Kriminelle Provinzposse oder Wie man nicht über Krimis schreiben sollte…

vom Krimiblogger

Via → Alligatorpapiere
Auf der nach eigener Darstellung wohl „ältesten und (vielleicht?) größten Bücher-Plattform im deutschsprachigen Raum“ mit dem tollen deutschen Namen → README faselt die Admin-Dame unter der Überschrift → „Krimis: ganz lokal oder sehr global“ abgedroschene, dumme Phrasen über Krimis. Schon die Einleitung sollte man der guten Frau kräftig um die Ohren hauen:

„Sie sind die alten Crime-Cities leid, die internationalen Krimischreiber. New York, London oder San Francisco? Diese Metropole interessieren in diesem Frühjahr nicht mehr. Europäische wie amerikanische Thrillautoren entdecken die Provinz – und die Verlage entdecken Schreiber aus fernen Ländern. Indien zum Beispiel oder Ägypten. Beide Richtungen liefern wirklich Lesenswertes.

Hallo? Noch wach? Um der guten Frau mal auf die Sprünge zu helfen: Der → Unionsverlag (nur als der wohl wichtigste Verlag in diesem Segment, es gibt auch noch andere) hat bereits im → Dezember 1999 mit seiner metro-Reihe angefangen, „ferne Länder“ zu entdecken. Übrigens: Warum höre ich eigentlich bei dem Begriff „ferne Länder“ immer so ein imperialistisches Rauschen mit – hören Sie das auch?. – Also, das gerade in diesem Frühjahr die „Metropolen“ so nicht mehr interessieren und die Verlage fremde Länder entdecken ist ja schon mal hochgradiger Blödsinn.

Das nun ausgerechnet die Provinz bei den Amerikanern und Engländern so wichtig geworden ist, stimmt ja auch schon seit Agatha Christie. Wenn man will sogar noch früher. Auch bei den Amis gabs schon in den 1950er Jahren wichtige und lesenswerte Krimis, die in der Provinz spielen. Bei mir im Ohr rauscht gerade der Name Jim Thompson so hin und her…

Die folgenden Buchempfehlungen der Dame können Sie sich dann auch getrost schenken. Sicher, es werden durchaus lesenswerte Bücher empfohlen, aber wer so wenig Wissen über Kriminalliteratur hat, sollte Kochbücher oder Informatikbücher besprechen. Trotzdem, ein Beispiel sollte man sich nicht entgehen lassen. Die Dame schreibt:

„Nummer eins aus Deutschland (nicht auf der Bestsellerliste aber unter den neuen Krimis) ist für mich DER JUDASLOHN von Andree Hesse. Der spielt in der Lüneburger Heide, rund um einen englischen Truppenübungsplatz. Außerdem verknüft er gekonnt das aktuelle Leben in einer Provinzstadt mit den lang verdrängten Erinnerungen an die Nazizeit. Das macht ihn nicht unbedingt atemberaubend spannend, aber sehr gut lesbar.“

Aha ja, doch eine verkappte Werbung für den deutschen Provinzkrimi, der sich einst Regio(nal)krimi schimpfte und schon mehr als eine Dekade auf dem Buckel hat? Wieso gerade Andree Hesse, dessen → Roman doch sehr an Peter Robinson erinnert, der wiederum auch schon seit ein paar Jahren erfolgreich Krimis schreibt, die in der englischen Provinz spielen. Ah, das Buch ist „sehr gut lesbar“. Diese Sammelbesprechung bei „README“ hingegen nicht.

Wichtiger aber: Wo ein Kriminalroman spielt, ist zunächst (!) zweitrangig. Ort & Handlung & Figuren & Sprache & einiges mehr müssen zusammenpassen. Dann kann es auch was werden mit dem „lesenswerten“ Krimi, der eben mehr ist, als nur „sehr gut lesbar“.

Nachtrag: Mittlerweile scheint der verlinkte Originalartikel bei README verschoben bzw. gelöscht worden zu sein. → Google hilft.