Alte deutsche Heimatliteratur
vom Krimiblogger
Totgesagte leben länger. Das zeigt die alte, immer wieder aufkommende Diskussion um den Regionalkrimi. Der gute dpr hat ganz frisch ein paar → Gedanken zum Regionalkrimi geblogt. Schon vor fünf Jahren stellte Reinhard Jahn in einem längeren Vortrag → Überlegungen zum Regionalkrimi an und versuchte sich in einer Definition. Auch der geschätzte Stefan Lichtblau veröffentlichte vor einigen Jahren einen →Beitrag zum Thema und vermutete den „Regio-Krimi“ gar schon auf dem Weg zur neuen Pulp-Literatur.
Wiederholt machen die jeweiligen Autoren darauf aufmerksam, dass es beim Regionalkrimi um den lokalen Bezug geht, den Wiedererkennungseffekt. Das dabei die literarische Qualität sehr oft nachsteht, ist ein Makel des regionalen Krimis. Dem mag man zustimmen. Was bei all diesen Überlegungen jedoch kaum erwähnt wird, ist die Tradition der Heimatliteratur in Deutschland. Die ist nämlich eine sehr zweifelhafte.
Zu oft haben sich gerade die Heimatdichter während des Nationalsozialismus vor den rechten Karren spannen lassen oder wurden von der NS-Kultur für ihre Zwecke missbraucht. Ob Hans Grimm („Volk ohne Raum“, 1926) oder Herrman Löns („Der Wehrwolf“, 1910) , die Tradition der Heimatliteratur ist in Deutschland braun eingefärbt.
Die gegenwärtigen Autor/innen von Regionalkrimis haben in der Regel damit nichts zu tun. Viele kommen entweder politisch neutral daher oder sind sogar eher in der politisch linken Ecke zu finden. Der Filz in örtlichen Behörden ist zum Beispiel ein beliebtes Thema in Regionalkrimis. Dennoch bleibt festzustellen: Eine kritische Auseinandersetzung mit dem zweifelhaften Erbe deutscher Heimatliteratur hat im modernen Regionalkrimi kaum statt gefunden. Verklärung statt Aufklärung, heimatliche Gefühle und lokaler Patriotismus werden auch in den modernen Regionalkrimis hochgehalten.
Es gibt zaghafte Gegenentwürfe: Anne Chaplet etwa unterstreicht in ihrem →„Plädoyer für die Provinz“: » Auf dem Land ist man der Vergangenheit verdammt nahe, näher als in der ständig sich wandelnden Stadt: die Architektur der Nazis, die Tunnels, unterirdischen Anlagen und Zwangsarbeiterhütten stehen unverändert gleich um die Ecke. Sie erinnern nicht an „die„ Schuld „der„ Deutschen, sondern oft unerträglich konkret an die eigenen Großeltern oder Eltern. Das, nicht die Dicke der Bauernschädel, macht Erinnerung zur Zumutung.«
Eine interessante These, die jedoch in ihren eigenen Romanen, etwa „Schneesterben“ oder „Russisch Blut“ an den Rand gedrückt wird. Politisch korrekt und fade wird hier das Einzelschicksal, das persönliche Drama beschrieben. Mit guter Kriminalliteratur hat dies wenig zu tun. Konfrontation mit den Gedanken des Leser sucht Anne Chaplet nicht. „Ja, das war schlimm“ mag man nach der Lektüre denken und stellt das Buch ins Regal. Ist ja doch „nur“ ein Krimi. Da greift man doch besser gleich zu richtiger“ Literatur, etwa Elsa Morantes „La Storia“, einer tragischen und ergreifenden Familiengeschichte, die während des italienischen Faschismus spielt.
Das große Vergessen
Ähnlich ergeht es einem auch bei Andree Hesse, der in sich in seinem Kriminalroman „Der Judaslohn“ mit der braunen Vergangenheit eines Dorfes in der Lüneburger Heide auseinandersetzt. Hesse schreibt seine Geschichte korrekt und langweilig nieder, kupfert kräftig bei Kollegen aus Großbritannien ab – mehr leider nicht. Womit ich wieder beim literarischen Unvermögen vieler Regionalkrimischreiber bin. Hier liegt ein Problem des Regionalkrimis, denn es wird weiterhin zu viel Durchschnittliches bis Schlechtes veröffentlicht.
Noch putziger erscheint mir der Trend zu historischen Regionalkrimis. Da wird dann das mittelalterliche Köln in bunten Farben ausgebreitet oder man liest Gediegenes über Hamburg zur Zeit der Cholera. Was fehlt ist die eigentliche Kriminalgeschichte, die hier nur als Transportmittel für Bildungsbürger missbraucht wird, die vielleicht auch mal einen Krimi lesen wollen. Es mag von den Autor/innen viel Wert auf die historische Recherche gelegt werden, die Mechanismen, Strukturen und Ansprüche von Kriminalliteratur sind kaum präsent.
Apropos historische Kriminalromane: Die Versuche, sich dem Tabuthema Nationalsozialismus zu nähern, sind bislang dürftig. Robert Hültner, dessen Kajetan-Romane während der Weimarer Zeit spielen oder Richard Birkefeld und Göran Hachmeister, die mit „Wer übrig bleibt, hat recht“ einen Krimi veröffentlicht haben, der zur Zeit des Nationalsozialismus angesiedelt ist, sind einige wenige Ausnahmen. Verlage, Autoren und Leser scheuen die Auseinandersetzung damit. Angesichts der literarischen Möglichkeiten vieler deutscher Krimiautoren bin ich versucht zu sagen „Gott sei Dank!“. Experimente wie der Kettenroman „Hotel Terminus“, der entweder aus historischer Dummheit oder frivoler Dreistigkeit veröffentlicht wurde, bestätigen dieses Urteil.
Es bleiben Lücken: Die nicht vorhandene Auseinandersetzung mit der Tradition der deutschen Heimatliteratur und das Unvermögen vieler Autor/innen, sich Themen wie dem Nationalsozialismus innerhalb der Kriminalliteratur anzunehmen. Dabei ist das Erste jedoch zwingend notwendig, bevor es überhaupt eine realistische Chance auf gute, deutsche Kriminalliteratur aus der Region und erst Recht zum Thema NS-Zeit geben kann.
Kommentare
Guten Tag, Ludger (so schnell werden aus Erbfeinden wieder Blogfreunde!),
„Was bei all diesen Überlegungen jedoch kaum erwähnt wird, ist die Tradition der Heimatliteratur in Deutschland. Die ist nämlich eine sehr zweifelhafte.“
Da hast du sehr recht. Aber zwei Differenzierungen dazu: Erstens betrifft dieses Zweifelhafte vor allem die bekannten 12 Jahre des 20. Jahrhunderts. Ansonsten mag man ihr mit literarischen Mitteln beikommen, wobei das Problem die Abgrenzung sein dürfte. Zählen wir zur „Heimatliteratur“ nur den unsäglichen, pathetischen, nationalen und nationalistischen Kitsch oder etwa auch die durchaus nationalen Schriften etwa der Zeit der napoleonischen Besatzung und der Restauration, die ich mal unter „Identitätssuche“ laufen lassen würde? Großes Thema.
Zweitens: Auch wenn Regionalkrimis als „neue deutsche Heimatliteratur“ vermarktet werden, glaube ich kaum, dass sie in diese Tradition gehören. Vieles ist halt wirklich nur Verkaufsmasche, manchmal, wenns gut läuft, auch wirklich notwendiger geografisch-mentaler Hintergrund.
bye
dpr
Hallo, lieber Blogfreund,
zu Deinem ersten Einwand: Solange es um eine friedliche, nationale Selbstfindung geht, mag das in Ordnung sein, vielleicht sogar notwenig, wenn man auf die deutsche Vielstaaterei schaut. Texte wie die von Grimm jedoch sind schlichtweg furchtbar und transportieren eben jenes braune Gedankengut. Nicht umsonst soll Grimm einer der Lieblingsautoren von Hitler gewesen sein. Doch wer hat das noch im Hinterkopf?
Was die Vermarktung angeht: Ein solch unbefangener Umgang mag da angebracht sein, wenn die Hintergründe weitgehend bekannt sind. In jeder drittklassigen Comedy-Show gibt’s mittlerweile auch Witze über Hitler. Man kann das mögen oder nicht. An Chaplins „großen Diktator“ kommen die eh meistens nicht ran.
Das Wissen über die Tradition der deutschen Heimatliteratur schein mir jedoch nicht gerade sehr verbreitet und von daher sehe ich solche Vermarktung zwiespältig.
Viele Grüße
Ludger
Über Grimm und Konsorten brauchen wir hier kein Wort mehr zu verlieren. Und was die um sich greifende Geschichtslosigkeit betrifft, blasen wir auch ins gleiche Horn. Ich habe halt Bedenken, ob man den Regionalkrimi so sehr in den historischen Kontext der Heimatliteratur stellen kann. Ich unterstelle weder den Autoren noch den Lesern pauschal böse Absichten. Es geht, scheint mir, eher um Touristisches, den Wiedererkennungswert, das Idyllische, das Heimelige… das muss man alles ja nicht mögen, aber da kenne ich Bereiche der Literatur, die Geschichtsbewusstsein nötiger hätten, ich denke nur an all den „Mein Vater war ein Nazi“- Schwurbel, der hierzulande mal Konjunktur hatte und denn doch meistens nur betroffenheitstriefender, sprachlich invalider Kitsch war.
Vorige Woche habe ich vom guten Jodokus Temme die Kriminalnovelle „Ein Amnestirter“ gelesen. Dort schwärmt der Protagonist auch so vom wundervollen Deutschland, dass es einem Heutigen ganz blümerant dabei wird. Ja, und was ist das für einer? Einer, der nach der 1848er Revolution als „zu liberal“ aus Deutschland in die Schweiz rübermachen musste, ein Demokrat meinetwegen. Das sind so die Fallstricke, wenn wir von Heimatliteratur und Heimatglorifizierung reden.
bye
dpr
„… aber da kenne ich Bereiche der Literatur, die Geschichtsbewusstsein nötiger hätten, ich denke nur an all den “Mein Vater war ein Naziâ€- Schwurbel, der hierzulande mal Konjunktur hatte und denn doch meistens nur betroffenheitstriefender, sprachlich invalider Kitsch war.“
Genau, aber warum nicht auch im Kriminalroman Geschichtsbewusstsein? Meine Bedenken sind, dass eben die Hintergründe jener Heimatliteratur in Vergessenheit geraten und locker-flockig Regionalkrimis als „Heimatliteratur“ vermarktet werden. Kaum einer aber weiß, was es damit mal auf sich hatte.
Anne Chaplet zeigt ja eine Möglichkeit auf, setzt dies aber in meinen Augen nur mäßig um. Ein eher gelungenes Beispiel ist Roger M. Fiedlers „Pilzekrieg“ – eine wunderbar schräge Abrechnung mit diesem Heimatgedöns.
LG
Ludger
Geschichtsbewusstsein im Krimi? Aber gerne doch! Wenns reinpasst. Wenn mir niemand die Vergangenheit unter dem Mäntelchen des Krimis „aufarbeiten“ will. Wenn er oder sie es auch literarisch auf die Reihe kriegt, d.h. mir die Komplexität der Dinge nicht als schlichte Weisheiten zu verkaufen gedenkt. Aber seien wir realistisch: Wer kanns denn? Von 100 Einer / Eine? Schon optimistisch gedacht. Und seien wir noch realistischer: Wer würde es denn lesen? Von 100 Regionalkrimilesern einer / eine? Noch viel optimistischer gedacht.
bye
dpr
Hallo Ludger,
„Eine kritische Auseinandersetzung mit dem zweifelhaften Erbe deutscher Heimatliteratur hat im modernen Regionalkrimi kaum statt gefunden.“
Ich sag mal, dass Krimiautoren sich mit diesem Erbe kaum mehr auseinandersetzen muessen als nicht-Autoren. Dass Heimatromane und Regiokrimis teilweise aehnliche Reflexe bedienen, besagt ja nicht, dass sie notwendigerweise auch zusammenhaengen. Dass die meisten Kulturschaffenden Unsaegliches „geleistet“ haben, wissen wir doch auch, ohne jedes einzelne Machwerk gelesen zu haben. Deshalb glaube ich auch nicht, dass die hinreichende Beschaeftigung mit der unsaeglichen Literatur „jedoch zwingend notwendig [ist], bevor es überhaupt eine realistische Chance auf gute, deutsche Kriminalliteratur aus der Region…geben kann.“.
„Das Unvermögen vieler Autor/innen, sich Themen wie dem Nationalsozialismus innerhalb der Kriminalliteratur anzunehmen…“
Ich glaube nicht, dass es den begruendeten Anspruch der Oeffentlichkeit an Autoren, Theaterleute, Krimiautoren oder sonstige Kunstschaffende gibt, Werke über den Nationalsozialismus zu erschaffen…und ob da jemand die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus scheut, kann ich nicht beurteilen. Aber für jeden einzelnen Autoren kann es ja andere Themen geben, für die er/sie sich kompetenter fuehlt.
Ansonsten, nicht dass wir uns mitverstehen, sind mir gute Buecher natuerlich auch lieber.
Mit besten Grüßen
bernd
PS. Die Vorschau liefert absonderliches zu den Umlauten und Sonderzeichen … irritierend…
Hallo Bernd,
wenn unterschiedliche Literatur ähnliche Reflexe auslösen kann, denke ich schon, dass man sich ein paar Gedanken darüber machen sollte, warum dies so ist. Wenn verschiedene Seiten (Autoren, Kritiker, Marketing) versuchen, den Regionalkrimi durch ein Ettiket wie „Heimatliteratur“ zu „heben“, dann ist das in meinen Augen eine zwiespältige Sache – eben wegen der Tradition der deutschen Heimatliteratur. Selbstverständlich muss man nicht jedes dieser Machwerke gelesen haben, aber ein wenig mehr historischer Background und Sensibilität könnte so manchem Autor nicht schaden.
Der Anspruch auf die Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich besteht schon. Wenn ich die Tendenzen zur Verdrängung, zur Verharmlosung oder zum provokanten, inhaltsleeren Spiel mit diesen Themen sehe, dann ist es in meinen Augen schon angebracht, dass Kunst sich damit auseinandersetzt. Das bedeutet ja nicht, dass ich nun von jedem Krimiautor erwarte, er solle doch bitte mal was zu diesem Thema schreiben. Da gebe ich Dir Recht: Der einzelne Autor soll schon zu den Themen schreiben, für die er sich kompetent fühlt. Alles andere wäre unsinnig. Aber grundsätzlich gilt meiner Meinung nach für Kriminalliteratur ähnliches wie für alle Bereiche der Kunst: Als ein Mittel zur Reflexion oder als Ideengeber muss sie sich auch mit diesen Themen auseinandersetzten. Es ist – so ganz am Rande – doch auch auffällig, dass es vermutlich mehr Autoren im Ausland gibt (gerade aus der anglo-amerikanischen Region, wie Harris, wie Hyde etc.), die sich schon mit der NS-Zeit beschäftigt haben, wie auch immer man diese Bücher im Einzelfall bewerten will.
Wie gut das funktionieren kann, zeigt in meinen Augen das kürzlich von mir besprochene Buch von Elisabeth Herrmann.
Viele Grüße
Ludger
P.S.: Das mit der Vorschau ist merkwürdig und tut mir leid. Falls Du magst, schreibe mir doch bitte mal per E-Mail, mit welchem Browser und welchem Betriebssystem Du unterwegs bist.
Guten Morgen Ludger,
„wenn unterschiedliche Literatur ähnliche Reflexe auslösen kann, denke ich schon, dass man sich ein paar Gedanken darüber machen sollte, warum dies so ist.“
Ja, da stimme ich Dir zu. Aber wenn zwei Dinge sich ähnlich sind, wie z.B. die optischen Systeme von Insekten und Wirbeltieren, müssen sie trotzdem nichts miteinander zu tun haben. Der geringste Vorwurf den Fritjof Capra [ehedem bekannter Physiker, der die Ähnlichkeit von „östlichen Philosophien/Religionen“ und der modernen Physik bemerkt haben wollte und deshalb meinte die westliche Physik zu revolutionieren] sich anhören musste, war, dass diese Ähnlichkeit durch die Art und Weise wie das menschliche Gehirn funktioniert, bedingt sei, also im Beobachter liegt.
Ob also Heimatliteratur und Regiokrimi inhaltlich zusammengehören, ist wohl eine soziologische, und weniger eine literarische Frage. Sprengt natürlich jeden Rahmen. Deshalb in aller Kürze. Ich glaube nicht, dass es da mehr als einen phänotypischen Zusammenhang gibt. Background, Wissenstand, politisches Umfeld sind mir zu unterschiedlich. Sowohl die Leser als auch die Schreiber der Gegenwart haben mit denen Anfang des 20. Jahrhunderts wenig gemein, die sozialen Verklammerungen in Gesellschaften haben sich doch radikal geändert. Regionalität hat doch, so habe ich zumindest gelesen, ihren Stellenwert deshalb (wieder) erlangt, weil die große ideologische Klammer (Religion, Anti-Kommunismus, deutschnationale Gesinnung u.A.), die früher die Menschen zusammenhielt, verloren ging.
Die seichte freundliche Unterhaltung ist ja auch nicht gerade ein Spezifikum der (Krimi-)literatur, sondern etwas das sich allenthalben beobachten lässt, oder ? Dieses kann man dann ja auch in jedem einzelnen Werk kritisieren, wenn man mag. Aber mehr auch nicht, finde ich.
Mit besten Grüßen
bernd
PS Was die Vorschau-Darstellung bestrifft, hast Du wohl recht, mein System mit dem ich am Wochenende gelesen habe, ist recht alt.