Aus dem Archiv: Tatwaffe Schreibmaschine

vom Krimiblogger

Das Zittern des Fälschers von Patrica Highsmith
Patricia Highsmith: Das Zittern des Fälschers
Für Patricia Highsmith war „Das Zittern des Fälschers“ ein „richtiger Roman“, Schriftstellerkollege Graham Green sah darin ihr bestes Buch. Dabei ist „Das Zittern des Fälschers“ untypisch für die Autorin. Es ist kein Kriminalroman sondern die vielschichtige Erzählung eines Kulturschocks sowie eine Parabel über die Universalität von Moral.

Im Zentrum steht der amerikanische Autor Howard Ingham, der sich auf einer Reise in Tunesien befindet. Ungeduldig wartet er in einem kleinen Küstenort auf Nachricht von seiner Freundin Ina und auf das Eintreffen von John Castlewood. Für Castlewood, einem Kameramann, will Ingham in Tunesien ein Drehbuch schreiben. Der geplante Film soll die Liebesgeschichte einer Frau und zweier Männer erzählen. Doch der Film wird nie gedreht: Ingham erhält durch einen Bekannten die etwas wirre Mitteilung, dass sich Castlewood das Leben genommen hat.

Der Schriftsteller könnte nun abreisen, doch irgend etwas scheint ihn in Tunesien zu halten. Vielleicht ist es die Entfernung zur Heimat, die ihm Auftrieb für einen neuen Roman gibt. Er arbeitet an seinem neuen Buch, das den Titel „Das Zittern des Fälschers“ tragen soll. Der Roman macht gute Fortschritte und der Schriftsteller lernt in dieser fremden, arabischen Welt zwei Männer kennen.

Da ist zunächst der Amerikaner Adams, der für einen Radiosender antikommunistische Propaganda schreibt, die heimlich in Russland gesendet wird. Adams ist ein strenger Vertreter von amerikanischer Weltanschauung und amerikanischem Lebensstil, was ihm bei Ingham den Spitznamen „Wulst“ einbringt. Wirklich sympathisch ist ihm der religöse Adams nicht, doch als Ingham schwer erkrankt, rettet ihm Adams das Leben.

Wesentlich sympathischer ist Ingham sein zweiter Bekannter, der Däne Jensen. Er ist ein homosexueller Künstler, der mit seinem Schäferhund ein spartanisch eingerichtet Haus bewohnt. Während Adams deutlich Abstand zur arabischen Lebensweise hält, scheint sich Jensen seiner Umgebung angepasst zu haben. Erst als sein Hund verschwindet, erwachen auch bei ihm Ressentiments gegenüber Arabern.

Nach einigen Wochen erhält Ingham eindlich einen Brief von seiner Freundin Ina. Darin gesteht sie ihm, dass sie mit dem verstorbenen Castlewood eine kurze Affäre hatte und dieser sich in Inghams Wohnung umgebracht hat. Für den enttäuschten Schriftsteller ein Grund mehr, in Tunesien zu bleiben. Schließlich ereignet sich ein Unglück, dessen unklarer Ausgang Ingham nicht mehr los lässt.

Negation der Moral

Eines Nachts steht plötzlich ein Mann in seinem Bungalow. Obwohl er nur einen Schatten erkennt, vermutet Ingham, dass es sich bei dem ungebetenen Besucher um Abdullah, einen Dieb, handelt. Erschreckt wirft er dem Einbrecher seine Schreibmaschine an den Kopf. Mit einem Schrei geht der Getroffene zu Boden. Der verwirrte Ingham hört noch, wie das Opfer weg geschleift wird. Als Abdullah in den nächsten Tagen verschwunden bleibt, wachsen Inghams Zweifel: Hat er den Einbrecher ermordet?

In seiner Verzweiflung beichtet er seinem Freund Jesen den Vorfall – doch der kann darin nichts Verwerfliches sehen. Schließlich ist nicht klar, ob der Getroffene wirklich tot ist und letztlich handelt es sich in Jensens Augen um Selbstverteidigung, bei der vielleicht ein Ganove, ein schlechter Mensch, zu Tode gekommen ist. Auch die arabischen Hausangestellten schweigen über den Vorfall, der schlecht für’s Geschäft sein könnte.

Adams hingegen, dem nur Gerüchte zu Ohren gekommen sind, ahnt, dass etwas Inghams Gewissen belastet. Immer stärker bedrängt er seinen Bekannten, doch Ingham verweigert ihm ein Geständnis. Er tischt ihm Lügen auf, die immer mehr zur Belastung werden, als seine Freundin Ina in Tunesien eintrifft.

Mit stilistischer Virtuosität und kunstvoller Dramaturgie erzählt Patricia Highsmith die Geschichte vom Aufeinandertreffen zweier Kulturen: Während Adams die amerikanische Lebensart propagiert, nähert sich Ingham langsam dem arabischen Lebensgefühl an. Eindrucksvoll ist dabei die Konstruktion des Romans: Inghams tätlicher Angriff mit der Schreibmaschine ist wie ein Gravitationspunkt, auf den zunächst die Geschichte zu läuft. Als dieser Punkt erreicht ist, strömt in höchster Komplexität der Erzählfluss davon weg und behandelt philosophische, kulturelle und zwischenmenschliche Probleme.

Im Mittelpunkt steht die Frage, inwieweit moralische Maßstäbe in eine fremde Kultur übertragen werden können. Ingham durchlebt einen schmerzhaften Prozess der Veränderung und erkennt, dass westliche Werte nicht einfach auf die orientalische Kultur übertragen werden können.

In letzter Konsequenz negiert Highsmith die Universalität von moralischen Maßstäben. Ein Menschenleben scheint im Orient einen anderen Wert zu haben als im Westen. Doch wie vertragen sich die hohen moralischen Ansprüche etwa mit dem Vietnam-Krieg der USA? All dies thematisiert Highsmith mit hoher Symbolkraft in ihrem Buch. Sie selbst hat einmal gesagt, dass die Moral sie nicht interessiere. Die Natur, so Highsmith, kenne auch keine Werte. Eine Überzeugung, die nicht bei jedem auf Zustimmung stoßen dürfte – doch ihr faszinierender Roman scheint ihr auf beklemmende Weise Recht zu geben.

Highsmith, Patricia: Das Zittern des Fälschers / Aus dem Amerikanischen von Dirk von Gunsteren. Mit einem Nachwort von Paul Ingendaay. – Zürich : Diogenes, 2002
ISBN 3-257-06413-6

Original: Highsmith, Patricia: The Tremor of Forgery. – London : Heinemann, 1969

Buch bestellen bei:
» amazon.de » libri.de » buch24.de » buecher.de

Diese Besprechung erschien bereits im Juli 2002 auf www.der-buecherfreund.de