Das Suhrkamp-Syndrom

vom Krimiblogger

Am 29.12.2008 vermeldete das → Börsenblatt, dass der Suhrkamp-Verlag in seinem Frühjahrs- und Sommerprogramm seiner Taschenbuchreihe eine „Krimi-Reihe“ starten will. Erscheinen sollen die bislang sechs geplanten Titel im Mai, Juni, August und September 2009. In interessierten → Krimikreisen fand diese Nachricht eine wohlwollende Aufnahme und im Gegensatz zu so manchem Kritiker kannten man dort einige der Autorinnen und Autoren, die demnächst bei Suhrkamp erscheinen sollen. So weit, so gut. Natürlich könnte man darüber streiten, ob es sich tatsächlich um eine „Reihe“ im bibliographischen Sinne handelt, denn davon ist in der → Suhrkamp-Vorschau (PDF-Dokument) nichts zu erkennen.

Jedenfalls fand auch der Kritiker Tobias Gohlis es wert, diese Ankündigung am 08.01.2009 in seinem → Blog zu vermelden. Er nahm dies sogar zum Anlass, eine uralte Diskussion über „literarische Krimis“ vom Zaun brechen zu wollen – mit sehr mäßigem Erfolg. Schließlich wurde das schon hundertmal durchgekaut und seine arg bürokratischen Vorstellungen, wie den Krimikritik zu funktionieren habe, die er hier → dokumentiert hat, stießen auf die kluge Gegenwehr unter anderem von dpr und Herr Linder.

Nun lenkten gestern die → Alligatorpapiere die Aufmerksamkeit auf einen noch → längeren Artikel von Tobias Gohlis, der am 15.01.2009 in der ZEIT erschienen ist. Wohlgemerkt vier Monate bevor die ersten Titel der neuen „Krimi-Reihe“ überhaupt in den Buchhandlungen liegen. Unter der knackigen Überschrift „Unternehmen Mimikry“ wird da also die „Reihe“ vorgestellt, über die man inhaltlich als Kritiker eigentlich noch gar nichts schreiben kann, weil es nämlich eine Sperrfrist bis Mai für die entsprechenden Titel gibt. Was also soll man da schreiben?

Zunächst lässt Gohlis einen Verleger zu Wort kommen, dessen Begeisterung über neue Konkurrenz sich in Grenzen hält. Wäre es nicht schön, wenn ein Verleger mal sagen würde: „Fein, Konkurrenz belebt das Geschäft“. Statt dessen die üblichen Spitzfindigkeiten (Suhrkamp geht es schlecht, jetzt müssen die auch noch in Krimi machen) und ein trotzig nachgeworfenes „Glückauf!“. Es folgt ein langer und langweiliger Absatz, wie sie bei den Suhrkamps zu Krimis gekommen sind und warum sie das machen. Dann folgt eine Feststellung, die angesichts der Sperrfrist reichlich merkwürdig wirkt:

„Das, was da dem Gewohnheitskrimileser untergeschoben wird, hat es in sich. Tatsächlich ist keiner der sechs Autoren der ersten Staffel dem deutschen Publikum bekannt. Alle sind erstmals aus dem Dänischen und Spanischen, Englischen und Italienischen übersetzt, und die Schauplätze liegen in Kopenhagen, Polen, Australien und Kalifornien.“

Was ist das bitte für eine Logik? Nur weil man die Autorinnen und Autoren in Deutschland noch nicht kennt, hat es diese „Reihe“ in sich? Wer hingegen mal in die Vorschau guckt, der ahnt, was die Suhrkamps da dem geneigten „Gewohnheitskrimileser“ (wer ist das?) verkaufen wollen: „Für Leser von Jan Seghers“, „Für Leser von Michael Dibdin, Donna Leon und Nicolas Remin“, „Für Leser von Stieg Larsson und Sjöwall/Wahlöö“ oder „Ein Krimi mit Witz, Herz und Spannung“ lassen vermuten (und nichts anderes ist zur Zeit möglich), dass hier weitgehend Durchschnittskrimis angeboten werden. Wohlgemerkt eine Vermutung – wie die einzelnen Titel wirklich sind, kann erst beurteilt werden, wenn man sie kennt und öffentlich darüber schreiben kann.

Ebenso stutzig wird man, wenn Gohlis folgende Erkenntnis formuliert:

„Ob früh, ob spät – Suhrkamps Aktion Mimikry ist ein ernsthafter Einstieg ins systematische Krimigeschäft und schlägt eine weitere, enorme Bresche in die Chinesische Mauer zwischen E (»ernster«) und U (»unterhaltender«) Literatur. Die übrigens, so sieht es Wolfgang Balk, Leiter des Deutschen Taschenbuchverlags, am heftigsten noch im Feuilleton verteidigt wird.

Das könnte man ja fast schon als Ansatz zur Selbstkritik sehen, die aber bei Gohlis völlig verpufft. Wer vor ein paar Tagen noch gefordert hat „selbst allgemeinverständliche und durchschlagende Definitionen „guter“ Krimis zu erarbeiten“, der richtet – ob er will oder nicht – neue „chinesische Mauern“ auf. Ganz davon abgesehen, dass den „Gewohnheitskrimileser“ das Feuilleton eh‘ nicht interessiert.

Besonders bedenklich bleibt aber der Schlussatz, mit dem Gohlis sich als Kritiker eigentlich disqualifiziert:

„Wenn Suhrkamps Projekt scheitert, könnte das ein Rückschlag für die anspruchsvolle Kriminalliteratur sein, die es keineswegs so leicht hat, wie der Krimiboom glauben lässt.“

Als ob Suhrkamp der erste Verlag ist, der sich nun an „anspruchsvolle“ Kriminalliteratur versucht. DuMont oder Nymphenburger sind zwei der Verlage, die damit im letzten Jahrzehnt grandios gescheitert sind. Mal ganz davon abgesehen, dass fast alle großen Verlagshäuser ihre Krimireihen in den 1990er Jahren eingestellt haben. Ob nun ausgerechnet Suhrkamp der Heilsbringer ist, zudem Gohlis den Verlag hier hochstilisiert, wage ich zu bezweifeln. Ebenso zweifelhaft ist dieser Artikel, dessen Ziel es vermutlich ist, vier Monate vor Veröffentlichung medienwirksam über Phantome zu spekulieren. Warten wir doch einfach ab, wie „anspruchsvoll“ diese „Möchtegern-Reihe“ bei Suhrkamp wird. Urteile sind frühstens im Mai möglich. Wenn allerdings ein Verlag noch nicht einmal den Mut aufbringt, einer expliziten Krimi-Reihe einen eigenen Titel zu geben und sie lieber im allgemeinen Taschenbuchprogramm versteckt, dann sollte man – gerade als Krimiexperte – sehr misstrauisch sein.