Zwischen Ghetto und Giftmüll

vom Krimiblogger

Joseph Hansen Nachtarbeit
Joseph Hansen: Nachtarbeit

Um es vorweg zu nehmen: Hansens siebter Fall für seinen schwulen Versicherungsdetektiv Dave Brandstetter hat eine ehrwürdige Patina angesetzt. Die Lektüre von „Nachtarbeit“, erstmals 1984 im Original in den USA erschienen, ist durchaus vergleichbar mit dem Hören einer alten Schallplatte aus den Anfängen der 1980er Jahre. So ist es denn auch ein Musikstück, dass dem Leser zumindest einen kleinen Anhaltspunkt für den zeitlichen Rahmen der Handlung gibt…

Don’t push me, cause I’m close to the edge
I’m trying not to loose my head
It’s like a jungle sometimes, it makes me wonder
How I keep from going under

Grandmaster Flash and the Furious Five – The Message


Bis zur Hälfte konnte Joseph Hansen die Neuausgabe seiner zwölf Bände umfassenden Dave-Brandstetter-Serie in Deutschland noch verfolgen, bevor er am 24. November 2004 verstarb. Der Argument Verlag legt jetzt im Juli 2005 den siebten Band der Reihe unter dem Titel „Nachtarbeit“ vor. Wie bislang wurde die bereits vorliegende deutsche Übersetzung von Friedrich A. Hofschuster durch den Freiburger Buchhändler Robert Schekulin (UFO-Buchhandlung) sorgfältig überarbeitet und ergänzt.

Um es vorweg zu nehmen: Hansens siebter Fall für seinen schwulen Versicherungsdetektiv Dave Brandstetter hat eine ehrwürdige Patina angesetzt. Die Lektüre von „Nachtarbeit“, erstmals 1984 im Original in den USA erschienen, ist durchaus vergleichbar mit dem Hören einer alten Schallplatte aus den Anfängen der 1980er Jahre. So ist es denn auch ein Musikstück, dass dem Leser zumindest einen kleinen Anhaltspunkt für den zeitlichen Rahmen der Handlung gibt. Grandmaster Flash and the Furious Five gelten als Mitbegründer des sozialkritischen HipHop und ihre Single „The Message“, 1982 bei SugarHill Records veröffentlicht, ist eines der ersten wichtigen HipHop-Stücke überhaupt. Die erste Zeile des Refrains „Don’t push me, cause I’m close to the edge“ taucht auch in Hansens Krimi auf. „The Edge“ – so nennt sich eine Gruppe schwarzer Jugendliche, die in der heruntergekommenen Ortschaft Gifford Gardens, einem Vorort von Los Angeles, im Bandenkrieg mit einer Gruppe lateinamerikanischer Jugendlicher liegt. In diesem Ghetto hat Dave Brandstetter einmal mehr einen verdächtigen Todesfall aufzuklären.

Paul Myers, freiberuflicher Truckerfahrer, ist unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen. Ein Unfall mit seinem Lastwagen entpuppt sich als eine Explosion. Noch verdächtiger für die Versicherung ist, dass Myers erst kurz vor seinem Tod eine Lebensversicherung über 100.000 Dollar abgeschlossen hat. Brandstetter soll dem nachgehen und erlebt bei seinem ersten Besuch in Gifford Gardens gleich eine böse Überraschung: Mitglieder der Jugendgang verfolgen ihn in seinem schicken Jaguar. Sein Besuch bei der Witwe von Myers bringt ihn auch nicht viel weiter: Angela Myers weiß nichts über die Geschäfte und die Arbeit ihres Mannes – dies behauptet sie jedenfalls. Ihr von Schlägen gezeichnetes Gesicht scheint Brandstetter aber etwas anderes zu erzählen. Immerhin erfährt der ruhige und zuvorkommende Versicherungsdetektiv, das Myers seine Versicherung kurz nach dem plötzlichen Tod seines Freundes Ossie Bishop abgeschlossen hat. Auch Bishop war Trucker und starb nach einer kurzen und heftigen Krankheit. Beide, Ossie und Paul, haben geheimnisvolle Nachttransporte mit ihren Trucks unternommen. Transporte, für die Brandstetter keine Belege findet, die aber statt gefunden haben.

Es knackt und rauscht

Seine Nachforschungen führen ihn auch zu der Witwe Bishops, die nach dem Tod ihres Mannes Gifford Gardens fluchtartig verlassen hat. Zusammen mit ihren vier Söhnen lebt Louella Bishop im San Diego County, wo Brandstetter sie aufsucht. Auch dort trifft er auf eine Mauer des Schweigens. Allerdings hört er auch hier von einer gehmeinisvollen „Herzogin“, die offenbar mit den beiden toten Truckern undurchsichtige Geschäfte abgeschlossen hat. Ein Giftmüllskandal, so wird Brandstetter schließlich klar, scheint der Hintergrund für die beiden Todesfälle zu sein. Ein Skandal, so machen ihm seine gesichtslosen Gegner schnell deutlich, aus dem er sich besser heraus hält. Die Luft wird für ihn immer dünner und bleihaltiger…

Hansens „Ökokrimi“ – so hat Robert Schekulin den siebten Fall genannt. In der Tat hat Joseph Hansen mit „Nachtarbeit“ ein Thema aufgegriffen, dass vor über zwanzig Jahren hoch brisant und aktuell war. Aus heutiger Sicht sind einige der angesprochenen Themen wie Giftmüll oder Ghetto zwar immer noch aktuell, die Darstellung solcher Motive haben sich aber in den letzten Jahren doch deutlich geändert. Hansens Brandstetter wirkt in seinem Handeln und seinen Überlegungen wunderbar antiquiert und liebenswürdig. Wie immer glänzt Hansen mit einer präzisen, gestochen scharfen und knappen Prosa. Scharfe Beschreibungen eines amerikanischen Ghettos wechseln sich ab mit der Schilderung einer glamourösen Villa, in der eine alte, reiche Tunte lebt. Diese wichtige Zeugin für die Vorgänge in Gifford Garden ist wiederum ein bizarrer Gegensatz zu den Familien der getöteten Trucker, die unter armseligen Bedingungen leben und lebten und sich sogar ihre Gesundheit ruinierten, um dem Alptraum Ghetto zu entkommen.

Dabei verzichtet Hansen als Autor auf platte Botschaften oder Moral. Er beschreibt prägnant die Zustände Anfang der 1980er Jahre – und erreicht auch heute noch mehr Wirkung damit, also so manch’ schreiender Zeitgenosse. Obwohl „Nachtarbeit“ schon über zwanzig Jahre alt ist und dies durchaus zeigt, ist es immer noch ein spannender und interessanter Krimi. Das liegt vor allem an Hansens eleganter und scharfsichtiger Prosa. Einer Prosa, der man immer wieder lauschen kann, in der es ab und zu leise knackt und rauscht, wie bei einer alten Lieblingsschallplatte.

Joseph Hansen: Nachtarbeit : Dave Brandstetters siebter Fall / Aus dem Amerikanischen von Friedrich A. Hofschuster und Robert Schekulin. – Hamburg : Argument, 2005
(Pink Plot; 2079)
ISBN 3-88619-979-7

Anm: Die Übersetzung von Friedrich A. Hofschuster (Mondschein-Trucker, Goldmann, 1987) wurde von Robert Schekulin nach der 2001 bei No Exit Press (GB) erschienenen Ausgabe vollständig überarbeitet und ergänzt.

Originalausgabe: Joseph Hansen: Nightwork. – New York : Holt, Rinehart and Winston, 1984
ISBN 0-03-060486-9
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