stehen vor einem Rätsel, denn ein Todesursache im medizinischen Sinne lässt sich nicht nachweisen. Der Grund für den Tod muss in der Literatur zu finden sein.

Kommissar Lukić und Buchhändlerin Gavrilović begeben sich auf die gemeinsame Suche und kommen sich dabei näher. Während sie ihre gegenseitige Zuneigung entdecken, geht das Sterben um sie herum weiter. Ein erster Verdacht, jemand vergifte die Seiten der Bücher – ähnlich wie in Umberto Ecos Roman “Der Name der Rose” – kann sich nicht erhärten. Lukić und Gavrilović geraten selbst in das Visier der Ermittler, denn schon längst hat sich der Staatsschutz eingeschaltet. Schließlich führt die Spur zu einer kuriosen Weltuntergangssekte und ihrer geheiligten Suche nach dem “letzten Buch” der Menschheit. In einer Villa halten die Sektenmitglieder Rituale ab und als sich Lukić zu einer solchen Zeremonie einschleicht, bricht plötzlich die Hölle los.

Frech- und Freiheiten

Eine kurzweilige, postmoderne Verwirrung könnte man den Roman nach dem recht typischen Schluss nennen. “Und was wäre ein Detektivroman ohne Lösung?” lässt Autor Živković am Ende seinen Kommissar Lukić fragen. Einmal mehr, so scheint es, ist der Detektivroman, und mit ihm auch der Kriminalroman, ein Fels in der Brandung der literarischen Beliebigkeiten. Mit seiner seit Jahrzehnten gepflegten Dramaturgie von Mord, Ermittlung und Aufklärung ist er eine sichere Bank für Autoren, für Leser und auch für Verlage. Wie zweifelhaft jedoch diese Sicherheit ist, zeigt Živković auf amüsante und kurzweilige Art. Seine literarischen Anspielungen halten sich – für einen postmodernen Roman erstaunlich – in Grenzen. Seine Sprache ist eher spröde bis antiquiert, selten verspielt. Seine Figuren wirken schon von Anfang an so, wie sie seien sollten – Stellvertreter des Lesers in einem Roman. Und dennoch ist dem Serben ein wunderbarer, doppelbödiger Text gelungen, denn Živković nimmt sich als Autor selbst nicht so wichtig. So macht er sich zum Beispiel über seine eigene, eigentlich recht platte Anspielung auf Eco lustig. Das hat in der Tat Stil – sowie der ganze Roman ein wunderbares Kaleidoskop von literarischen Frech- und Freiheiten ist.

Nichts und niemand ist vor dem feinen Spot des Serben sicher: Da bekommen Gerichtsmediziner und Polizisten ebenso ihr Fett weg, wie all die verschrobenen Verschwörungstheorie-Schmöker und Möchtegern-Politik-Thriller. Dazu verschwinden nach und nach die Grenzen zwischen Fiktion und Realität und vor allem zwischen Leser und Autor. Wer hier am Schluss was ist – wer vermag es zu sagen? Lesen, das zeigt Živković eindrucksvoll, ist verdammt gefährlich, weil es verwirrt, weil es Leben und Gedanken durcheinander bringt, weil es ein großes Abenteuer ist. Ein Abenteuer, dass aber auch verdammt viel Spaß machen kann.

Zoran Živković: Das letzte Buch / Aus dem Serbischen von Astrid Philippsen. – München : dtv, 2008
ISBN 978-3-423-21103-1

Original: Zoran Živković: Poslednja knjiga
Keine weiteren Angaben

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Homepage/Blog des Autors: → zoranzivkovic.com

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