Krimiblog-Archiv

2005 – 2010

Schlagwort: Thriller

Brief an Michael Kelly, Privatdetektiv, Chicago

Winterberg, im März 2010

Sehr geehrter Mr. Kelly,

zunächst möchte ich Ihnen mein Beileid zum Tode ihrer langjährigen Freundin Nicole aussprechen. Ihre Ermordung, deren Zeuge ich während der Lektüre Ihres ersten Falles “Preis der Schuld“ wurde, hat mich gerührt, so wie mich auch die gesamte Lektüre überrascht hat. Versprachen doch Klappentext und Pressestimmen einen “Raymond Chander für das 21. Jahrhundert“, einen Privatdetektiv in der Tradition von Sam Spade und Philip Marlowe. Gewiss, diese Tradition will ich Ihnen nicht absprechen, schließlich sind Sie Privatdetektiv in Amerikas Windy City, dort, wo auch zum Beispiel ihr weiblicher Gegenpart V. I. Warshawski ihrem Job nachgeht. Dennoch sind Sie ein wenig anders: Sie lesen Aischylos und Homer, die griechische Mythologie mit ihren blutigen Fehden ist Ihnen nicht unbekannt. Selbstverständlich tauchte bei mir während der Lektüre ihrer Geschichte einmal mehr die Frage auf, inwieweit griechische Dramen und Epen immer auch schon Kriminalerzählungen sind und ob wir letztlich nicht immer wieder in der Kriminalliteratur diese Erzählformen durch deklinieren. Die Verknüpfung, die Ihr geistiger Vater Michael Harvey da herstellt, ist auf jeden Fall ein interessanter Ansatz.

Natürlich kannten auch die alten Griechen ein Verbrechen, das in ihrer Geschichte in den Mittelpunkt rückt: Die Vergewaltigung. Es ist der Fall der jungen Elaine Remington, der Ihnen, werter Mr. Kelly, keine Ruhe lässt. Ihr alter Polizeikumpel John Gibbons sucht Sie auf. Während er immer noch im Dienste des Staates steht, arbeiten Sie schon länger auf eigene Faust. Ihr Kumpel Gibbons schildert gleich zu Beginn in einem stakkatohaftem Gespräch den Überfall auf die junge Frau, die bei einer Vergewaltigung auf offener Straße mit Messerstichen malträtiert wird. Heiligabend 1997 passierte das. Nur knapp überlebte Elaine den Angriff und doch wurde der Täter nie gestellt. Gibbons Chef lobte seinen Untergebenen damals nach oben – dafür musste Gibbons die Klappe halten. Nun, neun Jahre später, plagt Gibbons das Gewissen – auch, weil Elaine sich in einem Brief an ihn gewandt hat. Mit diesem Brief in der Hand steht er nun bei Ihnen, Mr. Kelly, weil Sie in seinen Augen der beste Ermittler waren und sind. Ahnten Sie, in welches Unheil Sie dieser Besuch Ihres früheren Kollegen Sie führen wird? Vermutlich nicht, denn nur einige Stunden nach dem Besuch bei Ihnen ist John Gibbons tot. Er liegt erschossen unter einem Pier.

Der Mord an Ihrem Kumpel bringt viele Dinge ins Rollen: Eine attraktive TV-Moderatorin tritt in Ihr Leben, Sie werden als Tatverdächtiger verhaftet, und schließlich erscheint auch Nicole, mit der sie seit den Tagen Ihrer harten irischen Kindheit eine Freundschaft pflegen, auf der Bildfläche. Eine junge, schwarze Frau, die es wie Sie zur Polizei geschafft hat und bei einem Sonderdezernat für Vergewaltigungsdelikte arbeitet. Nicole ist es, die es Ihnen als Privatdetektiv ermöglicht, auf Polizeiquellen und Polizeimethoden zurück zu greifen. Sie ist es auch, die Sie mitnimmt zu weiteren Mord- und Vergewaltigungsfällen. Doch nicht nur das: Sie, Mr. Kelly, stöbern im Asservatenlager der Chicagoer Polizei und stoßen dabei auf eine Spur, die schließlich ihrer Freundin Nicole das Leben kosten wird und Sie zu dem wohl berühmtesten Serienkiller Ihrer Stadt führt: John William Grime, der uns in der realen Welt als John Wayne Gacy bekannt ist. Ihr Grime hat vor allem weibliche Prostituierte vergewaltigt und ermordet, unser Gacy hatte es bekanntlich auf Jungs abgesehen. Beide – Grime und sein reales Vorbild Gacy – sind als Killer-Clowns bekannt.

Sex, Tod und Rache

Was denken Sie, Mr. Kelly? Haben wir nicht schon genug über Serienkiller gelesen, gehört und gesehen? Killer-Clown, Boston-Strangler oder der Zodiac-Killer – irgendwie gehören diese menschlichen Monster offenbar zur US-amerikanischen Kultur. Mehr zumindest, als zur europäischen oder deutschen Kultur – bei uns sind da eher die Massenmörder beheimatet. Aber, um zu Ihrer Geschichte zurückzukehren, der Serienkiller bleibt bei Ihnen eine Randfigur, wenn auch eine wichtige. Die Ergebnisse Ihrer spannenden Nachforschungen, die durchaus noch mehr Tote nach sich ziehen, weisen auf ein anderes Phänomen hin: Vergewaltigung. Gut erinnere ich mich noch an die Worte von Rachel Swenson, Vorsitzende einer Organisation, die sich um vergewaltigte Frauen kümmert, die sie während einer Wohltätigkeitsveranstaltung ans Publikum richtet:

“Es gibt über einhundert Millionen Frauen in den Vereinigten Staaten. Fast zwanzig Prozent davon, etwa achtzehn Millionen, wurden schon einmal vergewaltigt. Die Mehrheit davon mehr als ein Mal. (…)Insgesamt kommt es in diesem Land zu über achthunderttausend sexuellen Übergriffen im Jahr. Das sind dreizehnmal mehr als in Großbritannien. Zwanzigmal mehr als in Japan.“

Tatsächlich sind diese Zahlen für die USA, soweit ich das absichern konnte, weitgehend belegt. Realität in der Fiktion, eine Realität, mit der Sie sich als Privatdetektiv in ihrer Geschichte ganz konkret auseinandersetzen müssen. Von ihrer toten Freundin, deren Vergewaltigung sie einst als Junge anschauen mussten, bis hin zu einem jungen Mädchen, das von ihrem Vater misshandelt wurde, treffen Sie in Ihrer düsteren, traurigen Geschichte auf einige Opfer sexueller Gewalt. Wie Sie damit umgehen, ist erstaunlich und von Ihnen spannend geschildert. Ihr Erfinder Michael Harvey hat Ihnen dafür eine komplexe Persönlichkeit mitgegeben. Eine Persönlichkeit, das darf ich sicher sagen, Mr. Kelly, die sich abhebt von den oft eindimensionalen Privatschnüfflern, die einem als Leser immer wieder unter die Augen kommen. Das dazu die Lektüre griechischer Klassiker sicher ihren Teil beigetragen hat, mag sein. Eine kluge Dramaturgie, raffinierte Wendungen, die immer wieder Ihr Schicksal bestimmen und gelegentliche harte Schnitte und Bruchstellen – all das durfte ich Ihrer Geschichte entnehmen. Sie hat mich ein wenig klüger gemacht. Unterhalten hat sie mich nicht – was nicht negativ gemeint ist, denn schließlich haben Sie mir eine grausame Geschichte von Sex, Tod und Rache erzählt. Am Ende blieben mir dann sogar mehrere Auflösungen – auch das hat Ihr Schöpfer sehr geschickt eingefädelt. Es waren nicht durchweg angenehme Lesestunden mit Ihnen, das sicher nicht. Aufklärerisch war es hingegen schon. Danke dafür. Ich freue mich auf ein Wiederlesen mit Ihnen.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Ludger Menke

Postscriptum:
Preis der Schuld von Michael HarveyMichael Harvey: Preis der Schuld : Kriminalroman / Aus dem Amerikanischen von Anke und Eberhard Kreutzer. – München : Knaur, 2010
ISBN 978-3-426-50251-8 – Preis: 8,95 €

Originalausgabe: Michael Harvey: The Chicago Way. – New York : Alfred A. Knopf, 2007

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Edgar Awards 2009 – Die Gewinner

In New York sind am 30. April 2009 die diesjährigen Preisträger der → „Edgar Awards“ bekanntgegeben worden. Die „Edgar Awards“ zählen den renommiertesten Krimipreisen und werden von den → Mystery Writers of America (MWA) vergeben. Hier die Liste der Preisträger:

„Wie Bilder von Hieronymus Bosch“

Ein Interview mit Michael Connelly – Von Ludger Menke
Es gibt Romanhelden, die begleiten einen für eine sehr lange Zeit. Hieronymus “Harry“ Bosch, Ermittler bei der Polizei von Los Angeles, ist so ein Held. Erfunden hat ihn Michael Connelly, der zu den erfolgreichsten Autoren in den USA zählt. Geboren wurde Connelly 1956 in Philadelphia. Der Autor kam über seinen Beruf als Kriminalreporter zum Schreiben von fiktiven Kriminalfällen. Darin mag ein Grund liegen, warum seine Romane als gut recherchiert und realistisch gelten. Doch Connelly ist es auch gelungen, mit seinem Helden Harry Bosch einen sehr beliebten Polizisten zu erfinden. Bei uns ist gerade der Roman “Echo Park“, der zwölfte Krimi mit Harry, erschienen. Ich hatte die Gelegenheit zu einem Gespräch mit dem Autor, dessen Romane sich immer mehr zu einem großen Gesamtbild zusammenfügen und der im Interview ausführlich Auskunft nicht nur über seine Figur Harry Bosch gibt.

Lambda Literary Awards 2009: Die nominierten Krimis

Zum 21. Mal werden in den USA die Lambda Literary Awards vergeben, mit denen lesbische, schwule, bisexuelle und transgender Literatur in verschiedenen Kategorien ausgezeichnet werden. Wie in jedem Jahr gibt es auch diesmal die Kategorien “Lesbian Mystery” und “Gay Mystery”, also lesbische bzw. schwule Kriminalromane. Die Gewinner werden auf einer Gala am 28. Mai 2009 in New York bekannt gegeben.

Es folgen die nominierten Bücher:

Nominees für die Edgar Allan Poe Awards 2009

EdgarDie Saison der Nominierungen, Preisverleihungen und Auszeichnungen ist eröffnet. Wie jedes Jahr machen die „Edgars“, die Nominierungen für den Edgar Allan Poe Awards 2009, den Anfang. Vergeben werden die Preise von den Mystery Writers of America (MWA). Die Gewinner werden am 30. April 2009 bei einer Gala in New York geehrt. Hier folgt eine lange und bebilderte Liste, die zudem mit vielen Links und Kurzinfos zu den Büchern versehen ist. Neben Romanen und Kurzgeschichten werden bei den „Edgars“ auch Drehbücher für Spielfilme und TV-Serien ausgezeichnet.

Krimi-Blog-Karneval: Edgar Allan Poe und der moderne kirgisische Neosurrealismus

Die erste Einsendung zum Krimi-Blog-Karneval anlässlich des 200. Geburtstages Edgar Allan Poe ist da. Sie kommt von Herrn Rick aus Österreich und ist in ihrer analytischen Schärfe und eindeutigen Pointierung ein Musterbeispiel. Solche Beiträge dürfen gerne mehr kommen. Vorbildlich.

3. Krimi-Blog-Karneval: 200 Jahre Edgar Allan Poe

Blog Karneval Logo Am 19. Januar 2009 jährt sich zum 200. Mal der Geburtstag des us-amerikanischen Schriftstellers Edgar Allan Poe. Für viele gilt der Dichter als „Vater“ der Detektivgeschichte, als „Gruselliterat“ und Wegbereiter der Science-Fiction-Literatur. Aus diesem Grund wird es Zeit für einen neuen Krimi-Blog-Karneval:

200. Jahre Edgar Allan Poe – Zwischen Vaterfigur und Vexierbild der Kriminalliteratur
Welchen Einfluß hat und hatte Poe auf die Detektivgeschichte und die Kriminalliteratur? Wie aktuell sind seine Erzählungen, seine Essays und seine Gedichte heute? Welche Bezüge gibt es zwischen Leben und Werk? Wie gehen andere Autorinnen und Autoren mit dem Dichter aus Boston um? Welche Bedeutung hat er für Leserin und Leser? Welche Adaptationen in Kunst, Film und Musik gibt es? All diese Themen können und sollen beim dritten Krimi in Blogform bearbeitet werden. Wichtig ist immer der thematische Bezug zum Werk oder zum Autor Edgar Allan Poe.

Edgar Awards 2008 – Die Gewinner

Am 1. Mai wurden in New York die Gewinner der diesjährigen Edgar Awards in den jeweiligen Kategorien bekannt gegeben. Die →”Edgars” zählen zu den renommiertesten Krimipreisen und werden von den → Mystery Writers of America (MWA) vergeben. Hier die Liste der Preisträger:

Lambda Literary Awards 2008: Die nominierten Krimis

Bei den diesjährigen → Lambda Literary Awards gibt es ein schöne Überraschung. Bei dem US-amerikanischen Preis, mit dem lesbische, schwule, bisexuelle und transgender Literatur in 21 Kategorien ausgezeichnet wird, gibt es auch die Kategorien „Women’s Mystery“ und „Men’s Mystery“ – also lesbische bzw. schwule Kriminalromane. Wer auf die Nominierungen bei den lesbischen Krimis schaut, wird […]

Nostalgischer Rätselspaß

Duane Swierczynski: The crimes of Dr. Watson : An interactive Sherlock Holmes mystery „Wer war es?“ – die Grundfrage der allseits beliebten Rätselkrimis ist immer auch eine Einladung zum Spiel. Doch leider gerät der spielerische Gedanke bei der Betrachtung von Kriminalliteratur manchmal ins Hintertreffen. Dabei ist es schon interessant zu sehen, das zum Beispiel ein […]