Schuld hat der Leser

vom Krimiblogger

Wieder einmal ist ein ehrgeiziges Krimiprojekt gescheitert – so kann man es seit heute bei → „Watching the detectives“ lesen. Die → „Kriminelle Sittengeschichte Deutschlands“, eine Reihe mit zehn Bänden deutschsprachiger Kriminalliteratur aus dem letzten Jahrhundert, herausgegeben vom Hamburger Autor Frank Göhre, wird nach Abschluss und Veröffentlichung des zehnten Bandes nun verscherbelt. So teilt der Verlag, die „Edition Köln – Verlag Peter Faecke“ über „Wtd“ mit: „… der Abverkauf war wider Erwarten ein völliges Desaster.“ Das kann man zu Recht traurig finden. Dieter Paul Rudolph, Betreiber von „Wtd“, hat dann auch schnell den Schuldigen ausfindig gemacht:

„Wie sich sogar in Kriminalliteratur Sozialgeschichte spiegelt, ja, wie sie dort vielleicht erst jene Gestalt annimmt, die uns offiziöse Geschichtsschreibung nicht vermitteln will oder kann – das zu erleben, gehört nicht zu den Prioritäten des Genreliebhabers.“

Ja, eine traurige, eine böse, vor allem aber eine dumme Haltung, die der „Genreliebhaber“ da an den Tag legt. Krimi als Spiegel der Sozialgeschichte, als subversive Geschichtsschreibung – haben Sie als Krimileser etwa andere Erwartungen an Ihre Lieblingslektüre? Sie gehen tatsächlich an den Bücherschrank oder in eine Buchhandlung und wollen einen Krimi „nur so“ lesen? Ohne pädagogische Ansprüche? Ganz schön töricht von Ihnen!

Dabei hätte diese Sittengeschichte doch eine „Waffe gegen die neuesten PR-Gags, den üblichen journalistischen Wahnsinn des „Der deutsche Krimi beginnt mit Friedrich Glauser oder wahlweise Friedrich Schiller, kann auch Friedrich Ani gewesen sein“ sein können. Mal abgesehen davon, dass ich von Büchern als Waffen nichts halte, haben SIE, liebe, dumme Leser – womöglich in einer unheilvollen Allianz mit all diesen PR-Fitzeks, äh -Fatzkes – dem Verlag einen Strich durch die Rechnung gemacht. Sie sind es schuld, dass er nun seine zehn Bände „knapp über dem Selbstkostenpreis“ verschachern muss.

Billig vs. Klarheit

Das ist wirklich traurig. Noch trauriger allerdings, dass weder der Verlag, noch sein eifriger Fürsprecher und Oberlehrer in Sachen Kriminalliteratur als Bildungsinstitut auch nur den Hauch von Selbstkritik zeigen. So stutzt man schon, dass einem als Leser zweitklassige Autoren wie –ky oder Robert Brack als wichtige Meilensteine einer „kriminellen Sittengeschichte Deutschlands“ untergejubelt werden sollen. Gehören die da wirklich rein? Und warum sind etwa Jörg Fauser, Gisbert Haefs, Richard Hey und Ulf Miehe nicht vertreten? Nun gut, das mag man noch mit den Lizenzen rechtfertigen. Für manche Titel gibt es eben keine Freigabe, andere sind dafür günstig zu bekommen. Da bilden auch sozialgeschichtliche Kriminalromane keine Ausnahme.

Auch an der äußern Gestaltung lässt man vom Verlag keine Kritik aufkommen: „… die Bücher waren außen schön und innen interessant.“ – heißt es da. Ach, wirklich? Dazu kann man einen ganz einfachen Vergleich anstellen. Legen wir einfach mal ein Cover aus der „Kriminellen Sittengeschichte“ gegen ein Cover aus der „Fischer Crime Classics“-Reihe, die es sich ebenfalls zur Aufgabe gemacht hat, ältere Kriminalliteratur wieder lieferbar zu halten – nur eben für angloamerikanische Kriminalliteratur.

Kriminelle Sittengeschichte vs. Fischer Crime Classics

Welches dieser Bücher spricht Sie – rein äußerlich – eher an? Wo würden Sie eher zugreifen? Zumal, wenn Ihnen die Relevanz von deutscher Kriminalliteratur im Vergleich zur angloamerikanischen eher zweitrangig erscheinen mag – unabhängig davon, ob das nun wirklich so ist. Einfach nur, weil Ihnen das seit Jahrzehnten ja so vermittelt und durch zahlreiche Literaturmultiplikatoren eingetrichtert wurde.

Nein, wirklich „schön“ sind die Bände der „Kriminellen Sittengeschichte Deutschlands“ nicht, weder in der graphischen Gestaltung des Umschlags, die einfach billig wirkt und die wohl jeder Laie mit ein wenig Photoshop-Kenntnissen besser hin bekäme, noch in der Bindungsart der englischen Broschur, die immer so tut, als sei sie das bessere Taschenbuch, dabei bleibt sie ein Taschenbuch; noch im Schriftbild, das mit einer arg abgerundeten Schrift überhaupt nicht zu einem Kriminalroman – zumal zu einem mit Realismusanspruch – passen will. Auch hier braucht man einfach nur mal mit den „Fischer Crime Classics“ zu vergleichen. Da gibt es ein echtes Taschenbuch, das eben nicht „mehr“ sein will, mit einer Schriftart, die der Leser gewöhnt ist, dazu ein klar gestaltetes, gefühlsgeladenes Cover.

Leserbeschimpfung statt Selbstkritik

All das sind nur Äußerlichkeiten. Sie sagen überhaupt nichts über die Relevanz oder die Qualität der jeweiligen Texte aus. Aber welcher Leser ist frei von den ersten, äußeren Eindrücken, die ein Buch vermittelt? Leser wollen verführt werden. Ein ansprechendes Äußeres ist dabei nicht zu unterschätzen. Noch viel stärker gilt dies übrigens für die von Dieter Paul Rudolph herausgegeben „Criminalbibliothek 1850 -1933“. Hier sind die Umschläge noch scheußlicher. Aber dies nur am Rande.

Jedenfalls sind die Texte der „Kriminellen Sittengeschichte“ – dies darf man wohl sagen – eher Texte, die eine gewisse Vermittlung bedürfen. Herausgeber Frank Göhre hat sich dieser Aufgabe engagiert gestellt und sinnvoll umgesetzt. Unbedarfte Leser, die tatsächlich Friedrich Glauser für den „Erfinder“ der deutschen Kriminalliteratur halten mögen, müssen an solche Texte herangeführt werden – allerdings ohne erhobenen Zeigefinger. Im Gegensatz zu Dieter Paul Rudolph verzichtet Göhre darauf. Seine Nachworte zeigen, dass sie von einem verständigen, schreibenden Schriftstellerkollegen stammen, während Rudolph in den Nachworten seiner „Criminalbibliothek 1850 – 1933 “ sich einmal mehr in der Rolle als Krimi-Dozent gefällt und seine Leser auf die Schulbank setzt.

Womit ich zum Umfeld komme, in denen sich solche Roman behaupten müssen. Neben der „Sittengeschichte“ macht sich der Verlag mit seiner „Criminalbibliothek“ zunächst einmal selbst Konkurrenz. Vielleicht nicht ganz so klug. Dazu kommen dann auch noch die „Fischer Crime Classics“, die zwar inhaltlich einen anderen Ansatz haben, die aber eben auch auf die Geschichte der Kriminalliteratur verweisen. Von all den monatlichen Neuerscheinungen, die um die Gunst in den Buchhandlungen buhlen, ganz zu schweigen. Man mag ja Internet und Feuilleton für wichtige Schlachtfelder im Kampf um die Gunst der Leser halten – das entscheidende Gefecht findet immer noch in den Buchhandlungen, auf den Tischen mit den Neuerscheinungen statt. Haben Sie da bei Thalia, Hugendubel oder in der Mayerschen je die „Kriminelle Sittengeschichte“ zu Gesicht bekommen? Die „Fischer Crime Classics“ dürften Ihnen da schon eher begegnet sein.

All das kann man beklagen. Man kann auch beklagen, dass man sich als Nischenprodukt – was eine solche „Sittengeschichte“ nun mal ist – gegen den schwachsinnigen Mainstream behaupten muss. So ist das. Man kann auch die dummen Leser beschimpfen, die wieder einmal versagen. Man könnte aber auch mal darüber nachdenken, ob man als Verlag alles wirklich so richtig gemacht hat: mit der Grafik, mit der Buchgestaltung, mit dem Vertrieb. Und wenn man es schon nicht auf die Tische der großen Buchhandlungen schafft, weil einem als kleiner Verlag schlichtweg das finanzielle Polster dafür fehlt, dann sollt man sich wenigsten dort, wo man sich ohne große Hindernisse und Aufwand präsentieren kann, ordentlich aufgestellt sein. Die Rede ist vom Internet. Wer sich aber ein so abschreckende Homepage leistet, der sollte sich nicht wundern, wenn er am Ende seine liebevoll gepflegten Buchreihen verscherbeln muss. Schuld hat ja sowieso der Leser.