Es bleibt finster

vom Krimiblogger

1974
Überlegungen zum Deutschen Krimipreis 2006 für David Peace

„Harte Zeiten brauchen harte Bücher“ lautete einst der Werbespruch für die anspruchsvolle Noir-Reihe im DuMont-Verlag. Das deutsche Lesepublikum sah es wohl anders und nach 23 Bänden war schon wieder Schluss. Der Lesegeschmack des deutschen Publikums ist wohl eher auf weiche Bücher in harten Zeiten eingestellt. So ist es erfreulich, dass die Jury des Deutschen Krimipreises in diesem Jahr, nicht zum erstenmal, einen Noir-Roman auszeichnet: David Peaces Debütroman „1974″, der zugleich den Auftakt seines Red-Riding-Quartetts bildet. Alle vier Romane sind nach Jahren benannt – 1974, 1977, 1980 und 1983 – eine Titelwahl, die bei einem Autor wie David Peace nicht weiter verwundert. Noch eine Jahreszahl: 1967. In diesem Jahr ist David Peace Dewsbury, West Yorkshire geboren. Zeiten und Orte sind bestimmend für sein Werk. In seinem „Red Riding Quartett“ verarbeitet er seine Kinder- und Jugendzeit an einem der dunkelsten Orte, die es damals in England gab: Yorkshire.

Eine Landschaft, die uns in so manchem britischen Kriminalroman als abwechslungsreich und idyllisch verkauft wird. Weidende Schafe, friedliche Moore und schroffe Felsen, so sieht es aus in der Heimat vom Tierdoktor und seinem „lieben Vieh“. Bei Peace sucht man diese Beschreibungen vergeblich. 1975 begann in Yorkshire eine Mordserie an Frauen, die erst im Januar 1981 ein Ende fand, als die Polizei Peter Sutcliffe, den sogenannten „Yorkshire Ripper“, verhaftete. Wie viele Frauen er umgebracht hat, ist bis heute nicht einwandfrei geklärt. Die meisten seiner Opfer waren Prostituierte. Die polizeilichen Ermittlungen waren geprägt von Schlamperei und Unfähigkeit. Mindestens zweimal ging Sutcliffe den ermittelnden Beamten durch die Lappen. Dazu ein Trittbrettfahrer, der die Polizei mit Bekennerbriefen und Tonbändern, unterzeichnet mit „Jack the Ripper“, in die Irre führte. Als Sutcliffe im Januar 1981 schließlich verhaftet wurde, erholte sich Yorkshire nur langsam von dem Schrecken. Zu tief saß das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber der Polizei. Diese Zeit und dieser Ort haben David Peace geprägt.

In seinem „Red Riding Quartett“ verarbeitet er auf literarische Weise seine Jugendzeit. Eine Zeit der Angst: War sein Vater der „Yorkshire Ripper“? Würde seine Mutter das nächste Opfer sein? Quälenden Fragen trieben den jungen David Peace um und exzessiv beschäftigte er sich – wie viele seiner Landsleute – mit den Morden und der Suche nach dem Täter. Diese Zeit hat Narben hinterlassen, wie David Peace behauptet, und diese Narben hat er erst im fernen Tokio, in dem er seit einigen Jahren lebt, behandeln können. Durch Schreiben. Was eigentlich nur für ihn selbst gedacht war, entwickelte sich zu einem der interessantesten literarischen Werke der letzten Jahre. Knallhart, brutal, extrem – nur einige der Adjektive, die das Feuilleton im letzten Jahr für den Roman fand. Sein stakkatoartiger Stil, seine kurzen, heftigen Sätze und seine Detailbesessenheit brachten ihm den Vergleich zu James Ellroy ein.

Ein radikaler Anspruch

Doch Peace ist durch und durch ein britischer Autor jenseits der hierzulande so beliebten Landhausatmosphäre. Er seziert haarscharf die englische Gesellschaft in den 1970er und 1980er Jahren, er wühlt tief in den Wunden, die der Serienmörder und die korrupte und unfähige Polizei geschlagen haben. Diese, davon ist Peace überzeugt, sind nur in dieser Zeit, an diesem Ort und unter den damaligen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen möglich gewesen.

Dabei folgt er in seinen Romanen seinem Anspruch an Kriminalliteratur: Sie hat, so David Peace, die wirklichen Verbrechen fiktiv zu dokumentieren. Das Leid und Elend, das ein Mord über ein Opfer, seine Familie und Freunde, aber auch über die Angehörigen des Täters, bringt, müssen greifbar werden. Alles andere ist billige Unterhaltung, die sich ergötzt an den Schmerzen anderer Menschen. Es geht Peace um Realismus, der aber nichts mit den „Nachrichten aus der Wirklichkeit“ zu tun hat. Reale Namen von Opfern oder Beteiligten sucht man in „1974″ vergeblich – dennoch wird klar, welchen Hintergrund sein Roman hat. Es ist fiktionale Literatur, die das Verbrechen ernst nimmt und nicht mit ihm spielt. Ein radikaler Anspruch, der nichts mit Kolportage zu tun hat. Literatur als ein verzerrtes und doch erkennbares Abbild der Wirklichkeit.

Gratulation an die Jury für diese Auswahl, die hoffentlich dazu beiträgt, dass Kriminalliteratur auch bei uns endlich weiter gefasst und wahrgenommen wird, die vielleicht den Weg ebnet für weitere, interessante und junge Autoren und Autorinnen – nicht nur aus Großbritannien. Gratulation selbstverständlich auch an David Peace, der übrigens nach dem Ende des „Red Riding Quartetts“ bereits einen weiteren Roman zu einem heiklen Thema der englischen Geschichte vorgelegt hat: „GB84″ beschäftigt sich mit dem Bergarbeiterstreik von 1984/85. Es bleibt finster.

David Peace: 1974 / Aus dem Englischen von Peter Torberg. – München : Liebeskind, 2005
ISBN 3-935890-29-X

Die deutsche Taschenbuchausgabe ist für Juni 2006 bei Heyne angekündigt.

Originalausgabe: David Peace: Nineteen Seventy Four. – London : Serpent’s Tail, 1999

Für Februar ist der zweite Band „1977″ in deutscher Übersetzung von Peter Torberg beim Verlag Liebeskind angekündigt.

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